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BeitragVerfasst: Sonntag 18. September 2011, 14:49 
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Austenexperte
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Auf nach London


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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Sonntag 18. September 2011, 14:49 


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BeitragVerfasst: Freitag 4. November 2011, 13:15 
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Austenbegeistert
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Mariannes ersten Tage in London verursacht bei mir den absoluten Flashback in die Teenagerzeit: wie man darauf fiebert, dass ER anruft, und wenn es dann klingelt ist es immer jemand anders (bzw. ein Oberst Brandon). Wenn man in seiner Gegend (Schule/Schwimmbad/etc) ist schaut man dauernd ob ER nicht um die Ecke kommt - und man ist allen anderen gegenüber schon (beinahe) nicht mehr höflich. Zumindest war es bei mir so und ich finde es super wie zeitlos und treffend Jane Austen das bei Marianne darstellt. Erklärt auch, warum ich ihre Bücher liebe, seit ich 13 bin.

Und ich so froh, kein Teenager mehr zu sein! :tanz:

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"Sense will always have attractions for me" - Sense & Sensibility


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BeitragVerfasst: Montag 21. November 2011, 22:43 
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Administrator und Captain a.D. of HMS Groupread
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Am Anfang von Kap 23 sehen wir ja einerseits, wie tief Elinors Gefühle sind, wie verletzlich sie bei aller nach außen zur Schau getragenen Vernünftigkeit und Souveränität ist. Andererseits bringt sie ihre Einsichtsfähigkeit extrem rasch dazu, ratzfatz wieder von ihren Gefühlen zu abstrahieren und sich Gedanken zu machen, wie schrecklich sich der arme Edward fühlen muss, wie viel schlimmer es ihm als ihr ergehen muss. Also das nenne ich mal Selbstlosigkeit, auch ein starker Wesenszug Elinors. Sie könnte sich ja auch meine Sig da unten zu eigen machen und den Burschen zur Hölle wünschen... Übel nehmen könnte man es ihr nicht.

Warum eigentlich deutet Edward nie an, dass er ein Problem hat? Wie undenkbar war es, dass er sich Elinor anvertraut, ihr andeutet zumindest, dass er eine Jugendsünde begangen hat?

Übrigens wendet JA hier wieder die von Julia gern erwähnte erlebte Rede an, wenn ich das richtig sehe. Offenbar ein ziemlich wichtiges Stilmittel.


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BeitragVerfasst: Dienstag 22. November 2011, 21:15 
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Austenfan

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Cielo
Ich erinnere mich bei der Geschichte mit Lucys Geständnis immer an meine Jugendzeit. Der erste Verrat (im Ferienlager hatte es doch tatsächlich ein Junge gewagt nicht nur mich zu fragen ob ich mit ihm "gehen" würde, was ich natürlich nicht von ihm erfahren habe, sondern mir von der Rivalin genüßlich unter die Nase gerieben wurde) :cry:

Udo hat geschrieben:
den Burschen zur Hölle wünschen..


Welche Frau tut das schon auf Anhieb :nein: , die meisten übertragen ihre Wut doch gerne auf die Rivalin. Es schmerzt viel mehr wenn sich der Gegenstand der Liebe als unwürdig erweist, als ihn zu verlieren (imho). In diesem Licht gesehen könnte man Elinor´s Verhalten auch als gute Stategie sehen ihre Beherrschung zu bewahren.

Udo hat geschrieben:
Warum eigentlich deutet Edward nie an, dass er ein Problem hat?

Das könntest du als Mann ja am besten beantworten, seit wann spricht man über ein Problem für das meine keine Lösung hat? :sm_03


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BeitragVerfasst: Mittwoch 23. November 2011, 13:03 
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Austenfan

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Sorry für´s doppelt posten aber mir ist beim Lesen noch etwas aufgefallen und ich wollte zugunsten der Übersichtlichkeit nicht meinen vorherigen ändern.

Mir ist zum ersten Mal bei JA ein Satz aufgefallen, der in meinen Augen eine etwas überflüssige Worthülse ist :eek: aber vielleicht liegt es ja auch an der Übersetzung und jemand kann mir helfen.

Es geht um den letzten Satz in Kapitel 24...fast zwei Monate lang im Gutshaus zu bleiben (bis hierhin ist alles klar und schön gemein) aber dann: und an der gebührenden Feier jenes Festes teilzunehmen, das einen mehr als normalen Aufwand an privaten Bällen und großen Dinners erfordert, um seine Bedeutsamkeit zu unterstreichen ( :gruebel: ) Auch der Blick ins Original hilft mir bei meinen durchschnittlichen Englisch-Fähigkeiten nicht weiter. Wie lautet der Satzteil in Euren Übersetzungen?


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BeitragVerfasst: Mittwoch 23. November 2011, 19:55 
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Administrator und Captain a.D. of HMS Groupread
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Petra hat geschrieben:
Welche Frau tut das schon auf Anhieb :nein: , die meisten übertragen ihre Wut doch gerne auf die Rivalin.

Das tut sie ja noch nicht mal richtig. Sie mäkelt etwas, aber nach Wut klingt das für mich nicht. Für mich schon leicht übertrieben edelmütig heißt es dann auch noch, dass sie am Ende "um seinetwillen mehr als um ihretwillen" weinte. Elinor bewegt sich schon irgendwie in anderen Sphären...

Zitat:
Es schmerzt viel mehr wenn sich der Gegenstand der Liebe als unwürdig erweist, als ihn zu verlieren (imho). In diesem Licht gesehen könnte man Elinor´s Verhalten auch als gute Stategie sehen ihre Beherrschung zu bewahren.


Interessante These! Also mir und meinem Frust hat es sehr gut getan, als das erste Mädchen, in das ich mich verliebt habe (und das mich gemeinerweise verlassen hat), sich im Nachhinein als "unwürdig" (ich würde heute sagen, sie war vielleicht ein wenig seltsam) erwiesen hat. :wink: Meine Lehre daraus: Die Leichtigkeit der Schmerzbewältigung verhält sich proportional zur Einsicht in die Dusseligkeit des Liebesobjekts. Aber vielleicht ist das eine eher männliche Sichtweise....?


Zitat:
Das könntest du als Mann ja am besten beantworten, seit wann spricht man über ein Problem für das meine keine Lösung hat? :sm_03

Ja, hier ist noch ein wenig Nachhilfe in männliches Verhalten nötig, scheint mir. :wink:
Also Männer reden nur über Probleme, für die sie keine Lösung haben. Wenn sie eine Lösung haben, lösen sie das Problem und reden nicht drüber (schon mal "Zwei glorreiche Halunken" gesehen? :wink: ). Edward, vermute ich, redet nicht darüber, weil er sich zu sehr schämt für seine Jugendsünde - oder weil er sich als Ehrenmann zu sehr verpflichtet fühlt, das Geheimnis zu wahren, übrigens ja genauso wie Elinor. Beide, finde ich, übertreiben es mit dem ehrenwerten Verhalten, zumal Lucy erkennbar ein solches Verhalten nicht unbedingt verdient.

Zitat:
Es geht um den letzten Satz in Kapitel 24...fast zwei Monate lang im Gutshaus zu bleiben (bis hierhin ist alles klar und schön gemein) aber dann: und an der gebührenden Feier jenes Festes teilzunehmen, das einen mehr als normalen Aufwand an privaten Bällen und großen Dinners erfordert, um seine Bedeutsamkeit zu unterstreichen ( :gruebel: )

Gewundert habe ich mich auch über den Satz, sie meint doch wahrscheinlich Weihnachten, oder?
Bei Grawe heißt es: "...und in angemessener Form jenes Fest zu begehen, das um seiner Bedeutung willen eine noch größere Zahl von Bällen und üppigen Dinners erfordert."


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BeitragVerfasst: Mittwoch 23. November 2011, 22:50 
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Austenexperte
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Petra hat geschrieben:
Es geht um den letzten Satz in Kapitel 24...fast zwei Monate lang im Gutshaus zu bleiben (bis hierhin ist alles klar und schön gemein) aber dann: und an der gebührenden Feier jenes Festes teilzunehmen, das einen mehr als normalen Aufwand an privaten Bällen und großen Dinners erfordert, um seine Bedeutsamkeit zu unterstreichen ( :gruebel: ) Auch der Blick ins Original hilft mir bei meinen durchschnittlichen Englisch-Fähigkeiten nicht weiter. Wie lautet der Satzteil in Euren Übersetzungen?

Ich denke auch, sie meint Weihnachten, das passt am Besten in die Zeit, denn es heißt ja dann im nächsten Kapitel: "daß Mrs. Jennings im Januar begann, ihren Sinn auf ihr eigenes Heim in London zu richten."

Elanor

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[During the 1960s] I think there was more sex in those old films than in all that thrashing around today. I'm tired of sex scenes.
Claudette Colbert

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BeitragVerfasst: Mittwoch 23. November 2011, 23:03 
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Austenfan

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Udo hat geschrieben:
Die Leichtigkeit der Schmerzbewältigung verhält sich proportional zur Einsicht in die Dusseligkeit des Liebesobjekts.

Was für ein herrlicher Satz, aber nicht immer wahr wie Marianne noch zeigen wird. :nein:

Udo hat geschrieben:
Also Männer reden nur über Probleme, für die sie keine Lösung haben

Also ich kenne das so:
Männer im allgemeinen reden mit anderen Männern über ungelöste Probleme wenn es um die Kategorie: „Wenn ich den Schraubenzieher hier reinstecke und mit der Zange da was abkneife, läuft der Kasten dann wieder“ geht.
Männer die auf Männer stehen, reden mit Frauen über alles, einschließlich der Liebe zu ihrer Mutter.
Männer die auf Frauen stehen, reden niemals mit Frauen über Probleme solange sie noch in der „Werbephase“ sind (und hinterher wird’s auch nicht viel besser). Weder über ungelöste (schon gar nicht wenn das Problem eine andere Frau ist) noch zu lösende (die lösen sie - da gebe ich dir recht). Wenn Frau sich dann hinterher bei ihnen bedankt sagen sie: „Kein Problem“ womit ja wohl alles klar ist. :rofl:

Udo hat geschrieben:
Elinor bewegt sich schon irgendwie in anderen Sphären...

Ich finde Elinor manchmal ganz schön scheinheilig. Das Gespräch zwischen ihr und Lucy ist ja wohl so ziemlich das hinterhältigste das sich Jane Austen je hat einfallen lassen.

Lucy: ...aber ich weiß, daß mir Edwards Liebe und Treue durch nichts geraubt werden können“
Elinor: „Diese Gewißheit muß Ihnen ALLES sein, und ihn hält zweifellos dasselbe Vertrauen in sie aufrecht. WENN die Stärke Ihrer gegenseitigen Zuneigung nachgelassen hätte, …., wäre Ihre Lage in der Tat bemitleidenswert. (Von hinten durch die Brust geschossen, Lucy kämpft auf verlorenem Posten und sie weiß es.)

Elanor hat geschrieben:
Ich denke auch, sie meint Weihnachten

Das ist des Rätsels Lösung, jetzt ergibt es Sinn und ich dachte immer welches Fest :lach:


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BeitragVerfasst: Donnerstag 24. November 2011, 12:03 
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Austenexperte
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Petra hat geschrieben:
Ich finde Elinor manchmal ganz schön scheinheilig. Das Gespräch zwischen ihr und Lucy ist ja wohl so ziemlich das hinterhältigste das sich Jane Austen je hat einfallen lassen.

Lucy: ...aber ich weiß, daß mir Edwards Liebe und Treue durch nichts geraubt werden können“
Elinor: „Diese Gewißheit muß Ihnen ALLES sein, und ihn hält zweifellos dasselbe Vertrauen in sie aufrecht. WENN die Stärke Ihrer gegenseitigen Zuneigung nachgelassen hätte, …., wäre Ihre Lage in der Tat bemitleidenswert. (Von hinten durch die Brust geschossen, Lucy kämpft auf verlorenem Posten und sie weiß es.)

So einfach sehe ich das nicht. Von gefühlsmäßigem Standpunkt aus magst du ja recht haben. Aber der war damals doch recht nachgeordnet.
Edward ist mit Lucy verlobt. Ein Eheversprechen, das rechtliche Konsequenzen hat (auch heute noch) Er konnte sich da nicht so einfach rausmogeln. Inwieweit Lucy das bei einer heimlichen Verlobung hätte einklagen können, da bin ich überfragt, aber es hätte seinem Ansehen nicht unbedingt gut getan Lucy sitzen zu lassen, um eine Andere zu heiraten.
Das Verlöbnis ohne Probleme zu lösen hätte wohl nur sie gekonnt, aber wozu, besser Edward in der Hinterhand als gar keine Heiratsaussichten, schon ein kleines fieses Cleverle, die Lucy :(

Elanor

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BeitragVerfasst: Donnerstag 24. November 2011, 20:44 
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Austenfan

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Elanor hat geschrieben:
Er konnte sich da nicht so einfach rausmogeln. Inwieweit Lucy das bei einer heimlichen Verlobung hätte einklagen können, da bin ich überfragt, aber es hätte seinem Ansehen nicht unbedingt gut getan Lucy sitzen zu lassen, um eine Andere zu heiraten.


Ich habe mich ja immer gefragt, warum die clevere Lucy ihre doch etwas beschränkte Schwester ins Vertrauen zieht, ein riskanter Akt wenn man um Geheimhaltung bemüht ist, allerdings nicht zu verachten wenn es um den Beweis eines Heiratsversprechens geht. Lucy steht standesmäßig unter Edward, was ihr nicht die besten Chancen einräumt, bei einer Anklage wegen Bruch des Eheversprechens. Ob und inwieweit Edward gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen wäre, richtet sich wohl danach wie nahe sich Lucy und er gekommen sind. Ob es zum Beispiel nur um einen Kuss geht oder ob womöglich ihre Jungfernschaft in Zweifel zu ziehen ist (der Verlust von Haaren wiegt sicher nicht schwer :lach: ). Mehr als eine geringfügige Geldstrafe dürfte nach den uns bekannten Fakten (man hat ja doch eher den Eindruck es ging recht platonisch zu ) nicht drin gewesen sein. Auf die Frage nach dem Verlust seines Ansehens gehen wir sicher später noch ein.


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BeitragVerfasst: Donnerstag 24. November 2011, 23:50 
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Administrator und Captain a.D. of HMS Groupread
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Petra hat geschrieben:
...aber nicht immer wahr wie Marianne noch zeigen wird. :nein:

Darüber können wir später ja noch reden. Denn bei Marianne liegt der Fall ja noch mal ganz besonders: Sie leidet nicht nur unter Liebeskummer, Frust und Enttäuschung. Sie ist eine fundamentalistische Romantik- und Liebesextremistin, mit Willoughy geht nicht nur ein böser Bube von Bord, sondern für Marianne bricht ihr gesamtes Weltbild zusammen - da braucht man schon etwas länger, um das wegzustecken....


Zitat:
Männer die auf Männer stehen, reden mit Frauen über alles, einschließlich der Liebe zu ihrer Mutter. Männer die auf Frauen stehen, reden niemals mit Frauen über Probleme solange sie noch in der „Werbephase“ sind (und hinterher wird’s auch nicht viel besser).

Wenn das stimmt, ist Edward kein Mann. (Oder vielleicht ein bisschen Bi?) Wie schon weiter oben bemerkt, redet er doch sensationell offen über all seine Probleme im Leben und mit dem Leben - ein Wunder, dass Elinor nicht vor Schreck davonrennt.

Zitat:
Ich finde Elinor manchmal ganz schön scheinheilig. Das Gespräch zwischen ihr und Lucy ist ja wohl so ziemlich das hinterhältigste das sich Jane Austen je hat einfallen lassen.


Hinterhältig finde ich jetzt etwas hart. Ich finde, hier lässt Elinor etwas von ihrer Bissigkeit aufblitzen, man sieht, dass sie doch nicht nur edel, gut und selbstlos ist. Langsam fange ich übrigens beim wiederholten Lesen an, mich zu fragen, woher mein Elinor-Bild eigentlich kommt, d.h., ob es nicht viel zu sehr von der Film-Elinor geprägt ist.


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BeitragVerfasst: Freitag 25. November 2011, 09:05 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Udo hat geschrieben:
Zitat:
Ich finde Elinor manchmal ganz schön scheinheilig. Das Gespräch zwischen ihr und Lucy ist ja wohl so ziemlich das hinterhältigste das sich Jane Austen je hat einfallen lassen.


Hinterhältig finde ich jetzt etwas hart. Ich finde, hier lässt Elinor etwas von ihrer Bissigkeit aufblitzen, man sieht, dass sie doch nicht nur edel, gut und selbstlos ist.


Na, was denn nun? "Edel, gut und selbstlos" ist langweilig und wenn man in so einer quälenden Situation wie dem Gespräch mit Lucy mal subtil seinem Herzen Luft macht, ist man gleich "bissig, hinterhältig und scheinheilig"?? Ihr seid ganz schön streng ...

Petra hat geschrieben:
(...) ob womöglich ihre Jungfernschaft in Zweifel zu ziehen ist (der Verlust von Haaren wiegt sicher nicht schwer)


Bzgl. "Verlust von Haaren" (Edward/Lucy) - da finde ich die Parallele zu Marianne und Willoughby ganz spannend, dort gab es ja auch einen "Haaraustausch". Sicher kein Zufall. Und harmlos übrigens auch nicht. Alexander Popes "The Rape of the Lock" war glaube ich auch zu Austens Zeiten noch recht einflussreich (Elinor z.B. erwähnt Pope Marianne gegenüber im Zusammenhang mit ihrem und Willoughbys literarischem Geschmack).
Auch war der Haaraustausch zwischen weniger gut situierten Liebenden, die sich ein Miniaturporträt nicht leisten konnten, eine ganz übliche und sehr wohl verbindliche Methode, Verbundenheit zu demonstrieren. Ganz zu schweigen von der sinnlich-erotischen Bedeutung von (Frauen)Haaren, die spätenstens seit Pope klar war.

Jill Heydt-Stevenson in "Austen's Unbecoming Conjunctions" hat geschrieben:
Strict rules dictated hair exchange: for example, an unmarried womam could receive a hair token from a man if she were engaged to him (...) and a man could plead for or claim what the culture considered to be a symbol of a woman's essence, but a woman could do so only if she had already surrendered her rights by agreeing to marry.


Zusammengefasst: Haaraustausch nur unter Verlobten.

Elinor ist demnach gerechtfertigterweise sofort überzeugt, dass Marianne und Willoughby verlobt sind, als Margaret ihr die Haar-Geschichte erzählt. Da ist Elinors Herz - entgegen des flüchtigen Eindrucks - wieder lauter als ihr Verstand: Sie ist geschockt, dass die Haare in Edwards Ring nicht von ihr sind! Und nachdem sie sich erholt hat, meint sie, dieser Liebesbeweis hätte bei Lucy und Edward sicher nichts zu sagen ...

Interessant auch die zweifache Bedeutung von Schmuck aus Haaren:

Zitat:
Cut hair stays youthful and fresh through time, so it can symbolize the immortality of love or family union. As a result, jewelers employed hair in both sentimental and mourning jewelery (...).


Die Verwendung von Haaren in Schmuck sowohl für Liebhaber als auch zur Erinnerung an Tote ist in diesem Zusammenhang doch zumindest milde makaber: Denn keine der so symbolisierten "ewigen" Verbindungen überdauert die Handlung des Romans.
Weiter steht in demselben Buch, dass die Haare oft in kleinen Fabriken zu Schmuck verarbeitet wurden und es häufig vorkam, dass Haare versehentlich vertauscht wurden bzw. nicht übergroßer Wert darauf gelegt wurde, dass die richtigen Haare im richtigen Schmuckstück landeten.
Das wiederum kann man im Zusammenhang mit Lucy und Edward auch ironisch bzw. als Verweis auf die weitere Handlung sehen: Nicht nur Lucys Haare, auch Lucys Liebe ist austauschbar.

Und noch ein haar-spaltendes Detail aus einem früheren Kapitel, das aber hier ganz gut passt: Elinor stellt im Zuge des Dialogs mit Margret über Mariannes Locke fest, dass die Miniatur, die Marianne um den Hals trägt ihren Großonkel zeigt (und nicht Willoughby, wie Margaret spekuliert hatte). Eben diesen Onkel, der die Dashwood-Damen mit seinem unfairen Testamant um eine halbwegs anständige Erbschaft gebracht hat. "Cut off", also "abschneiden" kann man im englischen wie im deutschen eine Haarsträhne, im englischen gibts außerdem die in der deutschen Übertragung nicht ganz so geläufige Formulierung "cut off from the inheritance" ("um das Erbe gebracht werden"), die z.B. in den ersten Kapiteln des Romans im Zusammenhang mit der Erbschaftsgeschichte fällt.
Den bezeichnenden Gleichklang von "heir" (Erbe) und "hair" (Haar) und den inhaltlichen Zusammenhang im Roman im Bezug auf die "enterbte" und um ihr Haar gebrachte Marianne, sowie den beinahe enterbten Willoughby (und den tatsächlich enterbten Edward, der aber laut Lucy ihren Ring gern behalten darf) kann man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen...

So, ich hoffe, ich habe jetzt niemanden verschreckt, aber seit ich vor ein paar Jahren oben erwähntes Buch von Jill Heydt-Stevenson gelesen habe bin ich immer wieder begeistert über die vielen Bezüge und Sinnverweise auf Schmuck in diesem Roman. :wink:


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BeitragVerfasst: Freitag 25. November 2011, 11:23 
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Austenexperte
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Julia hat geschrieben:
So, ich hoffe, ich habe jetzt niemanden verschreckt, aber seit ich vor ein paar Jahren oben erwähntes Buch von Jill Heydt-Stevenson gelesen habe bin ich immer wieder begeistert über die vielen Bezüge und Sinnverweise auf Schmuck in diesem Roman. :wink:


Niein, ich finde diese Ausführungen sehr interessant und außerdem:
da bin ich aber gespannt auf die Betrachtung über die Verwendung eines Zahnstocheretuis :D :fies_sei:

Elanor

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BeitragVerfasst: Freitag 25. November 2011, 11:43 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Ich kann gern drauf zurückkommen ... :D


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BeitragVerfasst: Freitag 25. November 2011, 12:47 
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Austenfan

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Julia hat geschrieben:
So, ich hoffe, ich habe jetzt niemanden verschreckt


Also definitiv hast du das Niveau angehoben :wink: , was man nicht alles an den Haaren herbei ziehen kann. Nee, Im Ernst, sehr interessante Ausführungen! Ich werde gleich noch mal die Stelle mit dem Medaillon nachlesen, an die kann ich mich gar nicht mehr erinnern.

Julia hat geschrieben:
Na, was denn nun? "Edel, gut und selbstlos" ist langweilig und wenn man in so einer quälenden Situation wie dem Gespräch mit Lucy mal subtil seinem Herzen Luft macht, ist man gleich "bissig, hinterhältig und scheinheilig"?? Ihr seid ganz schön streng ..


Wollte mal am Strahlenkranz von Elinor kratzen, ich weiß noch genau, als ich vor über 30 Jahren das erste mal den Roman gelesen habe, da fiel es mir schwer sie zu mögen. In der Zwischenzeit hat sich das geändert aber so einen Heiligenschein wie Jane Bennet trägt sie nicht.

Udo hat geschrieben:
mich zu fragen, woher mein Elinor-Bild eigentlich kommt, d.h., ob es nicht viel zu sehr von der Film-Elinor geprägt ist.


Ich kann mich auch schwer freimachen von den Bildern, vor allem wenn sie doch immer ein ähnliches (in meinen Augen s/w) Abbild zeigen.

Udo hat geschrieben:
Wenn das stimmt, ist Edward kein Mann. (Oder vielleicht ein bisschen Bi?) Wie schon weiter oben bemerkt, redet er doch sensationell offen über all seine Probleme im Leben und mit dem Leben - ein Wunder, dass Elinor nicht vor Schreck davonrennt.


In einer Doktorarbeit über Mutter und Tochter Beziehungen in der Literatur (hatte jemand hier im Forum verlinkt) wurde die These aufgeworfen, Edward wäre für Elinor eine Art Mutterersatz (was ich doch sehr anzweifle) eher ist es umgekehrt. Elinor nimmt die männlich/rationale Rolle in der Familie ein, bei so viel Irrationalität seitens der Mutter und Marianne auch absolut notwendig, wenn sie nicht alle untergehen wollen. Gleichzeitig besitzt sie auch die Wärme und das Einfühlungsvermögen einer Mutter. Ich denke Edward fühlt sich von dieser Ambivalenz sehr angezogen (da ihm beides in seiner eigenen Familie fehlt) und Elinor sieht sich durch ihn in ihrer Rolle als "Familienoberhaupt" bestätigt. Ich sehe in Edward definitiv eine ausgeprägte weibliche Seite (ohne ihm zu unterstellen er wäre gay).
Im Übrigen kann man den Titel des Romans auch auf die männlichen Protagonisten ausdehnen, Edward ist Marianne ähnlicher als man auf den ersten Blick annimmt (ich denke da an seine Beziehung zu Lucy)(imho) aber auch Elinor in Bezug auf die Stellung als Gegenpol in der eigenen Familie.


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BeitragVerfasst: Freitag 25. November 2011, 13:53 
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Zitat:
Im Übrigen kann man den Titel des Romans auch auf die männlichen Protagonisten ausdehnen, Edward ist Marianne ähnlicher als man auf den ersten Blick annimmt (ich denke da an seine Beziehung zu Lucy).


Das stimmt - zumindest was unüberlegte Liebesbeziehungen betrifft. Aber die Bäume mag er gerade und die Straßen trocken - da hören die Gemeinsamkeiten also schon auf. :wink:

Edward wirkt in der Beziehung zu Elinor wirklich sehr weich - aber "unmännlich"? Dazu müsste man sich wahrscheinlich mal detailliert mit dem Männerbild bzw. -ideal dieser Zeit auseinandersetzen. Ist immer gefährlich, da mit unseren aktuellen Maßstäben zu messen.
Ich denke seine dominante Mutter spielt da auch eine Rolle - abgesehen vom Geschlecht (und dem fehlenden Vater als Gegenpol): Er ist finanziell abhängig von ihr bzw. hochgradig manipulierbar. Genau das reizt Lucy wahrscheinlich an ihm ... Und wir sehen ja später, dass sie Mrs Ferrars zu "knacken" weiß.


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BeitragVerfasst: Freitag 25. November 2011, 23:57 
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Julia hat geschrieben:
Bzgl. "Verlust von Haaren" (Edward/Lucy) - da finde ich die Parallele zu Marianne und Willoughby ganz spannend, dort gab es ja auch einen "Haaraustausch".


Die Parallele finde ich auch interessant. Obwohl ich mir noch nicht ganz sicher bin, ob sie mehr sagt, als dass es damals ziemlich üblich war, dass Liebende ihre Haare austauschten, wenn sie heiraten wollten.

Bei dieser These unter Rückgriff auf fehlerhaft arbeitende Fabriken:

Zitat:
Das wiederum kann man im Zusammenhang mit Lucy und Edward auch ironisch bzw. als Verweis auf die weitere Handlung sehen: Nicht nur Lucys Haare, auch Lucys Liebe ist austauschbar.


Und bei diesem Zusammenhang zwischen vererben und Haare abschneiden:

Zitat:
Den bezeichnenden Gleichklang von "heir" (Erbe) und "hair" (Haar) und den inhaltlichen Zusammenhang im Roman im Bezug auf die "enterbte" und um ihr Haar gebrachte Marianne, sowie den beinahe enterbten Willoughby (und den tatsächlich enterbten Edward, der aber laut Lucy ihren Ring gern behalten darf) kann man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen...


... bin ich dagegen eher nicht bei Dir. Das scheint mir doch etwas sehr überinterpretiert. Bzw. ich finde es ganz lustig, mag aber nicht glauben, dass JA in dem Fall mit dem Gleichklang der Wörter irgendwie auf irgendwas anspielen wollte. Das vor Dir erwähnte Buch scheint ja sehr heiter zu sein, mich erinnert das aber ein wenig an die literaturwissenschaftliche Phase, in der man Romane von Computern daraufhin untersuchen ließ, wie oft welche Wörter vorkommen - und daraus seltsame Schlüsse zog.

Petra hat geschrieben:
Elinor nimmt die männlich/rationale Rolle in der Familie ein, bei so viel Irrationalität seitens der Mutter und Marianne auch absolut notwendig, wenn sie nicht alle untergehen wollen. Gleichzeitig besitzt sie auch die Wärme und das Einfühlungsvermögen einer Mutter. Ich denke Edward fühlt sich von dieser Ambivalenz sehr angezogen (da ihm beides in seiner eigenen Familie fehlt) und Elinor sieht sich durch ihn in ihrer Rolle als "Familienoberhaupt" bestätigt.

Also auch da habe ich so meine Zweifel - vielleicht hast Du auch gerade Emma Thompson vor Augen? :wink: Denn im Buch ist Edward etwa 23, soweit ich mich erinnere, Elinor 19, da fällt es mir schwer, zu glauben, dass Edward in Elinor mütterliche Seiten anziehend findet. Aber wer weiß...?
Julias Hinweis auf Edwards Mutter finde ich plausibler, weil es in das typische Jane-Austen-Schema von guten und schlechten Eltern und den Folgen ihrer Erziehung für die Kinder passt. Vermutlich sehnt sich Edward deshalb weniger nach einem Mutterersatz, als einfach nach einer guten Seele, die nicht permanent Anforderungen an ihn stellt (weshalb er auch nicht in Gefahr ist, sich in Marianne zu verlieben...).

Mein Bild von Elinor wandelt sich aber, wie erwähnt, gerade etwas. Ich hatte ja die unglaublich selbstlosen und großherzigen Überlegungen Elinors am Anfang von Kap 23 erwähnt, die uns in Form der "erlebten Rede" präsentiert werden. Ich frage mich jetzt, ob ich mal wieder auf Austen reingefallen bin. Denn bei James Wood, Die Kunst des Erzählens, bin ich heute auf den Hinweis gestoßen, dass die erlebte Rede eigentlich immer ironisch ist. Will sagen: Vielleicht macht sich Austen, die Meisterin der Ironie, an dieser Stelle köstlich lustig über Elinor? Vielleicht wird sie hier gar nicht als die gute Seele von Barton Cottage präsentiert?


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BeitragVerfasst: Samstag 26. November 2011, 11:25 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Zitat:
(...) bin ich dagegen eher nicht bei Dir. Das scheint mir doch etwas sehr überinterpretiert. Bzw. ich finde es ganz lustig, mag aber nicht glauben, dass JA in dem Fall mit dem Gleichklang der Wörter irgendwie auf irgendwas anspielen wollte.


Es geht beim Interpretieren ja eigentlich auch nicht vordergründig darum zu "beweisen", was der Autor "gemeint" hat, bzw. führt so ein Ansatz ganz schnell in eine Sackgasse. Es ist völlig egal, was und worauf JA anspielen "wollte" - Text und Autor sind zwei verschiedene Ebenen, d.h. man analysiert den Text in diesem Fall im Kontext zeitgenössischer Symbolik, Kultur oder Mentalität. Und nicht im Zusammenhang biografischer (also autorbezogener) Aspekte.

Aus dieser Perspektive ist alles schlüssig, was logisch erklärbar ist. :wink: Der entscheidende Maßstab ist, ob man den Gedankengang ansich überzeugend findet, oder nicht.


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BeitragVerfasst: Samstag 26. November 2011, 12:48 
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Austenfan

Registriert: Donnerstag 17. November 2011, 20:22
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Udo hat geschrieben:
Also auch da habe ich so meine Zweifel - vielleicht hast Du auch gerade Emma Thompson vor Augen? :wink: Denn im Buch ist Edward etwa 23, soweit ich mich erinnere, Elinor 19, da fällt es mir schwer, zu glauben, dass Edward in Elinor mütterliche Seiten anziehend findet. Aber wer weiß...?

Mal abgesehen davon, dass schon kleine Mädchen eifrig aufs Mutterdasein konditioniert werden, den Begriff Mütterlichkeit sollte man nicht nur mit dem Alter einer Frau verbinden. Ich versteh ihn hier als Symbol für die bedingungslose Liebe, d.h. eine Zuneigung die man sich nicht erarbeiten muss (immerhin scheut sich Edward gegenüber Elinor nicht seine Schwächen und Fehler einzugestehen, ja er kokettiert sogar damit, betont seine Hilflosigkeit, er tut sich schwer mit Entscheidungen, ist nicht in der Lage Verantwortung zu übernehmen, die über das Dulden von gesellschaftlichen Normen hinaus geht.) Erwachsenes Verhalten sieht anders aus.


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BeitragVerfasst: Samstag 26. November 2011, 18:09 
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Julia hat geschrieben:
Es ist völlig egal, was und worauf JA anspielen "wollte" - Text und Autor sind zwei verschiedene Ebenen, d.h. man analysiert den Text in diesem Fall im Kontext zeitgenössischer Symbolik, Kultur oder Mentalität. Und nicht im Zusammenhang biografischer (also autorbezogener) Aspekte.

Ich denke auch nicht, dass man bei der Analyse oder Interpretation eines Textes auf den biographischen Hintergrund des Autors zurückgreifen muss. Wenn es solche Bezüge gibt, finde ich das allerdings interessant, nicht wenige Romane beziehen ihren Stoff ja auch ganz offen aus dem Erleben des Autors. Ob das bei Austen so ist, weiß ich nicht, man kann es aber über die beschriebenen Lebensumstände hinaus wohl bezweifeln, schätze ich. Was anderes ist es aber doch, wenn man sich fragt, was die Intention des Autors gewesen sein könnte, im Grunde ist das die interessanteste Interpretationsarbeit. Denn wenn wir in einen Austen-Roman etwas hineindeuten, was völlig abseits ihrer Absicht ist, dann sagt das vermutlich schlimmstenfalls, dass sie sich nicht so recht auszudrücken wusste. :wink: (Oder bestenfalls, dass der Kritiker nicht ganz bei Trost ist.)

Zitat:
Aus dieser Perspektive ist alles schlüssig, was logisch erklärbar ist. :wink: Der entscheidende Maßstab ist, ob man den Gedankengang ansich überzeugend findet, oder nicht.

Das stimmt natürlich, man kann immerhin in Romanen auch Sachen entdecken, die dem Autoren selbst nicht bewusst waren - möglicherweise auch, weil sie für ihn so selbstverständlich waren, dass er sich darum keinen Kopf zu machen brauchte. Dann geht es dabei aber vielleicht oft um nicht-absichtsvolle Bezüge, die interessant, aber für das Verständnis des Romans nicht entscheident sind. Ich fürchte ein wenig, dass da der Spekulation Tür und Tor geöffnet werden...


Petra hat geschrieben:
Ich versteh ihn hier als Symbol für die bedingungslose Liebe, d.h. eine Zuneigung die man sich nicht erarbeiten muss.

Edwards und die eine oder andere Mutter bei Jane Austen zeigen, dass diese Deutung der mütterlichen Liebe vielleicht nicht mal die Regel sein muss. Ich weiß nicht recht, ob ich Elinors Liebe zu Edward so deuten möchte. Oder dass Edward gerade diese Art von Liebe sucht. Aber ich denke wie gesagt auch, dass er es leid war, dass ständig Anforderungen an ihn gestellt werden - wenn das heißt, dass er sich nichts "erarbeiten" muss, sind wir uns fast einig. :wink:

Zitat:
Erwachsenes Verhalten sieht anders aus.

Du findest Edward kindisch? Hast Du dabei auch die Fechtszene aus der 95er-Verfilmung vor Augen?

Bemerkenswert finde ich, dass Lucy in Kap 24 fast genauso wie zuvor Marianne tönt, sie könne für ihre Liebe zu Edward "auch mit großer Armut fertig werden". Und während Marianne mit 2000 im Jahr zufrieden wäre, würden Lucy die 2000 (zufällig dieselbe Summe?) reichen, die Edward jetzt gerade besitzt. Der Unterschied ist natürlich, dass das bei Lucy verlogen ist, während Marianne tatsächlich glaubt, die Liebe wäre wichtiger als Geld. Andererseits: Wenn man Lucy gegenüber ehrlich ist, sieht sie die Lage ja durchaus wesentlich realistischer als Marianne. In dieser Hinsicht ist sie relativ nahe bei Elinor.


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BeitragVerfasst: Samstag 26. November 2011, 21:19 
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Udo hat geschrieben:
Andererseits: Wenn man Lucy gegenüber ehrlich ist, sieht sie die Lage ja durchaus wesentlich realistischer als Marianne. In dieser Hinsicht ist sie relativ nahe bei Elinor.

Fairerweise muß man schon sagen, daß Lucy ja nur das versucht, was viele Frauen ihrer Zeit gemacht haben: sich möglichst gut zu verkaufen und eine möglichst gute Partie zu machen, um versorgt zu sein und der eignen Familie nicht auf der Tasche zu liegen oder als arme Jungfer zu enden
Leider ist sie dermaßen selbstbezogen, gerissen, wenig liebenswert und auf plumpe Art ungebildet ohne nach Besserung zu streben (außer in finanzieller Hinsicht), daß man sie trotzdem nicht mag. :ja: :fies_sei:

Elinor

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BeitragVerfasst: Sonntag 27. November 2011, 09:12 
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Zitat:
Was anderes ist es aber doch, wenn man sich fragt, was die Intention des Autors gewesen sein könnte, im Grunde ist das die interessanteste Interpretationsarbeit. Denn wenn wir in einen Austen-Roman etwas hineindeuten, was völlig abseits ihrer Absicht ist, dann sagt das vermutlich schlimmstenfalls, dass sie sich nicht so recht auszudrücken wusste. (Oder bestenfalls, dass der Kritiker nicht ganz bei Trost ist.)


In Austens Fall wissen wir aber so gut wie nichts über ihre Intention. Die wenigsten Autoren hinterlassen detaillierte Erläuterungen zu ihrem Werk, es sei denn sie haben so ein Sendungsbewusstsein wie Thomas Mann oder Goethe. Sich bei der Interpretationsarbeit darauf zu konzentrieren, was ihre Intention gewesen sein könnte, beinhaltet also wahrscheinlich ebensoviel Spekulation wie wenn man es bleiben lässt.
Sowieso geht's mir nicht ums Spekulieren, sondern ums Nachdenken. Oder in die Tiefe gehen, andere Ebenen finden, als die, die oben aufliegt.


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BeitragVerfasst: Sonntag 27. November 2011, 15:18 
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Udo hat geschrieben:
Du findest Edward kindisch? Hast Du dabei auch die Fechtszene aus der 95er-Verfilmung vor Augen?


:lach: Nein, ich beziehe mich hier ausschließlich auf den Text. Ich fürchte ich kann dir meine Gedanken nicht ganz verständlich machen. Ich hoffe ich langweile Euch jetzt nicht zu sehr, wenn ich noch mal darauf herumreite. :gnade:
Edward hat in seiner eigene Familie keine mütterliche (selbstlose) Liebe kennen gelernt, von ihm wird erwartet das er sie sich erarbeitet (Voraussetzung für väterliche Liebe , vergleiche dazu Erich Fromm „Die Kunst des Liebens“). Mutter und Schwester erwarten von ihm, dass er sich auszeichnet, dieser Erwartung verweigert er sich aber standhaft. Er hat anscheinend überhaupt keine Liebe erfahren, interessant, wenn man unter diesem Aspekt bedenkt, dass er sich der kirchlichen Laufbahn verschreiben möchte, also wenigstens in der Liebe Gottes aufgehoben sein kann. Insofern muss er sich zwangsläufig von Elinor und auch der ganzen Familie Dashwood angezogen fühlen, die ihn so annehmen wie er ist.

Julia hat geschrieben:
hochgradig manipulierbar. Genau das reizt Lucy wahrscheinlich an ihm ... Und wir sehen ja später, dass sie Mrs Ferrars zu "knacken" weiß.


Manipulation ist meist das einzige Mittel der Machtlosen. Ich sehe Edward allerdings (in ihren Augen) eher als gänzlich ungeeignetes Objekt an, da ihm das was er sich ersehnt (s.o.) von Lucy gar nicht gewährt werden kann und sie von ihm auch nicht das bekommt was sie erstrebt.

Julia hat geschrieben:
Fairerweise muß man schon sagen, daß Lucy ja nur das versucht, was viele Frauen ihrer Zeit gemacht haben: sich möglichst gut zu verkaufen und eine möglichst gute Partie zu machen, um versorgt zu sein und der eignen Familie nicht auf der Tasche zu liegen oder als arme Jungfer zu enden


:ja:

Wie man es richtig macht, zeigt das Beispiel einer gewissen Bess von Hardwicke, die im 16.Jahrhundert in England außerordentliches Geschick bewies. Trotz einer mehr als bescheidenen Mitgift von 25 Pfund, aber einem hübschen Gesicht und wirklichem Verstand gesegnet, heiratete sie einen jungen Adligen, Robert Barlow, der ihr bei der Heirat ein großzügiges Wittum aussetzte und binnen einiger Monate nach dem Ereignis verstarb. 1547 heiratete sie den Witwer William Cavendish, einen Großgrundbesitzer in Derbyshire, und als er 10 Jahre später starb, teilte sie den Besitz mit seinen und ihren gemeinsamen Nachkommen. 2 Jahre später heiratete sie einen anderen Witwer, der nach 6 Jahren starb und in Ermangelung eines unmittelbaren Erben alles seiner „lieben Bess“ vermachte. Damit nicht genug ging sie 8 Jahre später eine weitere Ehe ein, und zwar mit Georg Talbot, Graf von Shrewsbury, einem der reichsten Männer Englands.Das nenne ich mal eine Karriere :lach: Quelle: Frauenleben, eine europäische Geschichte 1500-1800 von Olwen Hufton, auf deutsch verlegt 1998, das teuerste Buch, das ich mir je gekauft habe. (lange hat es gedauert das ich damit mal angeben konnte)

Was Interpretationen betrifft, ich finde es außerordentlich reizvoll Spekulationen nachzuhängen, biografische Daten dabei zu betrachten eingeschlossen.

:tannenbaum: Übrigens allen einen schönen 1. Advent.


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BeitragVerfasst: Montag 28. November 2011, 20:16 
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Zitat:
In Austens Fall wissen wir aber so gut wie nichts über ihre Intention.

Wenn es anders wäre, wäre das Interpretieren ja auch nur halb so interessant... :wink: Und sicher hast Du recht, man spekuliert immer etwas, ist halt immer die Frage, wie gut man seine Vermutungen belegen und begründen kann. Ich habe bei den von Dir aus dem Buch erwähnten Deutungen (so unterhaltsam ich sie finde!) nur den Eindruck, dass sie etwas arg zusammengeklaubt sind. Aber da kann ich natürlich auch total daneben liegen.


Petra hat geschrieben:
Edward hat in seiner eigene Familie keine mütterliche (selbstlose) Liebe kennen gelernt, von ihm wird erwartet das er sie sich erarbeitet (Voraussetzung für väterliche Liebe , vergleiche dazu Erich Fromm „Die Kunst des Liebens“).

Fromm ist gut. :wink: Und doch tue ich mich mal wieder schwer mit der Psychologie. Ich würde z.B. einfach sagen, dass jemand, der in so einer verkorksten Familie aufwächst, sich praktisch in jede Frau verlieben könnte, die halbwegs normal ist oder scheint. Und mit dem "scheint" bin ich bei einem Gegenargument gegen Deine These: Denn Edward hat sich ja zuerst in Lucy verliebt - seine Liebe scheint sich also keineswegs auf irgendwie mütterliche Frauen oder mütterliche Liebe spendende Frauen zu fokussieren.

Ich finde übrigens die ganze Gesprächsszene zwischen Elinor und Lucy in Kap 24 sehr gut gemacht. Man kann sich richtig vorstellen, wie die beiden da zusammenhocken und flüstern. Und bei diesem Mal ist mir auch erstmals richtig aufgefallen, wie Austen Lucy und ihre Schwester sprachlich unschön reden lässt, um deutlich zu machen, wie sie drauf sind.

Überrascht hat mich ein wenig, dass Austen am Ende des Gesprächs so deutlich schreibt, wie wenig sich die beiden mögen. Das ist so eine Passage, in der ich beim Lesen den Eindruck habe, hier spricht die Autorin durch Elinor. Das geht mir manchmal so, dass Austen durch welche stilistischen Mittel auch immer irgendwann plötzlich präsent zu sein scheint. Und sei es nur ganz kurz. Ganz extrem ist das ja in Northanger Abbey so, wenn plötzlich Lobreden aufs Romane lesen gehalten werden.... Irgendwie verwischen hier und da die Grenzen zwischen Erzählstimme, Autorin und Hauptfigur.


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BeitragVerfasst: Montag 28. November 2011, 23:44 
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Udo hat geschrieben:
Gegenargument gegen Deine These: Denn Edward hat sich ja zuerst in Lucy verliebt - seine Liebe scheint sich also keineswegs auf irgendwie mütterliche Frauen oder mütterliche Liebe spendende Frauen zu fokussieren.



Verflixt, du denkst jetzt hast du mich :lach: :lach: Ich bin doch Hobby-Psychologin. Erstens war er damals in der Hormonphase und da denkt man nur sehr beschränkt nach was man so tut. Außerdem kann ihm Lucy auch etwas vorgegaukelt haben, was er erst jetzt - als er Elinor kennenlernt, erkennt (die beiden Dashwood Schwestern sind schließlich sehr seltene Exemplare). Ich hab nie behauptet, dass er auf mütterliche Frauen fixiert ist sondern nur, dass er von ihr auf eine Weise geliebt wird, die eine starke mütterliche Komponente enthält und die ihn auf Grund seiner Familienverhältnisse sehr anzieht.

Habt ihr eigentlich schon mal über die Namen der Protagonisten bei Jane Austen nachgedacht? Da würde mir so einiges an Interpretationen einfallen.

Edit:
:offtopic: Ich sehe, ihr habt einen ganzen Unterordner dazu. Jetzt ist mir auch klar, warum Meli von Selbstgesprächen geredet hat. Mir schwirrt der Kopf :lach: Meine Überlegungen gingen allerdings in eine völlg andere Richtung und hatten mehr mit der Bedeutung der Namen zu tun als ihrer Herkunft. Vergesst die Frage.


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BeitragVerfasst: Dienstag 29. November 2011, 16:54 
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Udo hat geschrieben:
Bemerkenswert finde ich, dass Lucy in Kap 24 fast genauso wie zuvor Marianne tönt, sie könne für ihre Liebe zu Edward "auch mit großer Armut fertig werden". Und während Marianne mit 2000 im Jahr zufrieden wäre, würden Lucy die 2000 (zufällig dieselbe Summe?) reichen, die Edward jetzt gerade besitzt.


Bestimmt kein Zufall, allerdings redet meiner Meinung nach Marianne von 2000 im Jahr, während Lucy von 2000 als insgesamtem Vermögen spricht (imho)


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BeitragVerfasst: Dienstag 29. November 2011, 19:55 
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Austenexperte
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Petra hat geschrieben:
Udo hat geschrieben:
Bemerkenswert finde ich, dass Lucy in Kap 24 fast genauso wie zuvor Marianne tönt, sie könne für ihre Liebe zu Edward "auch mit großer Armut fertig werden". Und während Marianne mit 2000 im Jahr zufrieden wäre, würden Lucy die 2000 (zufällig dieselbe Summe?) reichen, die Edward jetzt gerade besitzt.


Bestimmt kein Zufall, allerdings redet meiner Meinung nach Marianne von 2000 im Jahr, während Lucy von 2000 als insgesamtem Vermögen spricht (imho)


Ich glaube, genau das meinte Udo ja auch

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BeitragVerfasst: Mittwoch 30. November 2011, 08:30 
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Austenfan

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Petra hat geschrieben:
Ich glaube, genau das meinte Udo ja auch


Stimmt, den Nebensatz hab ich wohl nicht richtig registriert. :gruebel:


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BeitragVerfasst: Donnerstag 1. Dezember 2011, 20:59 
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Petra hat geschrieben:
Verflixt, du denkst jetzt hast du mich :lach: :lach: Ich bin doch Hobby-Psychologin. Erstens war er damals in der Hormonphase und da denkt man nur sehr beschränkt nach was man so tut. Außerdem kann ihm Lucy auch etwas vorgegaukelt haben, was er erst jetzt - als er Elinor kennenlernt, erkennt (die beiden Dashwood Schwestern sind schließlich sehr seltene Exemplare).

Das mag ich so an der Psychologie: Sie hat immer für alles eine Erkärung parat - und wenn sie mal daneben liegt, gibt es auch dafür eine überzeugende Erklärung... ;D

Aber wo wir gerade beim Psychologisieren sind (und in Kap 25 ja so wenig passiert, dass man es eigentlich auch ganz hätte weglassen können....): Im Buch wird ja immer mal wieder deutlich (auch in Kap 25, es ist also doch nicht so überflüssig :wink: ), dass Elinor nicht so große Stücke auf das Urteilsvermögen ihrer Mutter hält. In den 30er Jahren gab es von Clarissa Rinaker und Geoffrey Gorer Aufsätze, die sich psychoanalytisch mit Austen beschäftigten. Ihre These: Austen hatte einen Elektrakomplex, sie liebte ihren Vater sehr, kam mit ihrer Mutter aber nicht so gut klar (auf Letzteres deuten übrigens tatsächlich manche Stellen in den erhaltenen Briefen hin). Diesen Konflikt habe, so die Autoren, Austen in ihre Romane übertragen, er spiegele sich in der Situation ihrer Protagonistinnen. Die haben nämlich hier und da auch kein sehr gutes (oder zumindest ein kritisches) Verhältnis zu ihrer Mutter und heiraten meist vernünftige Männer (z.B. Darcy, Wentworth, Tilney, Brandon, Edmund Bertram) statt unreifer Liebeshelden (Willoughby und all die anderen Lustmolche). In gewisser Weise hat Jane Austen ihren Elektrakomplex also in ihren Romanen verarbeitet....

Ich habe diese Aufsätze übrigens nicht gelesen, ich beziehe mich auf Reimer Jehmlichs Buch "Jane Austen", in dem er diesem Thema ein oder zwei Seiten widmet.

Ob das die Interpretation der Austenschen Werke weiterbringt? Jedenfalls ist es eine spezielle Sichtweise auf die Romane, die (wie Julia geschrieben hat) andere Ebenen aufdecken könnte. Und es macht einem bestimmte Figurenkonstellationen immerhin bewusst, auch wenn man der freudschen Deutung (oder C. G. Jungs) nicht zustimmen mag.


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BeitragVerfasst: Freitag 2. Dezember 2011, 16:15 
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D'Arcy-Expertin mit Adelsaffinität
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Ich sehe das Urteilsvermögen ebenso kritisch wie Elinor. Man/n und Frau hält allgemein große Stücke auf ihn, so große allerdings dass ein fauxpas, wie eine einsame Kutschfahrt mit Marianne ins Haus der verreisten Tante, und damit sturmfreien Bude nicht wirklich in Frage stellt, wozu es jeden grund gegeben hätte. Und so leidenschaftlich wie Marianne liebt, und so nervenzerreißend ihr Kummer ist, kann ich diese Aktion nicht so jungfräulich betrachten, wie es Mutter Dashwood tut. Sie hätte außer sich sein sollen, aber nein.

Man geht davon aus, sie seien sich bereits versprochen. Doch seien wir ehrlich, auch dann hätte es sich zur damaligen Zeit eigentlich nicht gehört. Ich bin immer noch, und bei jedem lesen aufs neue verwundert, dass diese Aktion so stoisch aufgenommen wird. Wenn schon Muttern sich nicht rührt, aber die Nachbarn hätten Mutter Dashwood ins Gewissen reden sollen, würde man meinen, aber auch hier keine nennneswerte Reaktion. Man scheint Willuoghby aufgrund seines Charmes und seines Auftretens nichts Böses zugetraut zu haben, und ihm etliche Fehler einfach verziehen zu haben, ohne Auhebens zu machen.

Petra hat geschrieben:
Wie man es richtig macht, zeigt das Beispiel einer gewissen Bess von Hardwicke, die im 16.Jahrhundert in England außerordentliches Geschick bewies. Trotz einer mehr als bescheidenen Mitgift von 25 Pfund, aber einem hübschen Gesicht und wirklichem Verstand gesegnet, heiratete sie einen jungen Adligen, Robert Barlow, der ihr bei der Heirat ein großzügiges Wittum aussetzte und binnen einiger Monate nach dem Ereignis verstarb. 1547 heiratete sie den Witwer William Cavendish, einen Großgrundbesitzer in Derbyshire, und als er 10 Jahre später starb, teilte sie den Besitz mit seinen und ihren gemeinsamen Nachkommen. 2 Jahre später heiratete sie einen anderen Witwer, der nach 6 Jahren starb und in Ermangelung eines unmittelbaren Erben alles seiner „lieben Bess“ vermachte. Damit nicht genug ging sie 8 Jahre später eine weitere Ehe ein, und zwar mit Georg Talbot, Graf von Shrewsbury, einem der reichsten Männer Englands.Das nenne ich mal eine Karriere :lach: Quelle: Frauenleben, eine europäische Geschichte 1500-1800 von Olwen Hufton, auf deutsch verlegt 1998, das teuerste Buch, das ich mir je gekauft habe. (lange hat es gedauert das ich damit mal angeben konnte)


Das kann gar nicht so stimmen. Sowohl Robert Barlow, als auch Bess waren sehr jung bei der Heirat. Barlow selbst soll erst 14 gewesen sein? Er war noch gar nicht geschäftsfähig und hat sicher nicht den Heiratsvertrag ausgehandelt. Ich habe sogar gelesen, die Ehe sei noch gar nicht wirklich verzogen worden, da er zu früh verstarb. Sei's drum. Cassandra erhielt ja nun auch eine gewisse Entschädigung, als ihr Verlobter starb.

Im Übrigen wurden die "Morgengaben" die Witwen zu erhalten hatten in höheren Kreisen immer vertraglich ausgehandelt. Und Bess selbst spielte dabei keine wirkliche Rolle. Die Verhandlungen wurden von Männern geführt, von Oheimen, älteren Brüdern, Onkeln, Vätern etcpp.

So viel nur zum ersten Gatten.

_________________
:blume: Grüsse, Caro

Avatar: Amelia Darcy (1754-1784)

Für 1 Jahr säe einen Samen, für 10 Jahre pflanze einen Baum, für 100 Jahre erziehe einen Menschen. chin. Weisheit


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