Julia hat geschrieben:
Ulli hat geschrieben:
Im großen und ganzen folgt man als Erstleser der Meinung von Elisabeth. Auch wir ändern erst unsere Meinung, als Elisabeth es tut. Wir sind also auf dem gleichen Wissensstand wie sie und können während des Lesens nicht irritiert ob ihres Verhaltens sein. Sobald sie ihren Fehler einsieht, verhält sie sich wieder tadellos und sie hat unsere Zustimmung.
Bei Emma schüttelt man während des Lesens öfters den Kopf, weil man aus der Distanz sieht, daß da etwas falsch läuft.
Bei mir war es genau umgekehrt!!! - ich habe schnell gemerkt, das Elisabeth falsch liegt. Bei ihrer irrationalen Ablehnung Darcy gegenüber (und der Ignoranz seiner wachsenden Zuneigung ihr gegenüber) und auch das sie Wickham so uneingeschränkten Glauben schenkt.
Das Buch ist ja auch nicht ausschließlich aus der Perspektive Lizzys geschrieben, im Gegenteil: Der Erzähler gibt ganz eindeutige Hinweise auf Darcys Gefühle.
Bei "Emma" hingegen bin ich voll in die Frank/Jane-Falle getappt, was sicher daran liegt, dass die Stimme des Erzählers vorgibt, Emmas zu sein (
das finde ich, ist das Geniale an diesem Buch!). Die Handlung wird ausschließlich aus Emmas Perspektive erzählt.
Klar, man merkt vielleicht, dass Emma sich falsch verhält, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand der das Buch ohne Vorkenntnis (Film o.ä.) liest, wirklich wesentlich eher als Emma hinter die Wahrheit (auch bzgl. Mr Elton) kommt.
Oder?
Bei Emma meine ich etwas anderes: Natürlich bin auch ich ihrem Gedankengang bei Frank gefolgt und Mr. Eltons Fixierung ist mir wahrscheinlich (habe das Buch vor 12 Jahren gelesen
) auch entgangen, aber daß sie sich falsch verhält, war davon unabhängig zu merken, weil sie ganz offensichtlich nach Lust und Laune verbandeln wollte, ohne aber sich darüber Gedanken zu machen, ob die beiden zusammenpassen bzw. glücklich werden könnten. Oder überhaupt die Augen aufzumachen, ob die Beteiligten Interesse haben und auch über den wohlmeinenden Rat von Mr. Knightley nachzudenken. Gerade dieser immerwährende Zwiespalt zwischen ihrem Charme und diesem Charakterproblem begründet für mich während des Lesens den Reiz der Figur.
Der Umschwung bei Elisabeth schien mir nie zu plötzlich. Elisabeth läßt nochmal die verschiedenen Szenen Revue passieren, ändert dabei ihren Blickwinkel und stellt fest, daß nicht nur eine Deutung möglich ist. Es gibt doch auch die Redewendung "wie Schuppen von den Augen fallen". Und da Elisabeth schon immer eine ganz Fixe war...Sie liest ja nicht einfach den Brief und stimmt sofort mit Darcy überein, sondern überlegt zunächst. Erst nach diesen Überlegungen muß sie feststellen, daß auch ihr Verhalten einer näheren Überprüfung nicht standhält und in gleichem Maße sie bei Darcy bestimmte Dinge gern nicht wahrnehmen wollte.
Manchmal ist es nur ein kleines Teilchen in einem Puzzle, das sich ändert, aber plötzlich verschiebt sich
alles. Ich stand in meinem Leben einmal vor einer riesigen Entscheidung. Es gab einen ganz wichtigen Grund für eine Veränderung und ganz viele wichtige andere, die dagegen sprachen. Dann fiel ein einziges dieser Gegenargumente weg und plötzlich ließen sich alle anderen Probleme managen und ich wagte den großen Schritt. Es war nur ein Punkt unter vielen, aber weil dieser gelöst werden konnte, war das Lösen der anderen plötzlich auch kein Problem mehr.
Der Unterschied zwischen den beiden Figuren ist aber für mich vor allem, daß P&P in sehr konzentrierter und kurzweiliger Form eine moralische Liebesgeschichte ausführlich und mehrere andere weniger ausführlich erzählt, wohingegen "Emma" für mich mehr eine Charakterstudie ist.