Nur sind für eine reelle Betrachtung eben Realitäten sprechend nicht Romane. Romane haben meist ein gutes Ende, so will ich das auch, der Alltag vieler Menschen ist meist trostlos genug.
Natürlich kann und darf Jane Austen ihren "Lieblingen" einen guten Ausgang verschaffen, aber wie realistisch war das um 1800 herum?
Wie realistisch war es, dass der Vater bei der Wahl des Gatten zu seiner Tochter hielt und nicht zu seiner Frau? Wie realistisch war es im Grunde genommen, dass ein Darcy mit solchen Wurzeln und diesem Status eine Lizzie Bennet heiratet?
Die gesellschaftlichen Grenzen waren nun einmal sehr eng gesteckt. Es entwickelte sich z.B. das Wort "Parvenü" für einen Emporkömmling ohne Stil und Substanz, in einer Zeit der Umbrüche, als Geld langsam eine größere Rolle spielte als Herkunft und Titel.
Ich kenne sogar einige Beispiele neuerer Zeit, da heisst es, die Tochter des reichsten Bauern kann doch nicht xy heiraten, oder der Sohn eines Fabrikanten heiratet am besten die Tochter des größen Konkurrenten. Man sagt auch heute noch "Geld geht zu Geld". Sind es nicht Titel und Familie, die als Auswahlkriterien herhalten, ist es der Geldbeutel, Ruhm und Ehre. Und Jane Austen selbst präferierte Ruhm und Ehre, bzw. Armee und Marine.
Dass Jane Austen, den Mann den sie vermutlich liebte nicht bekam, und dann entschied lieber gar nicht zu heiraten, obwohl sie sich kurfristig verlobt hatte, hatte dennoch auch negative Auswirkungen auf ihr Leben. Egal welche Entscheidung wir fällen, sie hat immer zwei Seiten. Jane Austen hat sich entschieden zwar nicht vom Wohlwollen eines Gatten, aber von dem der übrigen Familie abhängig zu sein. Für mich nun auch kein erstrebenswertes Los. Charlotte Lucas kommt aus einem Stall voller Kinder, wo nie genügend Platz und Ruhe für den Einzelnen vorhanden ist. Das erste was sie tut, als sie sich mit Collins verlobt: Sie freut sich darüber endlich selbstständig ihren Haushalt leiten zu dürfen.
Okay, das wäre mir selbst auch zu wenig, aber darf ich eine Charlotte Lucas-Collins dafür verurteilen und geringschätzen? Sie hat ihre Prioritäten und ich hab meine. Auch Jane Austen hatte ihre Prioritäten, aber sie verstand und akzeptierte auch die Prioritäten anderer Frauen, sofern sie logisch und vernünftig waren.
Ihr konzentriert euch bei der Betrachtung der Verbindung auch immer nur auf Collins als Witzfigur und Parodie. Ihr müsst jedoch seine Möglichkeiten, seinen Status und seinen ganzen Charakter, nicht nur Teilbereiche seiner Person zur Betrachtung heranziehen. Sozusagen die Positiv- und Negativ-Liste. Collins ist ein Trottel und eine Nervensäge, klar, aber er ist kein Säufer, Schläger, Betrüger etc.pp. Er ist kein schlechter Charakter, nur weil Jane Austen ihn als Kirchenmann zutiefst parodiert hat. Seine Gattin fuhr nicht automatisch schlecht in ihrer Ehe, weil er ein Volltrottel war.
Hätte Mary ihn nicht auch mit Kusshand genommen, nur dass Jane Austen ihn ihr nicht zugestand? Und ich höre euch schon sagen, sie hätte dann kein glückliches Leben führen können. Warum?
Was bringt mir ein großes Glück im Leben, wie die Hochzeit eines geliebten Mannes, wenn er selbst es ist, der das Glück dann zerstört?
Sind es nicht eher die unzähligen kleinen Glücksmomente des Alltags, die Glück vollkommen machen? Und die kann und wird auch eine Mrs. Collins ungeachtet ihrer eigenen Person gehabt haben.
Interessant zum Vergleich und zur Diskussion der Begriffe Liebe, Ehe und Glück vielleicht auch folgende Arbeit
Familie und Frau bei Kleist und vor allem die
Suche nach dem Glück
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Grüsse, Caro
Avatar: Amelia Darcy (1754-1784)
Für 1 Jahr säe einen Samen, für 10 Jahre pflanze einen Baum, für 100 Jahre erziehe einen Menschen. chin. Weisheit