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D'Arcy-Expertin mit Adelsaffinität |
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Registriert: Mittwoch 28. Juni 2006, 11:57 Beiträge: 6713 Wohnort: Bayern
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@Sonja
Vermutlich hast Du recht und eine ledige, ehemalige Kinderfrau musste froh sein, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben und ein Auskommen, so dass sie sich auch mit "geringerer" Arbeit zufriedengab, bis es wieder was Kleines zu versorgen galt.
Zum Thema Ammen: Ich komm immer noch nicht über die Tasache ninweg, dass so viele Kinder (auch aus der Aristokratie) bei einer Amme auf dem Land verhungerten und in so katastrophalen Verhältnissen untergebracht waren. Man muss sich ja fast wundern, dass trotz hoher Kindersterblichkeit so viele überlebten ...
Hier ein Auszug aus dem letzten Text, den ich dazu gelesen habe:
Das 18. Jahrhundert Aufzeichnungen des Polizeipräfekten Lenoir, 1780 Paris: - 21 000 Geburten, davon 1000 Kinder von den eigenen Müttern gestillt, 1000 von Hausammen, 19000 von Ammen, die auf dem Land zumeist als Bäuerinnen lebten –. Der Transport der Kinder aufs Land glich Viehtransporten, dicht an dicht in Körben wurden die Kinder auf offenen Karren oder in Sattelkörben auf dem Rücken von Eseln durch die Gegend geschüttelt. Die Säuglingssterblichkeit war hoch. Das führte zu einem Umdenken. Da es in den Städten kaum Frauen gab, die sich als Ammen anboten, entstand ein Markt für einen neuen Berufsstand: die Ammenverdingerin und der Ammenbesorger. Die Ammenverdingerin warb auf dem Land Frauen an und der Ammenbesorger, vermittelte diese in die Stadt, sobald die Ammenverbringerin einen Auftrag für das Stillen eines Säuglings erhalten hatte.
Ludwig der XIV. regelte das Geschäft der Ammen per Erlass. Amme durfte nur sein, wer vom Dorfpriester eine Identitäts- und Moralbescheinigung ausgestellt bekommen hatte. 1769 wurde in Paris ein Hauptamt für Ammenverdingung eingerichtet. Andere Städte in Europa folgten diesem Beispiel: Versailles, Lyon, Stockholm, Hamburg. Bevor eine Amme ihren Job beginnen konnte oder eben nicht, war es üblich, dass ein Arzt die Milch kostete und ein Attest ausstellte:
gekostet und angenommen oder gekostet und abgelehnt
Viele Eltern kümmerten sich bis zum zweiten oder dritten Lebensjahres ihres Kindes nicht ein einziges mal um dessen Wohlergehen, manche kamen nicht einmal zur Beerdigung. Nicht immer steckte Gleichgültigkeit dahinter, denn Frauen wie Männer mussten hart für den Unterhalt ihrer Familie arbeiten. Fürsorge und Erwerbstätigkeit ließ sich in vielen Fällen nicht vereinbaren. Manches Zeugnis über die Sorge der Eltern ist überliefert wie z. B. dieser Brief der Frau eines Pariser Handwerkers an den Bürgermeister des Heimatdorfes ihrer Amme:
„Verzeiht die Belästigung, doch Ihr hört eine Mutter, die in größter Sorge um ihr Kind ist, das am 18. November 1833 einer Amme, einer gewissen Guille, Frau des Holot, wohnhaft in Beaubray, anvertraut wurde. Sie hat am 5. Dezember geschrieben, daß mein Sohn sehr krank sei, und seither sind wir ohne Nachricht. Allmonatlich habe ich ihr Geld an das Amt bezahlt, doch nie hat sie mir den Erhalt bestätigt. Habt die Güte, mir zu antworten, Ihr erwieset damit einer zutiefst beunruhigten Mutter einen großen Dienst.“
Die Hausammen führten ein vergleichsweise sorgenfreies Leben, betrachtet man die reine Oberfläche. Auf die Ernährung der Ammen wurde streng geachtet. So wurde ihnen zartes, junges Fleisch z. B. von Lamm gegeben. Die Speisen durften nicht zu kräftig gewürzt sein. Zwiebeln, Knoblauch, Pfeffer, Minze oder Basilikum durften sie zur Vorbeugung von Blähungen beim Säugling nicht essen. Als milchfördernd galten Kohl, Fenchel, Anis und Kopfsalat. Sie war in der Hierarchie des Personals die Ranghöchste, ihr durfte nicht widersprochen werden aus Angst, dies könnte sich negativ auf ihre Milchbildung auswirken. Doch der Schein trügte. 1904 schrieb der Geburtshelfer Adolphe Pinard: „Sieht man auf den öffentlichen Sparzierwegen eine majestätische und wohlgenährte Amme, die einen Säugling auf dem Arm trägt, so darf man nicht vergessen, dass ihr eigenes armes Kleines oft leidet oder schon gestorben ist.“
Zufüttern Im Mittelalter wie im 18. Jahrhundert war frühes Zufüttern bei den „Ammen-Kindern“ üblich. Ärzte empfahlen zwischen der 2. Lebenswoche und des. 2. Lebensmonats mit der Beikost zu beginnen. Kriterium für ein gut gedeihendes Kind war sein Gewicht - je fetter, desto gesünder. Ludwig der XIII. bekam beispielsweise seinen ersten Brei im Alter von 4 Wochen: Wasser oder Milch mit gekochtem Brot, manchmal zugesetzt mit Bier oder Wein. Auch Brotsuppe war sehr beliebt. Sie enthielt neben Brot, Butter und Fleischbrühe, manchmal auch Eier. Der Brei wurde vorgekaut, das Kind lutschte ihn vom Finger der Mutter, des Vaters oder der Amme.
Leopold Hugo, geboren 1823, Bruder von Victor, konnte von seiner schwer kranken Mutter nicht gestillt werden. Versuche mit Ammen blieben erfolglos. So besorgte sich die Familie schließlich eine Ziege. Leopold wurde direkt an ihr Euter angelegt und von ihr ernährt.
Eigentlich war Eselsmilch die Ersatzmilch erster Wahl. Nur Esel hatten einen großen Nachteil, sie waren für Städter zu „unhandlich“. Eselsmilch wurde von Ärzten empfohlen, da sie in ihrer Zusammensetzung der Muttermilch am ähnlichsten ist. Neben dem Kinderkrankenhaus der Pariser Fürsorge befand sich im Jahre 1881 ein Eselsstall. Eine Eselin ernährte pro Tag zwei Kinder. Für Waisenkinder, Frühgeburten, ausgesetzte oder syphiliskranke Kinder war die Tiermilch oft die einzige Überlebenschance. Die Kinder lagen im Schoß der Schwestern und saugten vom Euter der Esellinnen.
Ende des 17. Jahrhunderts wurde am englischen Hof statt Muttermilch, Tiermilch favorisiert als beste Säuglingsnahrung überhaupt. Ein Grund dafür war vermutlich der inzwischen schlechte Ruf der Ammen, denen unterstellt wurde, dass sie die ihnen anvertrauten Kinder aus Habgier töteten, z. B. durch absichtliches Erdrücken während der Nacht.
Quelle:Baby, Säugling, Wickelkind – Eine Kulturgeschichte –
Von Beatrice Fontanel, Claire d’Harcoourt
Bildband, Verlag Gerstenberg
_________________ Grüsse, Caro Avatar: Amelia Darcy (1754-1784) Für 1 Jahr säe einen Samen, für 10 Jahre pflanze einen Baum, für 100 Jahre erziehe einen Menschen. chin. Weisheit
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