Hallo Bruki, hallo Caro!
Also, es ging darum, wo Tom Lefroy überall in Janes Romanen auftaucht oder Anklänge an diese Geschichte zu finden sind. Es gibt unterschiedlichste Theorien, in welche ihrer Charaktere Jane Austen ihre Erfahrungen, die sie mit Tom Lefroy gemacht hat, eingewoben hat. Ich schreibe euch hier mal alle, die ich kenne, und außerdem meine eigenen!
1.) Ashton Dennis glaubt, dass Tom Lefroy Vorbild für Mr Darcy gewesen ist – wofür meiner Ansicht nach vieles spricht! Die erste Version zu P&P, damals noch „First Impressions“ genannt, begann Jane im Oktober 1796 zu schreiben, also nur ein paar Monate nachdem sie sich im Januar in Tom Lefroy verliebt hatte. Ich zitiere mal kurz aus Dennis’ Text, den Bruki ja auf seiner Website ins Deutsche übersetzt hat, sodass ich das jetzt nicht mehr machen muss…
:
„Honan sagt über ihn: „... Er war ein pflichtbewusster Junge mit einer ‚gutmütigen Veranlagung und einem liebevollen Herzen’... Er war auch schüchtern und zurückhaltend. ... vermutlich aufmerksam genug um zu wissen, dass sein ‚ausländischer’ Dubliner Dialekt in Hampshire nicht gut ankommen würde; dass er seinen Mund halten sollte. ... er war ordentlich und farblos ... mit einer Tendenz seine ‚große Schüchternheit’ mit Hochmut zu überspielen. Jane reagierte auf sein einfältiges Schweigen; ihr gefiel seine vorsichtige Zurückhaltung. Sie hatte viele gemeinsame Ansichten mit ihm. Ein politischer Romanschriftsteller hätte sie zusammengebracht. Sie entschied, sich zu verlieben ...“ [Honan, Kapitel 8] Es gab eine Gelegenheit bei der Tom seine Schüchternheit ablegen konnte, er war ein exzellenter Redner. Und tatsächlich ein Romanzier würde sie zusammenbringen – in „Pride and Prejudice“.“
Das ist Dennis’ Ansicht und ich finde sie nicht so unwahrscheinlich. Tom war vermutlich Janes erste Erfahrung mit der Liebe.
Darcys Ausspruch, es fiele ihm nicht leicht, mit fremden Menschen ins Gespräch zu kommen, würde durchaus zu Toms Charakter passen.
Allerdings bin ich noch am Forschen, woher Honan weiß, dass er schüchtern war, „mit einer Tendenz seine ‚große Schüchternheit’ mit Hochmut zu überspielen“.
Vielleicht finde ich es ja noch heraus! Irgendwo muss er dieses Wissen ja her haben! Und ich lese es nicht das erste Mal!
Auch andere Beschreibungen passen auf Darcy, doch Ashton Dennis hat sich darüber ja ausführlich ausgelassen! Daher verweise ich, ehe ich mir den Mund fusselig rede,
hierher!
2) Nadia Radovici hat in ihrem Buch „A youthful love – Jane Austen and Tom Lefroy?“ die Theorie aufgestellt, dass Tom in den beiden Charakteren Henry Tilney und Captain Wentworth steckt.
Sie glaubt, dass sich Jane und Tom nach der Episode in Hampshire noch einmal wiedergesehen haben – nämlich in Bath, im Jahre 1797. Aus dieser Zeit sind keinerlei Briefe von Jane erhalten
– die Autorin meint jedoch im 43. Brief (Montag, 8. April 1805) einen Beweis dafür gefunden zu haben.
Sieben Jahre später schreibt Jane aus Bath an Cassandra:
„Heute Morgen besuchten wir das Riding House (sorry, weiß nicht, wie ich das übersetzten soll ), um Miss Chamberlayne reiten zu sehen. Sieben Jahre und vier Monate ist es nun her, dass wir dorthin gingen, um Miss Lefroys (vermutlich Lucy Lefroy, Toms Kusine) Vorstellung zu sehen! – Und wie anders ist nun die Zusammensetzung unserer Gruppe. Doch ich vermute, dass sieben Jahre genügen, um das Aussehen und die Gefühle eines jeden Menschen grundlegend zu verändern.“
Radovici glaubt den Beweis darin zu sehen, dass sich Jane nur noch so genau auf das Jahr und den Monat genau erinnern kann, weil sie diese Zeit mit etwas ganz Besonderem verbindet: angeblich, weil sie sie dort mit Tom Lefroy verbracht hat. Ein Jahr darauf schreibt sie auch „Northanger Abbey“, Radovicis Ansicht nach eine Aufzeichnung ihrer eigenen dort mit Tom Lefroy verbrachten Zeit. Jane habe sich, Radovicis Meinung nach, in ihrer Figur der Catherine verewigt, Tom dagegen in der von Henry Tilney! Ich persönlich kann ihrer Theorie NICHT beistimmen
– nicht, wenn man Park Honans Beschreibung von Toms Charakter kennt und ein einziges Mal einen von Janes Briefen gelesen hat. Alles in mir sträubt sich gegen diese Idee, dass die naive, leicht dämliche Catherine unsere große Jane Austen sein soll!
Vielmehr findet sich Janes feinsinniger Humor und Witz in Henry Tilney wieder – und wir kennen Jane gut genug, dass sie es nicht nötig hatte, die intelligenten Bemerkungen anderer (in diesem Fall Toms) abzuschreiben!
Auch in der Handlung sieht Radovici eine Parallele zum richtigen Leben: Jane Austen hatte reiche Verwandte (die Perrots) in Bath und wurde angeblich von den Lefroys (wie ihre Heldin Catherine Morland) als reiche Erbin angesehen und die Beziehung zwischen ihr und Tom gefödert. Nachdem dann 1797 herauskam, dass Jane vonseiten der Perrots nichts zu erwarten hatte, wurde Tom kurzerhand nach Irland geschickt. Ein Jahr später dann war Jane „zu stolz nachzufragen“, wie ihr 11. Brief verrät. Radovici findet, dass dieser Stolz sich nur daraus erklären ließe, dass die Trennung kurz zuvor stattgefunden habe – ihrer Meinung nach sei es nach 2 Jahren eher unwahrscheinlich, dass Jane zu stolz sei, sich nach Madame Lefroys Neffen zu erkundigen! Was haltet ihr von Radovicis Idee? Ich finde, sie arbeitet zu eng am Text! Es ist meiner Ansicht nach durchaus möglich, dass Jane Austen ihre eigenen Erfahrungen in ihrer Romane eingebaut hat, aber sie wäre bestimmt nie
soweit gegangen, dass sie ganze Gespräche und Charaktere 1:1 übernommen hätte! Wie Bruki ja bereits unter „Briefe“ hier im Board geschrieben hat, glaubten ja wiederholt Menschen ihrer Bekanntschaft, Vorlage für Janes Figuren gewesen zu sein und fühlten sich deswegen entweder geschmeichelt oder gekränkt, sodass Jane tunlichst vermied, zu genaue Angaben zu machen…
Dasselbe gilt für ihre Theorie wegen Captain Wentworth! Sicher – in „Persuasion“ hat sie diese Erfahrung, die sie mit Tom Lefroy gemacht hat (und die sie sicherlich bei anderen jungen Damen ihrer Zeit wiederholt hat beobachten können!) besonders deutlich verarbeitet, doch wiederum steckt meiner Ansicht nach Tom eher in Anne Elliott (denn schließlich ist ja sie diejenige, die sich beeinflussen lässt und die Verlobung mit Frederick Wentworth auflöst!) als in dem Helden der Geschichte. Annes Erklärung für das Lösen ihrer Verlobung, nachdem sie und Wentworth sich versöhnt haben, ist ja auch folgende: „Ich dachte, es sei meine Pflicht nachzugeben.“ Dieser Satz beweist meiner Ansicht nach, dass sie, so sehr sie sicherlich auch enttäuscht war, ein gewisses Verständnis für Toms Situation aufbringen konnte. Geht man davon aus, dass sie damit rechnete, er könne die Romane eines Tages lesen, versteckt sich – vielleicht auch in dem berühmten Gespräch Annes mit Captain Harville („Wir vergessen euch ganz sicherlich nicht so schnell wie ihr uns…“) – eine gewisse Botschaft an ihn! Doch das sind Spekulationen und als solche sollte man sie auch deutlich kennzeichnen!
Meiner Meinung nach hat sie Tom wirklich nicht so schnell vergessen und er war vielleicht mit ein Grund, warum sie damals Harris Bigg-Withers Antrag abgelehnt hat. An ihre Nichte Fanny hat sie am 30. November 1814 geschrieben:
„Nichts kann schlimmer sein, als sein ganzes Leben an jemanden gefesselt zu sein, ohne ihn zu lieben, während man eigentlich einen anderen vorzieht.“
Vielleicht spricht sie da aus eigener Erfahrung und genau dieser Gedanke hielt sie davon ab, Harris Bigg-Withers Antrag anzunehmen. Genauso gut könnte aber auch an dieser Sache mit dem geheimnisvollen Fremden aus Lyme etwas dran sein. Diese Geschichte passierte ja auch irgendwann um diese Zeit, ich glaube 1801 oder 1802 (ist mir entfallen). Wenn dieser junge Mann tatsächlich existiert hat, dann war Tom Lefroy vielleicht schon längst vergessen – wer weiß?
Nadia Radovici hat übrigens auch für diese geheimnisvolle Affäre eine Erklärung: Sie wurde, ihrer Ansicht nach, von den Austens erfunden, um all denen, die sich über Janes Traurigkeit und Enttäuschung (ihr Dahinwelken, wie Jane es bei Anne Elliott beschrieb) wunderten, eine passende Erklärung abzuliefern, ohne vor den Lefroys ihr Gesicht zu verlieren… Ich weiß aber nicht, was ich davon halten soll – soweit ich weiß, ist doch inzwischen bekannt, wer dieser junge Mann vielleicht war?
Ich finde, dass man Radovicis Überlegungen nie ganz von der Hand weisen kann, aber ich kenne mich nicht gut genug aus, um sie zu bestätigen oder zu widerlegen!
Dass die Austens es Tom übel nahmen, wie er sich gegenüber Jane benommen hatte, und den Lefroys nicht verzeihen konnten, dass sie in dieser Sache so deutlich gezeigt hatten, dass eine Treppenstufe zwischen den Austens und den Lefroys existierte, ist sehr wahrscheinlich.
Ganz gleich, wie lange die Beziehung dauerte und ob sie wirklich in Bath noch einmal vertieft wurde (was ja nur Theorie ist) – Tom hatte Jane sitzen lassen, ob die Gründe nun verständlich waren oder nicht!
3) Ich denke, Jane hat Toms Verhalten übel genommen, doch sie hat ihn zu gerne gehabt, um ihn für alle Zeiten zu verdammen. Das zeigt vor allem „Persuasion“!
Ich glaube daher, dass man Tom Lefroy vor allem in den Charakeren wiederfindet, die zwar Fehler haben, doch trotzdem jung und bis zu einem gewissen Grad liebenswert sind.
Ich glaube zum Beispiel nicht, dass sie Tom als Vorlage für so einen miesen Kerl wie Wickham genommen hat – dafür hat sie seine Situation wahrscheinlich zu gut verstanden!
Und Colonel Brandon ist zu alt dafür!
Ich persönlich entdecke Tom vor allem in S&S! An der Vorfassung schrieb sie vermutlich zu diesem Zeitpunkt oder war dabei, es zu überarbeiten. S&S zeigt diese Zwickmühle, in der sich Tom befand, nämlich von zwei Seiten und bietet zwei Lösungsmöglichkeiten: Sowohl Willoughby als auch Edward Ferrars droht die Enterbung, wenn sie die „unvorteilhafte Verlobung“ mit Marianne bzw. Lucy Steele (und später Elinor) nicht aufgeben. Willoughby handelt wie Tom, lässt sich unter Druck setzen und gibt Marianne auf. Er wird dadurch bestraft, dass er an eine Frau gefesselt ist, die er nicht liebt, während er sich nach Marianne sehnt (siehe Janes Brief an Fanny!!!). Am Ende des Romans tritt Willoughby nocheinmal auf, um seine Lage zu erklären, und auch wenn Elinor nicht in der Lage ist, ihm zu verzeihen, so kann sie ihn zumindest verstehen und weiß, dass Marianne ihm längst vergeben hat. In Edward Ferrars dagegen steckt der schüchterne Tom, den sich Jane vermutlich gewünscht hat.
Edward ist besonders nobel: Er hält sogar der Frau die Treue, die er nicht liebt, Lucy Steele, obwohl er enterbt wird und sich eigentlich nach einer anderen Frau sehnt (Elinor). Er wird damit belohnt, dass er diese Frau am Ende bekommt und eine glückliche Ehe mit ihr führt.
In allen späteren Romanen bis „Persuasion“ tritt diese Problematik nicht mehr so deutlich ans Tageslicht
– obwohl es ja eigentlich in allen von Janes Romanen darum geht, ob man aus Liebe oder aus Geld heiraten sollte und womit man glücklicher wird…
Es war, denke ich, zu Janes Zeit, ein tägliches Thema, das auch ihre Freundinnen und Bekannten betraf, sodass sie da sicherlich nicht nur aus ihrer eigenen Erfahrung schöpfte. Bereits in ihrem zweiten Brief erwähnt Jane ja auch: „Es geht das Gerücht, dass Tom Chute an ein Mädchen aus Litchfield verheiratet werden soll.“ Da geht’s schon los – und sie ist gerade zwanzig und schwärmt von ihrem „irischen Freund“…
Ich glaube, ich muss hier nun mal zum Punkt kommen! Ich könnte noch Seiten mit Tom Lefroy füllen, aber ich will auch mal hören, was ihr von all dem haltet!
Stimmt ihr mir zu? Oder habt ihr eigene Theorien?
Alethea