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BeitragVerfasst: Donnerstag 16. Mai 2013, 11:56 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Ich habs zwar anderswo und vor längerer Zeit hier im Forum schon mal geschrieben, aber warum nicht an dieser Stelle noch einmal. Drei andere "Rätsel" bzw. Zitate in diesem Kapitel sind im Zusammenhang mit dem Roman auch sehr spannend, finde ich. Zum ersten, Mr Woodhouses "Kitty, a fair but frozen maid" - hier das Rätselgedicht in voller Länge:

Kitty, a fair, but frozen maid,
Kindled a flame I still deplore;
The hood-wink'd boy I call'd in aid,
Much of his near approach afraid,
So fatal to my suit before.

At length, propitious to my pray'r,
The little urchin came;
At once he sought the midway air,
And soon he clear'd, with dextrous care,
The bitter relicks of my flame.

To Kitty, Fanny now succeeds,
She kindles slow, but lasting fires:
With care my appetite she feeds;
Each day some willing victim bleeds,
To satisfy my strange desires.

Say, by what title, or what name,
Must I this youth address?
Cupid and he are not the same,
Tho' both can raise, or quench a flame-
I'll kiss you, if you guess.


In den Anmerkungen der kommentierten Ausgabe wird auf Jill Heydt-Stevensons Untersuchung dieses Gedichts hingewiesen, ihr Buch "Austen's Unbecoming Conjunctions" hab ich ja hier im Forum schon öfter mal erwähnt, es ist wirklich sehr aufschlussreich.

Die offizielle Lösung ist "Schornsteinfeger", allerdings ist das Gedicht voll von Doppelbödigkeiten und Anspielungen. Gleichzeitig geht es um eine verlorene Liebe und die (Geschlechts)krankheit, die sie hervorgerufen hat. ("kindled a flame I still deplore" - "entfachte eine Flamme/Entzündung, die ich bis heute beklage") Der Infizierte betet zu Amor ("the hood-wink'd boy I call in aid") ihm zu helfen, und in der dritten Strophe wird klar, wie die Hilfe aussieht - "each day some willing victim bleeds". Bis ins 19. Jahrhundert hinein (und in vielen Teilen der Erde bis heute), glaubte man, Geschlechtsverkehr mit Jungfrauen heile Geschlechtskrankheiten.
Einerseits geht es in dem Gedicht also tatsächlich um den Schornsteinfeger, der den Kamin saubermacht damit das Feuer wieder ordentlich brennt - auf der anderen Seite aber um einen mit einer Geschlechtskrankheit infizierten Mann, der seine Heilungsmethode ("Fanny now succeeds") beschreibt. In der letzten Strophe wird dann nochmal endgültig der Zusammenhang zwischen Amor und dem Schornsteinfeger klar gemacht: "beide können eine Flamme entzünden und wieder löschen" - wenn auch auf unterschiedliche Art.

Es gab außerdem damals eine Therapie gegen Syphillis, die eine Parallele zum "Schornstein" aufweist: Der Patient wurde mit einer (schwarzen!) Mischung aus Quecksilber und Schwefel eingerieben und auf einem Stuhl sitzend in Decken eingewickelt. Unter dem Stuhl (der eine Öffnung in der Sitzfläche hatte) war eine Feuerstelle, in die Zinnober gegeben wurde. Die Dämpfe die sich dabei unter den Decken entwickelten, sollten die Krankheit heilen.

Das Rätsel stammt von David Garrick (1771) und wurde in einer Sammlung ähnlich deftiger Rätsel veröffentlicht (nicht in den "Elegant Extracts", wie Emma behauptet), zusammen mit Beiträgen von Mitgliedern des berüchtigten Hell Fire Clubs.
Vielleicht auch eine Anspielung auf Mr Woodhouses Vorgeschichte? :wink:

Dann zitiert Emma aus Shakespeares "Sommernachtstraum", übrigens aus dem ersten Akt und der allerersten Szene (Lysander beruhigt Hermia, dass wahre Liebe niemals glatt verläuft, weil immer Hindernisse im Weg stehen) - was gut zu der Bemerkung zu Beginn des Kapitels passt, mehr als ein paar Seiten hätten Emma und Harriet bei ihrer gemeinsamen Lektüre nie geschafft. Emma sagt "The course of true love never did run smooth" - A Hartfield edition of Shakespeare would have a long note on that passage. Emma zitiert die Stelle um sie zu widerlegen - ihrer Meinung nach läge etwas "in der Luft Hartfields", das die Liebe begünstigt.
Allerdings hätte Emma mal weiterlesen sollen im "Sommernachtstraum". Hermia und Lysander zählen nämlich gleich im Anschluss die Hindernisse auf, die der Liebe so oft im Weg stehen: z.B. "it stood upon the choice of friends" und "Oh hell! to choose love by another's eyes!" Freunde, die einem reinreden und Liebende, die nur durch die Empfehlung anderer zu lieben scheinen. Genau das tut Emma und genau das tut Harriet.

Es lohnt sich immerwieder, den Zitaten bei Jane Austen genauer auf den Grund zu gehen ... :)

Zu Mr Eltons Charade gibt es auch einen sehr interessanten Artikel, der Harriets Mutmaßungen über Haie und Dreizack nicht ganz so albern erscheinen lassen, bzw. eine weitere Doppelbödigkeit in Jane Austens Humor aufdecken könnte. Wir haben schon mal im allgemeinen "Emma"-Thread darüber diskutiert, aber das ist schon ein paar Jahre her - deshalb nimmt man mir die Wiederholung sicher nicht krumm.
Das Argument auf dem der Artikel aufbaut ist, dass es noch eine zweite Lösung für das Rätsel gibt. Die erste und für den Romanverlauf nachvollziehbarste ist bekanntlich "courtship". Emma kommt gleich darauf, während Harriet noch über Meerjungfrauen brütet.
Nimmt man das Rätsel (wie Harriet) wörtlicher könnte die Lösung auch so aussehen:

My first displays the wealth and pomp of kings,
Lords of the earth! their luxury and ease. ----> Prinz
Another view of man, my second brings,
Behold him there, the monarch of the seas! ----> Wal

Zusammen "Prince (of) W(h)ales" ... der damalige englische Prinzregent, dem "Emma" bekanntlich gewidmet wurde.

Die Autorin zitiert ein damals wohl recht bekanntes Spottgedicht auf den Prinzregenten, in dem er wegen seiner Leibesfülle, seinem Lebenswandel und seiner emotionalen Rücksichtslosigkeit ebenfalls mittels Wortspiel mit einem Wal verglichen wird. In dem Link oben ist auch eine Karikatur zu sehen, die ihn ebenfalls als Wal darstellt. Das Gedicht stammt von Charles Lamb und erschien 1812, also zeitlich passend für Jane Austen (von der berichtet wird, dass sie den Prinzregenten nicht mochte und die kürzestmögliche Widmung für "Emma" formulierte) und die Entstehung von "Emma".

Etwas spitzfindig ist vielleicht das Anagramm, das ebenfalls von der Autorin des Essays aufgespürt wurde. Die Anfangsbuchstaben beider Strophen des Rätselgedichtes ergeben jeweils "LAMB", den Nachnamen des Autors des Wal-Gedichtes:

My first displays the wealth and pomp of kings,
Lords of the earth! their luxury and ease.
Another view of man, my second brings,
Behold him there, the monarch of the seas!

But, ah! united, what reverse we have!
Man’s boasted power and freedom, all are flown;
Lord of the earth and sea, he bends a slave,
And woman, lovely woman, reigns alone.


Vielleicht hat sich Jane Austen hier also kreativ etwas "abreagiert", bzw. eine zweite Widmung für den Prinzregenten untergebracht? Ich finde die Zusammenhänge recht überzeugend - es passt zumindest sehr gut zu "Emma", das voller Anspielungen, Wortspielen, Doppelsinnigkeiten und Rätselspiele steckt.

Sorry für den langen Beitrag, ich fürchte ich habe gegen Groupread-Regel Nummer 4 verstoßen. :wink: Aber drei aufeinanderfolgende Beiträge wären wahrscheinlich auch nicht besser?


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Verfasst: Donnerstag 16. Mai 2013, 11:56 


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BeitragVerfasst: Donnerstag 16. Mai 2013, 12:39 
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Danke für den sehr interessanten Beitrag :applaus:
Julia hat geschrieben:
Sorry für den langen Beitrag, ich fürchte ich habe gegen Groupread-Regel Nummer 4 verstoßen
finde ich nicht, da du Alles sehr übersichtlich strukturiert hast.
Die Überlegungen mit der zweiten Deutung der Elton- Charade sind meiner Meinung nach durchaus denkbar, würde zu JA passen, sich so versteckt zu "rächen"

Elanor

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[During the 1960s] I think there was more sex in those old films than in all that thrashing around today. I'm tired of sex scenes.
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BeitragVerfasst: Freitag 17. Mai 2013, 15:15 
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Austenexperte
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Was mir noch aufgefallen ist:
Zitat:
Thy ready wit the word will soon supply,
May its approval beam in that soft eye!

Mr Elton scheint sich ja auch sehr sicher zu sein, nicht missverstanden zu werden :fies_sei: bzw. Emma benimmt sich überhaupt nicht so, wie von ihm beschrieben, denn sie ist völlig ahnungslos und überschätzt sich völlig.
btw.: all die vermeintlichen Lover sind ihrer Sache sehr sicher: Mr Elton, aber auch Mr Collins oder etwa John Thorpe während die meisten anderen sich ihrer Sache überhaupt nicht sicher sind wie eben auch Mr. Knightley, Edward Ferrars, Edmund Bertram (bei beiden)
Emma merkt ja noch, daß ready wit und Harriet nicht wirklich zusammenpassen :niwi: aber sie zieht total falsche Schlüsse daraus, obwohl sie ja durch Mr. Knightley vorgewarnt sein könnte. Sie sieht nur, was sie will :brille: obwohl eigentlich alles auf sie selbst hinweist :was:

Noch gar nichts ist über das zweite Thema des Kapitels gesagt: der erwartete Besuch der Familie Knightley aus London. Mr. Woodhouse ist schon sehr selbstbezogen, wenn auch auf wesentlich liebenswertere Art als z.b. Lady Cathrine
Das Ende des Kapitels, die zwei letzten Sätze:
Zitat:
After this speech he was gone as soon as possible. Emma could not think it too soon; for with all his good and agreeable qualities, there was a sort of parade in his speeches which was very apt to incline her to laugh. She ran away to indulge the inclination, leaving the tender and the sublime of pleasure to Harriet's share.

Wieso versucht Emma eigentlich Harriet Jemand aufzuschwatzen, den sie selbst lächerlich findet und nicht lange ertragen kann? Will sie nur kurze Besuche bei ihrer Freundin machen, wenn sie Erfolg hat? Schlecht durchdacht, Emma! :aetsch:

Elanor

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BeitragVerfasst: Freitag 17. Mai 2013, 18:47 
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Elanor hat geschrieben:
Was mir noch aufgefallen ist:
Zitat:
Thy ready wit the word will soon supply,
May its approval beam in that soft eye!

Mr Elton scheint sich ja auch sehr sicher zu sein, nicht missverstanden zu werden :fies_sei: bzw. Emma benimmt sich überhaupt nicht so, wie von ihm beschrieben, denn sie ist völlig ahnungslos und überschätzt sich völlig.


Das fand ich auch sehr ironisch: Mr. Elton schätzt Emma sehr richtig ein, sie ist gewitzt genug, das Rätsel zu lösen - tatsächlich löst sie es, aber sie ist ganz unfähig, ihn und seine Gefühle zu verstehen. Im Grunde ist die ganze Rätselei hier vermutlich eine mehr oder weniger bildliche Umsetzung der wahren Rätsel, die zwischen den Hauptfiguren bestehen, oder besser: der für die Personen rätselhaften Beziehungen zwischen ihnen. Und Emma ist die allerschlechteste Rätsellöserin, was diese Rätsel betrifft.

Zitat:
Sie sieht nur, was sie will :brille:

Das ist wohl ihr Kernproblem... :wink:

Zitat:
Wieso versucht Emma eigentlich Harriet Jemand aufzuschwatzen, den sie selbst lächerlich findet und nicht lange ertragen kann?

Ich denke, dass sie meint, dass Mr. Elton zwar für sie, Emma, unter der Würde ist, aber nicht für Harriet. Da kommt schon auch wieder etwas von ihrem Standesdünkel raus. Die Besuche bei den Eltons könnten trotzdem länger sein: Emma ist ja durchaus in der Lage, sich einigermaßen anzupassen und zu tun, was sich schickt.

@Julia: Ich finde solche Deutungen auch oft sehr heiter, stehe ihnen aber mit relativ großer Skepsis gegenüber. Mit ein bisschen Freud und viel Fantasie kann man ja in praktisch alles sexuelle Bedeutungen reininterpretieren. :wink:
Also in diesem konkreten Fall wäre meine erste Frage: Inwieweit war die schlüpfrige Nebenbedeutung des Gedichts/Rätsels damals bekannt? Kann man davon ausgehen, dass sich die Leute beim Aufsagen vielsagend angrinsten? Oder ist das vor allem eine moderne Interpretation von Jill Heydt-Stevenson? Denn die von dir genannten Stellen kann man vielleicht, muss man aber doch eigentlich nicht so unangenehm (für die Ich-Person) deuten. Eine Flamme entfachen z.B. kann ja auch einfach nur die Flamme der Liebe sein - und nichts weiter. Ich würde auch gerne wissen, ob das Rätsel in einer Sammlung erschienen ist, in der praktisch nur diese Art von Texten verwertet wurden. Das wäre ein Indiz mehr. Heydt-Stevenson geht ja offenbar noch einen Schritt weiter: Sie vermutet nicht nur, dass Mr. Woodhouse ein kleiner Lüstling gewesen sein könnte, sondern auch, dass er aktuell an Syphilis im dritten Stadium leiden könnte (wenn ich das richtig verstehe).

Ich würde mich bei solchen Interpretationen fragen, welche Absicht Austen gehabt haben könnte. Also dass sie andeuten will, Mr. Woodhouse habe Syphilis und sei ein schlimmer Finger gewesen, halte ich für eher fraglich. Weil es in den Kontext nicht wirklich passt. Und weil sie das ja auch viel eindeutiger hätte andeuten können, sonst ist sie da ja auch nicht zimperlich. Warum sollte sie auch ein Interesse haben, Mr. Woodhouse über das, was wir lesen können, hinaus zu diskreditieren? Und ausgerechnet so? Das würde ja auch kein gutes Licht auf die ganze Familie werfen, die uns ansonsten ja als höchst angesehene weit und breit präsentiert wird.
Möglich ist dagegen, dass Austen sich einen kleinen Scherz erlaubt, indem sie die Fantasie mancher Leser/innen ein wenig kitzelt. Aber das wäre ja geradezu anzüglich (was ihr vielleicht durchaus zuzutrauen wäre, ne prüde Liese ist sie vielleicht nicht gewesen, man weiß es nicht).
Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass das Rätsel schon ein gewisses Niveau unterschritten hat (ähnlich wie manche Schlager heutzutage, bei denen ältere Herren (und Damen!) gerne mal selig ins Schunkeln geraten), aber eher harmlos anzeigt, dass Mr. Woodhouse ein alter, hypochondrischer, aber argloser Mann ist, der sich seiner potenteren Tage nicht gänzlich ohne Wehmut erinnert. Das würde mir völlig reichen.


Zitat:
My first displays the wealth and pomp of kings,
Lords of the earth! their luxury and ease. ----> Prinz
Another view of man, my second brings,
Behold him there, the monarch of the seas! ----> Wal
Zusammen "Prince (of) W(h)ales" ... der damalige englische Prinzregent, dem "Emma" bekanntlich gewidmet wurde.


Das wiederum würde mir sehr gefallen! Aber war das, wenn das Wal-Bild für den Prinzregenten so bekannt war, nicht ein wenig zu keck für Austen? Immerhin hat sie dem Mann brav ihr Buch gewidmet (gut, das könnte sie auch nur wg. des Schotters getan haben, weil die Widmung sicher den Verkauf beförderte).

Zitat:
Etwas spitzfindig ist vielleicht das Anagramm, das ebenfalls von der Autorin des Essays aufgespürt wurde. Die Anfangsbuchstaben beider Strophen des Rätselgedichtes ergeben jeweils "LAMB", den Nachnamen des Autors des Wal-Gedichtes:


Ja, spitzfindig trifft es ganz gut.... :wink:


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BeitragVerfasst: Freitag 17. Mai 2013, 21:14 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Registriert: Mittwoch 19. Oktober 2005, 20:13
Beiträge: 4781
Udo hat geschrieben:
@Julia: Ich finde solche Deutungen auch oft sehr heiter, stehe ihnen aber mit relativ großer Skepsis gegenüber. Mit ein bisschen Freud und viel Fantasie kann man ja in praktisch alles sexuelle Bedeutungen reininterpretieren. :wink:


Ich weiß, ... aber ich finde man muss da differenzieren. In diesem Fall hat sich Jill Heydt-Stevenson ja die Doppeldeutiglkeit nicht aus den Fingern gesogen - sie ist offensichtlich. Sie war nur offenbar die erste(?), die sich die Mühe gemacht hat, das Zitat nachzuverfolgen. Wie oben geschrieben, ist das Gedicht in einer Sammlung ähnlich schlüpfriger Gedichte erschienen und auch der Autor war diesbezüglich kein unbeschriebenes Blatt. Wenn man das Gedicht liest, ist für mich sonnenklar, dass es sich nicht nur um einen "Schornsteinfeger" handelt. Warum sollte z.B. sonst die Rede von Amor, Kitty, Fanny und den "blutenden Opfern" sein?
Inwieweit man das nun auf Mr Woodhouse beziehen kann bleibt ja dann jedem selbst überlassen. Mir persönlich geht die Deutung als Hinweis auf eine eventuell "wilde" Vergangenheit oder gar eine Syphillis-Erkrankung auch zu weit - aber das ändert ja nichts am Inhalt und Sinn des Gedichtes. Bzw. daran, dass Mr Woodhouse sich nunmal daran erinnert - was auch mehrmals wiederholt wird. Austen scheint also schon was daran gelegen zu haben ... Was genau, ist dann Interpretationsspielraum.

Zitat:
Möglich ist dagegen, dass Austen sich einen kleinen Scherz erlaubt, indem sie die Fantasie mancher Leser/innen ein wenig kitzelt. Aber das wäre ja geradezu anzüglich (was ihr vielleicht durchaus zuzutrauen wäre, ne prüde Liese ist sie vielleicht nicht gewesen, man weiß es nicht).


Je mehr ich über die Kultur und Literatur der damaligen Zeit lese, desto weniger schwer finde ich es mir vorzustellen, dass Jane Austen keine "prüde Liese" war. Wir sind halt sehr geprägt von der modernen Perspektive auf Jane Austen als Autorin "anständiger" Gesellschaftsromane mit "anständigen" Romanzen, in denen alles Abseitige schön unter dem Deckel oder im Hintergrund bleibt bzw. wenn gebührend "bestraft" oder zumindest verurteilt wird. Und zum Teil trifft dieses Bild sicher auch zu, aber es macht manchmal auch blind für andere Aspekte. Die sind auch da, ob es einem nun gefällt oder nicht. :wink:

Zitat:
Aber war das, wenn das Wal-Bild für den Prinzregenten so bekannt war, nicht ein wenig zu keck für Austen? Immerhin hat sie dem Mann brav ihr Buch gewidmet (gut, das könnte sie auch nur wg. des Schotters getan haben, weil die Widmung sicher den Verkauf beförderte).


So wie ich es aus diversen Biografien verstanden habe, war sie nicht begeistert - aber die angebotene Widmung zu verweigern, wäre eine großer Affront gewesen. Deshalb ist sie wohl auch so kurz und knapp gehalten. Die Keckheit ist ja gut versteckt & verschlüsselt, so es denn eine ist.

Elanor hat geschrieben:
all die vermeintlichen Lover sind ihrer Sache sehr sicher: Mr Elton, aber auch Mr Collins oder etwa John Thorpe während die meisten anderen sich ihrer Sache überhaupt nicht sicher sind wie eben auch Mr. Knightley, Edward Ferrars, Edmund Bertram (bei beiden)


Ich glaube, dieses "sich seiner Sache sicher sein" ist bei Austen immer ein Zeichen für einen schwachen Charakter - die Helden sind immer unsicher, ... ein positives Charaktermerkmal, das auf Bescheidenheit hinweist? Wobei zumindest bei Edward Ferrars im Zusammenhang mit seinem Antrag auch ironisch darauf verwiesen wird, dass seine Zuversicht bitte nicht falsch zu verstehen sei.


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 Betreff des Beitrags: Re: Groupread Emma, 9. Kapitel
BeitragVerfasst: Samstag 18. Mai 2013, 10:17 
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Julia hat geschrieben:
Je mehr ich über die Kultur und Literatur der damaligen Zeit lese, desto weniger schwer finde ich es mir vorzustellen, dass Jane Austen keine "prüde Liese" war. Wir sind halt sehr geprägt von der modernen Perspektive auf Jane Austen als Autorin "anständiger" Gesellschaftsromane mit "anständigen" Romanzen, in denen alles Abseitige schön unter dem Deckel oder im Hintergrund bleibt bzw. wenn gebührend "bestraft" oder zumindest verurteilt wird. Und zum Teil trifft dieses Bild sicher auch zu, aber es macht manchmal auch blind für andere Aspekte. Die sind auch da, ob es einem nun gefällt oder nicht. :wink:


Ja, da hast du sicher Recht. Man fällt immer wieder auf das Bild von der lieben netten Tante vom Lande rein, das ja immer noch oft reproduziert wird - heute vor allem durch die Filme. Andererseits sollte man als Gegenreaktion auch nicht in Extreme verfallen. Ein Beispiel, über das wir es im normalen Emma-Thread ja schon mal hatten: Der Bleistiftstummel ohne Miene (erstens nur ein Stummel, zweitens nicht mal intakt!), den Harriet als Schatz von Mr. Elton aufbewahrt, könnte als Zeichen seiner unterdurchschnittlichen Männlichkeit oder gar seiner Impotenz gedeutet werden. Das halte ich für ebenso lustig wie leicht abwegig, wie die Syphilis von Mr. Woodhouse.

Andererseits: Ich denke auch auf jeden Fall, dass es bei Austen oft einen sexuellen Subtext (darf man das so nennen?) gibt, der den damaligen Lesern völlig präsent war. Beispiel Harriet: Sie ist ja offenbar das Ergebnis eines Seitensprungs oder einer vorehelichen Liaison. Das verweist schon auf triebgesteuerte Verhaltensweisen, wie sie damals und in Austens Romanen ja ab und zu vorkommen (Willoughby! Henry Crawford!). Oder die Tatsache, dass kluge Männer reichlich dumme, aber schöne Frauen heiraten: Von Mr. Bennet und Sir Thomas Bertram bis Mr. Palmer und hier in Emma vermutlich auch Mr. John Knightley. Letzterer scheint mit Isabella eine sexuell sehr aktive Ehe zu führen - fünf Kinder in nur sieben Jahren! Da wird sich der damalige Leser auch seinen Teil gedacht haben (und nicht nur damalige).

Oder Mr. Elton - vielleicht ist er gar nicht so impotent. Austen schreibt, er sei ein Mann, der allein lebe, dem dies aber nicht gefalle, er möchte also unbedingt eine Frau haben. Und dies sicher nicht nur, um mit ihr über seine Predigten zu diskutieren... Ich frage mich auch, wie man sein Herumscharwänzeln um Emma deuten soll: Will er sie nur haben, weil sie eine gute Partie ist? Geht es um ihre begehrenswerte Schönheit? Will er sein sexuelles Verlangen stillen? Oder hat er sich gar wirklich in sie verliebt? (Was ein gewisses Verlangen natürlich nicht ausschließt. :wink: ) Hier im 9. Kapitel ist mir dazu die Stelle aufgefallen, in der beschrieben wird, wie Miss Nash (die sich, das glaube ich auch, ganz sicher in unstillbarer Liebe zu Mr. Elton verzehrt) und Harriet Mr. Elton das erste mal sehen:
"Und wie schön wir ihn fanden! Er ging untergehakt mit Mr. Cole."
War das damals üblich? Oder ist das ein Hinweis, dass Mr. Elton nicht nur ein Adonis, sondern auch ein wenig ein Geck ist? Auf jeden Fall, Mr. Knightley sagt das in etwa ja auch, scheint Mr. Elton ein Mann zu sein, der sich seiner (sexuellen?) Wirkung auf Frauen sehr wohl bewusst ist.

Übrigens: Kann man glauben, dass Mr. Knightley als reicher Gentleman mit 38 Jahren noch keinerlei sexuelle Erfahrungen gemacht hat? Mir kommt er immer so perfekt, so untadelig, so grundanständig vor, dass ich nie auf den Gedanken komme, dass er mit dem Dienstmädchen gekuschelt oder sich im Bordell in London auf zweifelhafte Weise vergnügt haben könnte.
Tja, das kommt davon, wenn man sich zu viel mit Schmuddelkram bei Austen befasst - am Ende sind auch die besten Helden schnöde Lüstlinge. ;D


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 Betreff des Beitrags: Re: Groupread Emma, 10. Kapitel
BeitragVerfasst: Sonntag 19. Mai 2013, 09:08 
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10. Kapitel

Emma erklärt, warum sie nicht heiraten will und muss. Besuch bei den Armen und ein Treffen mit Mr Elton, das noch nicht zum Heiratsantrag führt, obwohl Emma sich sehr bemüht.


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BeitragVerfasst: Sonntag 19. Mai 2013, 18:58 
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Ich komme wahrscheinlich leider erst am Dienstag dazu, etwas zu dem Kapitel zu schreiben - aber hoffentlich bin ich nicht die Einzige. :wink:


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BeitragVerfasst: Montag 20. Mai 2013, 12:56 
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In Chapter X spricht wohl JA selber so ab und an, oder? :)

A single woman, with a very narrow income, must be a ridiculous, disagreeable old maid! the proper sport of boys and girls, but a single woman, of good fortune, is always respectable, and may be as sensible and pleasant as any body else.

Oder:

I shall be very well off, with all the children of a sister I love so much, to care about. There will be enough of them, in all probability, to supply every sort of sensation that declining life can need. There will be enough for every hope and every fear; and though my attachment to none can equal that of a parent, it suits my ideas of comfort better than what is warmer and blinder. My nephews and nieces!--I shall often have a niece with me."

Von Jane Fairfax hält Emma nicht sehr viel: I wish Jane Fairfax very well; but she tires me to death.
Wenn Emma bei Miss Bates ständig die Lobeshymnen ertragen muss - irgendwie verständlich.

Vermutlich sind ihr eben solche Gedanken auch durch den Kopf gegangen, als es hieß -Heirat ..oder nicht Heirat.

Andererseits wird nicht etwa davon gesprochen, dass man außer draw - read - music - carpet-work auch Romane schreiben könnte. :ja:
Was ist eigentlich "carpet-work" ? Teppichknüpfen? ^^

Bin mal gespannt, was Julia an dieser Stelle rein interpretieren kann : :fies_sei:

"Part of my lace is gone," said she, "and I do not know how I am to contrive - da schreit sozusagen nach Freud. :wink:

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~ Der Weg ist das Ziel ~


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BeitragVerfasst: Montag 20. Mai 2013, 18:17 
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Austenbegeistert
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Ich komme im Moment mit dem Lesen nicht nach... :heul:
bin aber hoffentlich bald wieder dabei...


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BeitragVerfasst: Dienstag 21. Mai 2013, 13:02 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Edda, sollen wir unterbrechen bzw. pausieren, damit Du aufholen kannst?

Miranda hat geschrieben:
Bin mal gespannt, was Julia an dieser Stelle rein interpretieren kann : :fies_sei:
"Part of my lace is gone," said she, "and I do not know how I am to contrive - da schreit sozusagen nach Freud. :wink:


Mir fällt dazu nichts ein, aber die diesbezüglichen Interpretationen stammen ja auch nicht von mir - nur um das nochmal zu betonen. :wink:

zu Kapitel 10:

Ein sehr anschauliches Kapitel, wie ich finde - man sieht die Szenerie praktisch vor sich, obwohl JA wenig Worte für Beschreibungen und Schilderungen verliert. Besonders schön gemacht finde ich den zweiten Teil, also Emmas Manövrieren. Und wieder ein Paradebeispiel der "Erlebten Rede" bzw. "free indirect style": The lovers were standing together at one of the windows. It had a most favourable aspect; and, for half a minute, Emma felt the glory of having schemed successfully.

Ich hoffe, ich greife nicht zu sehr vor, aber Emmas bescheidene Selbsbeweihräucherung bzgl. ihrer "independent resources", die sie vor Trübsal im Alter bewahren, lassen schon erste Parallelen zur zukünftigen Mrs Elton anklingen. Ich glaube, sie benutzt sogar dieselbe Formulierung.
Überhaupt finde ich die Parallelen bzw. Beziehung zwischen Emma/Miss Bates und Emma/Mrs Elton sehr spannend, dazu kommt später aber noch mehr und noch expliziteres.

Ein interessanter Hinweis in den Anmerkungen zu diesem Kapitel: Der Junge, der nach Hartfield geschickt wird, um Brühe zu holen. Auch dazu, also zum Austausch von Essen als "soziale Kommunikation" haben sich offenbar schon Wissenschaftler Gedanken gemacht (hier, Maggie Lane - "Jane Austen and Food", dieselbe hat auch an dem jetzt auch auf Deutsch erschienenen "Jane Austen Cook Book" mitgewirkt) - und in "Emma" gibts ja tatsächlich ganz viel davon, bzw. mehrere Erwähnungen. Mr Knightleys Äpfel für die Damen Bates, Emmas Schweineviertel für eben diese, das von Jane Fairfax verschmähte Gemüse.

Mein Lieblingssatz in diesem Kapitel: I wish Jane Fairfax very well; but she tires me to death. ;D

Was mir noch aufgefallen ist in dem Gespräch zwischen Emma und Harriet: Emma wird hier ganz eindeutig als die (Wort)Führerin präsentiert - falls irgendjemand noch Zweifel gehabt haben sollte. Harriet fungiert lediglich als Stichwortgeberin oder darf Emmas Aussagen mit einem "Oh dear! no" oder "Oh dear! yes" oder "Very true" abnicken. DAS würde doch jeden halbwegs geistig regen Menschen nach ein paar derartigen Gesprächen "zu Tode langweilen".


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BeitragVerfasst: Dienstag 21. Mai 2013, 14:38 
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Als ich mir das Kapitel gestern angehört habe, ging mir wiedereinmal durch den Kopf, wie JA den Leser doch an der Nase herumführt. Emma wird uns beständig als intelligent, und geistreich präsentiert, sie soll eine schnelle Auffassungsgabe haben :aetsch: und eigentlich stimmt nichts davon. Wie sehr sie sich trotz der Hinweise von Mr Knightley in ihre Wunschvorstellungen hineinsteigert und alles dahingehend zurechtbiegt :brille: ist schon beeindruckend. Und als Erstleser wird man da ganz schön auf den Holzweg geschickt. (ich hatte damals wirklich keine Ahnung :eek: ) Und wie sehr sie sich bemüht, eine Entscheidung zu erzwingen, daß das nichts werden konnte, wird sie später noch bemerken, den Mr. E weiß sehr wohl Gelegenheiten zu nutzen :fies_sei:

Julia hat geschrieben:
Mein Lieblingssatz in diesem Kapitel: I wish Jane Fairfax very well; but she tires me to death. ;D
:D obwohl ich schon sagen muß, hier kann ich Emma verstehen, so wie sie beständig mit Reden über Jane Fairfax überschüttet wird. Ich habe da sehr wohl Parallelen ins echte Leben. Eine Pat. erzählt mir ständig Dinge über Leute, die ich nicht mal kenne, ohne Punkt und Komma und oft noch völlig zusammenhanglos :gnade: , da scheint Miß Bates noch angenehm dagegen zu sein. Ich könnte den Satz von Emma manchmal fast eins zu eins übernehmen :zzz:
Ich frage mich bei Emmas Ausführungen zum Heiraten immer, wie sie wohl als reiche alte Jungfer so 20 Jahre später darüber denken würde :fies_sei:

Elanor

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BeitragVerfasst: Dienstag 21. Mai 2013, 19:47 
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Elanor hat geschrieben:
Ich frage mich bei Emmas Ausführungen zum Heiraten immer, wie sie wohl als reiche alte Jungfer so 20 Jahre später darüber denken würde :fies_sei:


Zumal wenn dann die vielen Nichten und Neffen erwachsen sind und gar keine Lust haben, sich mit der alten Tante Emma zu befassen - da könnte ihr ein Großteil ihres Beschäftigungsprogramms abhanden kommen. Vielleicht wird sie dann wirklich eher wie Mrs. Elton, wie Julia schreibt.

@Miranda: Ich hab mich auch gefragt, inwieweit Jane Austen beim Schreiben mancher Zeilen auch an ihre Situation gedacht hat. Im Grunde war sie ja, als sie Emma schrieb, auch schon (für damalige Maßstäbe) eine alte Jungfer ohne allzu viel Geld (gut, dank der Romane hatte sie endlich ein paar hundert Pfund auf der Kante, aber vorher drohte ihr ein ähnliches Schicksal wie Miss Bates).

Apropos Miss Bates: Mir fällt auf, wie sehr abschätzig, man könnte auch sagen respektlos, sich Emma hier über die arme Miss Bates auslässt. Sie relativiert es zwar gleich darauf etwas, aber man merkt schon, dass sie gar nichts von Miss Bates hält und den Verkehr nur pflegt, weil es sich "gehört". Oder mangels Alternative. Oder ihrem Vater zuliebe. Andererseits: die Szene bei den armen Menschen zeigt, wie aufmerksam und pflichtbewusst Emma im Grunde ist - und Wohltätigkeit ist hier bestimmt auch ein Hinweis auf Charakterstärke (auch wenn Emma sich sofort von Mr. Eltons Erscheinen wieder ablenken lässt). Interessant fand ich vor allem, dass Emma keine romantischen Vorstellungen von der Tugend derjenigen hat, die keine Erziehung genossen haben - ist das ein Hieb auf die Romantiker und Rousseauisten?


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BeitragVerfasst: Dienstag 21. Mai 2013, 21:26 
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Udo hat geschrieben:
Interessant fand ich vor allem, dass Emma keine romantischen Vorstellungen von der Tugend derjenigen hat, die keine Erziehung genossen haben - ist das ein Hieb auf die Romantiker und Rousseauisten?


Ich denke schon. Zumindest habe ich diese Perspektive von Emma als positiv gemeint verstanden und nicht als Kritik.

Apropos: Das Kapitel unterstreicht ganz gut die Charakterisierungstechnik, auf die ich mal irgendwo hingewiesen wurde. Kritikwürdiges Verhalten/Äußerungen von Emma gehen meist Hand in Hand mit lobenswertem bzw. als positiv beschriebenem Verhalten, was neutralisierend auf ersteres wirkt. Zumindest passt es hier, deshalb fiel es mir wieder ein. Emma lästert zuerst recht unschön oder zumindest respektlos über Miss Bates, und gleich danach wird ihre ehrliche und unverstellte Anteilnahme an der Lebenssituation der armen Familie hervorgehoben.


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BeitragVerfasst: Mittwoch 22. Mai 2013, 08:14 
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Julia hat geschrieben:
Edda, sollen wir unterbrechen bzw. pausieren, damit Du aufholen kannst?


Nicht nötig, bin wieder dabei - in den nächsten Wochen wird es allerdings bei mir immer mal wieder eng...

Zu Kapitel 10
Emma betrachtet hier ihre Situation als unverheiratete Dame ja sehr nüchtern - das fand ich schon erstaunlich, wo sie doch sonst immer so romantische Ideen im Kopf hat...aber eben nur, wenn es um andere geht.... sie selber weiß ja gar nicht wie es ist, verliebt zu sein - meint aber, diesen Zustand bei anderen erkennen zu können.

Elanor hat geschrieben:

Julia hat geschrieben:

Mein Lieblingssatz in diesem Kapitel: I wish Jane Fairfax very well; but she tires me to death. ;D
:D obwohl ich schon sagen muß, hier kann ich Emma verstehen, so wie sie beständig mit Reden über Jane Fairfax überschüttet wird.


Ich hatte auch das Gefühl, dass Emma Jane Fairfax vor allem deshalb so schlecht macht, weil sie insgeheim ahnt, dass sie deren tadelloses Benehmen und Auftreten selber nie erreichen wird - also spielt da ein bisschen Eifersucht mit... Das gleiche habe ich gedacht, als Emma über die Bates herzieht - die ja von allen anderen respektiert und geschätzt werden trotz ihrer Armut und kleinen Fehler...

Emma wirkt auf mich übrigens in diesem Kapitel zum ersten mal wirklich unsympathisch: sie hilft zwar gerne der armen Familie und lamentiert auch über deren unglückliche Situation - kurz darauf denkt sie jedoch nicht mehr daran und sieht den Armenbesuch sogar noch als nützlich für das Treffen mit Mr. Elton an :< .


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 Betreff des Beitrags: Re: Groupread Emma, Kapitel 11
BeitragVerfasst: Mittwoch 22. Mai 2013, 15:10 
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Edda hat geschrieben:
Emma wirkt auf mich übrigens in diesem Kapitel zum ersten mal wirklich unsympathisch: sie hilft zwar gerne der armen Familie und lamentiert auch über deren unglückliche Situation - kurz darauf denkt sie jedoch nicht mehr daran und sieht den Armenbesuch sogar noch als nützlich für das Treffen mit Mr. Elton an :< .


Zumindest passt es zu der vorhergehenden Aussage, Emma hätte keine romantischen oder idealisierten Ansichten bezüglich der Armen und ihrer Unterstützung. :wink: Das macht sie zwar nicht zu einer sozialen Heldin, aber es ist immerhin ehrlich.

Ich mach mal weiter ...

___________________________________________________________________________

Kapitel 11

Mr und Mrs John Knightley treffen zu ihrem Weihnachtsbesuch ein. Das erste gemeinsame Gespräch dreht sich um die Veränderungen auf Hartfield, also Mr & Mrs Westons Hochzeit.


Mr Woodhouses Klagen über Miss Taylors Schicksal gehen wieder passend Hand in Hand mit Emmas ähnlich ausgeprägter Neigung, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse auf die Umwelt zu projezieren. Ich kann John Knightleys Gereiztheit gut nachvollziehen. Schön hier auch die erste angedeutete Gemeinsamkeit mit seinem Bruder: Beide Knightleys halten sich nicht mit Komplimenten und schönen Worten auf - der jeweilige Kern zählt. So legt John Knightley gleich zielsicher den Finger auf die Wunde - Frank Churchill schreibt zwar schöne Briefe, aber blicken lässt er sich nicht, wie es sich gehören würde.

Interessant, dass der sonst so vergessliche Mr Woodhouse sich an das genaue Datum des Briefes erinnern kann, aber nicht an den Inhalt. Zumindest fiel mir das hier erstmals auf, wohl auch, weil wir beim ersten Kapitel darüber gesprochen haben, wann die Romanhandlung einsetzt. Ein Hinweis auf seine Tüdeligkeit oder war es JA wichtig, diese Information unterzubringen?

Der Stellenkommentar hat zumindest mich hier erstmals auf die erwähnte "long vacation" von John Knightley hingewiesen. Bisher habe ich das immer als "längere Ferien/Urlaub" verstanden und es wird meiner Erinnerung nach auch bei Grawe so übersetzt. In den Anmerkungen heißt es, die "long vacation" wäre ein stehender Begriff für die Schließzeiten(?) der Gerichte gewesen, also ein zusammenhängender Zeitraum, in dem keine Verhandlungen etc. stattfinden. Das genaue Datum wechselte jedes Jahr, meist dauerte diese "Sommerpause" aber ungefähr von Juni bis November. Klingt nach einem angenehmen Berufsleben für John Knightley. :wink:


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 Betreff des Beitrags: Re: Groupread Emma, Kapitel 11
BeitragVerfasst: Mittwoch 22. Mai 2013, 18:46 
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zu Kapitel 10:

Edda hat geschrieben:
Ich hatte auch das Gefühl, dass Emma Jane Fairfax vor allem deshalb so schlecht macht, weil sie insgeheim ahnt, dass sie deren tadelloses Benehmen und Auftreten selber nie erreichen wird - also spielt da ein bisschen Eifersucht mit... Das gleiche habe ich gedacht, als Emma über die Bates herzieht - die ja von allen anderen respektiert und geschätzt werden trotz ihrer Armut und kleinen Fehler...

Ich denke auch, dass da Eifersucht mitspielt. Aber vielleicht auch ein schlechtes Gewissen? Weil ja Jane (ebenso wie Frank Churchill und ja irgendwie auch Harriet) bereits als kleines Kind von den Bates weggegeben wurde. Ich weiß gerade nicht, ob gesagt wird, wie alt Jane und Emma damals waren, aber möglicherweise hat ja Emma dieses Fortgeben durchaus bewusst miterlebt. Dann wäre sie die, die Glück gehabt hat, theoretisch könnte sich daraus ein schlechtes Gewissen entwickeln. Zusätzlich zu dem schlechten Gewissen, dass Jane so vieles so gut kann, während Emma nichts vernünftig übt.


Julia hat geschrieben:
Und wieder ein Paradebeispiel der "Erlebten Rede" bzw. "free indirect style": The lovers were standing together at one of the windows. It had a most favourable aspect; and, for half a minute, Emma felt the glory of having schemed successfully.

Das ist so eine Stelle, bei der ich denke, dass die "Erlebte Rede" dazu beiträgt, dass man Emma positiver sieht, als sie es vielleicht verdient. Man ist da ganz nah bei Emma, quasi in ihrem Kopf, und denkt mit ihr über den Anblick zweier Liebender am Fenster nach - irgendwie wirkt das verbindent zwischen Leser und Emma. Und da der Anblick im Grunde sehr hübsch ist (wie dumm Elton ist, erfahren wir ja erst später richtig), ist es eine positive Verbindung. Klingt vielleicht etwas wirr, aber ich könnte mir denken, dass das so funktioniert, ein bisschen jedenfalls.

zu Kapitel 11

Julia hat geschrieben:
Ich kann John Knightleys Gereiztheit gut nachvollziehen.

Das Ehepaar John Knightley kommt nicht wirklich positiv rüber, oder? Sie scheint viel zu sehr nach ihrem Vater zu kommen, er wirkt ziemlich grantelig. Ein wenig wie eine viel weniger drastische Variante der Palmers aus Sense & Sensibility. Jedenfalls könnte es sein, dass diese Ehe auch nicht die glücklichste ist, das wird ja auch angedeutet:

"...und mit einer Frau, die so zu ihm aufsah, bestand wenig Aussicht, dass sich seine natürlichen Schwächen nicht noch verstärkten."

Lustig finde ich, dass Isabella auch einen Mr. Perry hat, nämlich Mr. Wingfield - zum "Duell" der beiden Quacksalber kommt es dann ja in Kapitel 12.


Zitat:
Interessant, dass der sonst so vergessliche Mr Woodhouse sich an das genaue Datum des Briefes erinnern kann, aber nicht an den Inhalt.

Ich habe noch den kleinen Verdacht, dass er den Brief in Wirklichkeit gar nicht gelesen hat. Oder nicht wirklich gelesen, sondern nur mal eben draufgesehen hat. Da wandert das Auge doch immer zuerst auf das Datum, die Anrede, dann auf den Schluss, bevor man mit dem Lesen beginnt.


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 Betreff des Beitrags: Re: Groupread Emma, Kapitel 11
BeitragVerfasst: Mittwoch 22. Mai 2013, 19:41 
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Udo hat geschrieben:
Das ist so eine Stelle, bei der ich denke, dass die "Erlebte Rede" dazu beiträgt, dass man Emma positiver sieht, als sie es vielleicht verdient. Man ist da ganz nah bei Emma, quasi in ihrem Kopf, und denkt mit ihr über den Anblick zweier Liebender am Fenster nach - irgendwie wirkt das verbindent zwischen Leser und Emma. Und da der Anblick im Grunde sehr hübsch ist (wie dumm Elton ist, erfahren wir ja erst später richtig), ist es eine positive Verbindung. Klingt vielleicht etwas wirr, aber ich könnte mir denken, dass das so funktioniert, ein bisschen jedenfalls.


Wenn ich Dich richtig verstehe, sehe ich das auch so. :wink:
Es gibt gerade eine relativ junge Strömung in der Literaturwissenschaft, die Erkenntnisse aus der Hirnforschung mit unserer Wahrnehmung von Literatur verknüpft, also warum und was wir wie lesen. Hier ist ein längerer und für Englischunkundige vielleicht etwas zu komplizierter Artikel zu einem Forschungsprojekt in dem Hirnströme bei der Lektüre verschiedener Texte (von Sachtexten über Trivialliteratur, zu anspruchsvoller Literatur, etc.) gemessen wurden. Dieser Teil ist in Bezug auf unser Thema am interessantesten:

Zitat:
Ms. Zunshine argues, people find the interaction of three minds compelling. (...) “I would try to construct a narrative that involved a triangularization of minds, because that is something we find particularly satisfying.”
(...) the narrative technique known as “free indirect style,” which mingles the character’s voice with the narrator’s. Indirect style enables readers to inhabit two or even three mind-sets at a time.
This style, which became the hallmark of the novel beginning in the 19th century with Jane Austen, evolved because it satisfies our “intense interest in other people’s secret thoughts and motivations,” Ms. Vermeule said.


Kurz gesagt: Offenbar ist die Verknüpfung von zwei oder drei verschiedenen Erzähl- und Warnehmungsperspektiven bzw. Gedankenwelten für das menschliche Gehirn am befriedigensten und die "Erlebte Rede" (und u.a. Austens "Emma") wird als Paradebeispiel dafür genannt.

Somit könnte das schon einer der Gründe sein, warum man an vielen Stellen des Buches wider besseren Wissens als Leser mit Emma sympathisiert bzw. wie Du sagst "in ihrem Kopf" ist.


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 Betreff des Beitrags: Re: Groupread Emma, Kapitel 11
BeitragVerfasst: Donnerstag 23. Mai 2013, 09:33 
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Julia hat geschrieben:
Der Stellenkommentar hat zumindest mich hier erstmals auf die erwähnte "long vacation" von John Knightley hingewiesen. Bisher habe ich das immer als "längere Ferien/Urlaub" verstanden und es wird meiner Erinnerung nach auch bei Grawe so übersetzt. In den Anmerkungen heißt es, die "long vacation" wäre ein stehender Begriff für die Schließzeiten(?) der Gerichte gewesen, also ein zusammenhängender Zeitraum, in dem keine Verhandlungen etc. stattfinden. Das genaue Datum wechselte jedes Jahr, meist dauerte diese "Sommerpause" aber ungefähr von Juni bis November. Klingt nach einem angenehmen Berufsleben für John Knightley. :wink:


Solche Gerichtsferien gibt es hierzulande auch, allerdings nur zwei Monate und es bedeutet auch nicht, dass gar nix stattfindet.

_________________
Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.

Samuel Becket


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 Betreff des Beitrags: Re: Groupread Emma, 11. Kapitel
BeitragVerfasst: Donnerstag 23. Mai 2013, 20:14 
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@Julia: Das klingt ziemlich interessant, soweit ich es verstehe. Eine Frage wäre, inwieweit Autoren diesen Leseeffekt beim Schreiben schon planen. Austen war vermutlich noch nicht so weit, nehme ich an. Dazu gehört ja schon eine richtige Roman- oder Wahrnehmungstheorie.

Noch einmal kurz zurück zu Kapitel 10:

Emma erklärt ja, dass man ruhig ledig sein könne, solange man nur reich ist etc. Dazu gibt es eine interessante Parallele in Die Watsons, auf die Emily Auerbach (Searching for Jane Austen) hinweist. Dort ist es Emma Watsons Schwester, die sagt, sie könne eigentlich gerne ledig bleiben, aber "... nichts ist schlimmer, als alt zu werden, arm zu sein und ausgelacht zu werden." Unsere Emma sagt: "Eine alleinstehende Frau mit kümmerlichem Einkommen ist immer eine lächerliche, unausstehliche alte Jungfer, die Zielscheibe von Jungen und Mädchen."

Das heißt vielleicht nur, dass der Gedanke Austen öfter umgetrieben hat. Oder dass sie halt Die Watsons als Baustelle für Sätze oder Ideen genommen hat. Irgendwo habe ich aber auch mal gelesen, dass Die Watsons sozusagen im Keim schon Emma ist, also dass Die Watsons sozusagen eine Vorstufe in der Entwicklung von Emma ist. Keine Ahnung, ob man das so sehen kann, dazu müsste man sich die beiden Emmas wohl mal näher ansehen. So auf Anhieb haben sie aber nicht viel gemein, scheint mir, außer den Namen natürlich.

Hier in Kapitel 11 ist mir noch aufgefallen (darauf hat Julia ja auch schon hingewiesen), wie kühl John Knightley über Frank Churchill und Mr. Weston urteilt. Allerdings finde ich, dass er damit durchaus nicht Unrecht hat. Sonderlich nett ist das aber auch nicht. Im nächsten Kapitel können wir uns ja die beiden Brüder noch etwas näher ansehen. John zumindest könnte wohl auch als wandelnder Eisblock durchgehen.


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BeitragVerfasst: Freitag 24. Mai 2013, 18:52 
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Austenfrischling

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Udo hat geschrieben:
John zumindest könnte wohl auch als wandelnder Eisblock durchgehen.


Einerseits wird er ja nicht ganz unsympathisch beschrieben:
Mr. John Knightley was a tall, gentleman-like, and very clever man; rising in his profession, domestic, and respectable in his private character; but with reserved manners which prevented his being generally pleasing; and capable of being sometimes out of humour. He was not an ill-tempered man, not so often unreasonably cross as to deserve such a reproach; but his temper was not his great perfection; and, indeed, with such a worshipping wife, it was hardly possible that any natural defects in it should not be increased.

Andererseits scheint Emma ihn nicht zu mögen:
He was not a great favourite with his fair sister-in-law. Nothing wrong in him escaped her. She was quick in feeling the little injuries to Isabella, which Isabella never felt herself. Perhaps she might have passed over more had his manners been flattering to Isabella's sister, but they were only those of a calmly kind brother and friend, without praise and without blindness; but hardly any degree of personal compliment could have made her regardless of that greatest fault of all in her eyes which he sometimes fell into, the want of respectful forbearance towards her father.

Also mir scheint er einfach ein wenig zu "stoffelig". Typisch Mann halt...


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BeitragVerfasst: Freitag 24. Mai 2013, 21:46 
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"Stoffelig"? Das klingt ja fast niedlich....Bestimmt hat er eine raue Schale mit dem üblichen eher weichen Kern. Eisblock ist wohl übertrieben. Aber wirklich positiv wirkt er auf mich nicht. Die Brüder scheinen viel gemeinsam zu haben - aber George hat noch etwas mehr, was John fehlt.

Schön, dass du eingestiegen bist, Daria!


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 Betreff des Beitrags: Re: Groupread Emma, 12. Kapitel
BeitragVerfasst: Samstag 25. Mai 2013, 13:52 
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12. Kapitel
Gemeinsames Abendessen. Emma und Mr. Knightley haben viel damit zu tun, von gefährlichen Gesprächsthemen abzulenken.


Hier hören wir die Brüder im Gespräch - außer zu Drainagen und Wegverlagerungen fällt ihnen offenbar nicht sehr viel ein... Ich habe den Eindruck, dass hier schon ein wenig Kritik an der limitierten Konversation der Herren mitschwingt. Austen schreibt hier zwar von "echt englische Art", was, wie ich vermute, grundsätzlich positiv gemeint sein dürfte, andererseits ist das, was wir dann von den Brüdern hören, doch eher platt in dem Sinne, dass das Gespräch sich nur um Alltäglichkeiten aus der Arbeitswelt dreht.

Sehr lustig finde ich, wie Mr. Woodhouse und Isabella gegenseitig ihre Apotheker, Mr. Perry und Mr. Wingfield, für ihre jeweiligen Positionen in Stellung bringen. Dabei bekommt man auch einen ganz guten Eindruck von der Kompetenz der Herren: Beide empfehlen nur, was sie mal wo erlebt haben. Oder wovon sie gehört haben. Im Zweifel sagen sie offenbar das, was ihr "Patient" gerade gerne hören möchte. Erinnert mich an den Apotheker, der in Sense and Sensibility Marianne Dashwood von der schweren Erkältung heilen soll - der macht im Grunde auch nichts Vernünftiges. Ich schätze, um die Qualität der medizinischen Versorgung war es damals nicht sonderlich gut bestellt... Auf ein Detail dazu machen die Anmerkungen meiner Ausgabe aufmerksam: Isabella muss den Hals ihrer Tochter Bella seit August, also gut vier Monate lang, einreiben, bis der endlich "viel besser" ist. Da fragt man sich, was für ein Zeug das gewesen sein mag.


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BeitragVerfasst: Samstag 25. Mai 2013, 15:14 
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Udo hat geschrieben:
haben viel damit zu tun, von gefährlichen Gesprächsthemen abzulenken.

Das gelingt insbesondere Emma ganz gut, wenngleich Mr. Woodhouse und Isabella es nicht lassen können, immer wieder an ihr Lieblingsthema anzuküpfen.

@Udo: Für diese Stelle findet sich ein Rezept im Teebuch: and I recommend a little gruel to you before you go.—You and I will have a nice basin of gruel together. Ich hab es allerdings nicht ausprobiert...

Es stimmt, dass die Gesprächthemen der Brüder auf uns eher langweilig wirken dürften. Allerdings scheinen beide sich gut zu unterhalten: The plan of a drain, the change of a fence, the felling of a tree, and the destination of every acre for wheat, turnips, or spring corn, was entered into with as much equality of interest by John, as his cooler manners rendered possible; and if his willing brother ever left him any thing to inquire about, his inquiries even approached a tone of eagerness. Wahrscheinlich untersteicht die Szene, dass sie einander sehr ähnlich sind, John aber immer ein wenig hinter dem großen Bruder zurücksteht.

Udo hat geschrieben:
Ich schätze, um die Qualität der medizinischen Versorgung war es damals nicht sonderlich gut bestellt...
Da hast du recht. Die Apotheker sind Quacksalber. Auch Jane Austen selbst muss unter der mangelnden Versorgung gelitten haben. Man hat ja schließlich nicht rausgefunden, was ihr fehlte und letztlich ist sie sehr früh daran gestorben.


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BeitragVerfasst: Samstag 25. Mai 2013, 15:24 
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Was ist hier gemeint: "I did not thoroughly understand what you were telling your brother," cried Emma, "about your friend Mr. Graham's intending to have a bailiff from Scotland, to look after his new estate. What will it answer? Will not the old prejudice be too strong?"


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BeitragVerfasst: Samstag 25. Mai 2013, 16:03 
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daria hat geschrieben:
@Udo: Für diese Stelle findet sich ein Rezept im Teebuch: and I recommend a little gruel to you before you go.—You and I will have a nice basin of gruel together. Ich hab es allerdings nicht ausprobiert...

Hab schon einiges gelesen in dem Buch. Ist wirklich nett, aber in Wahrheit gibt es wohl doch nicht so viele Tee-Stellen bei Austen, habe ich den Eindruck. Die Autorin dehnt das Thema ja auch rasch auf Frühstückskultur aus... Und wie Du schon sagtest: für die Handlung ist Tee irrelevant. :wink: Vermutlich könnte man so ein Buch auch über Kaffee bei Austen schreiben. Spontan fällt mir die Kaffee-Szene in P&P ein, in der Elizabeth Darcy den Kaffee reicht, aber nicht dazu kommt, mal mit ihm zu reden.

Zitat:
Es stimmt, dass die Gesprächthemen der Brüder auf uns eher langweilig wirken dürften. (...) Wahrscheinlich untersteicht die Szene, dass sie einander sehr ähnlich sind, John aber immer ein wenig hinter dem großen Bruder zurücksteht.


Sie sind beide keine Künstlernaturen... :wink: Was das Verhältnis betrifft: Es ist ja wohl so, dass der Ältere alles erbt, während der Jüngere als Rechtsanwalt arbeiten muss. Ich frage mich, ob das ihr Verhältnis nicht trüben könnte. Vielleicht wurde John aber auch großzügig abgefunden von George?

Zitat:
Auch Jane Austen selbst muss unter der mangelnden Versorgung gelitten haben. Man hat ja schließlich nicht rausgefunden, was ihr fehlte und letztlich ist sie sehr früh daran gestorben.

Wobei sie schon einen richtigen Arzt hatte. Und ihre Krankheit war damals noch gar nicht entdeckt von der Medizin, da hätte also auch der beste Arzt nichts ausrichten können.
Zitat:
Was ist hier gemeint: "I did not thoroughly understand what you were telling your brother," cried Emma, "about your friend Mr. Graham's intending to have a bailiff from Scotland, to look after his new estate. What will it answer? Will not the old prejudice be too strong?"

Laut den Anmerkungen bei mir geht es darum, dass damals der alten Konflikt/Krieg zwischen Schotten und Engländern ja noch nicht so lange her war, ein paar Jahrzehnte nur. Und ebenso, wie die Schotten wohl nicht viel von den Engländern hielten, hatten die Engländer wohl keine so gute Meinung von den derben Schotten. Die Romantisierung der Schotten durch Walter Scott hatte auch gerade erst begonnen.


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BeitragVerfasst: Sonntag 26. Mai 2013, 17:11 
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Ich empfand die Begegnung zwischen den Brüdern Knightley eigentlich sehr positiv. Klar, sie reden nicht über weltbewegende oder philosophische Dinge - aber wer tut das schon am ersten Abend eines Wiedersehens? :wink: Ist doch eigentlich sehr natürlich, über die jeweils persönlichen Angelegenheiten und Neuigkeiten zu sprechen. In dem Fall eben über Donwell, ein gemeinsames Interesse. Übrigens fand ich die Betonung der landwirtschaftlichen Themen einen interessanten (und wichtigen!) Kontrast zu Emmas kritischen Bemerkungen über Mr Martins geistigen Horizont in Kapitel 4. Mr Knightley ist jedenfalls ein Beispiel dafür, dass sich "Gentleman" bzw. "Bildung" und "Farmer" nicht zwangsläufig ausschließen, auch wenn er natürlich kein Farmer in dem Sinn wie Mr Martin ist.

Die Szene in der Emma und Mr Knightley versuchen, heikle Themen zu vermeiden zeigt sehr schön, wie vertraut die beiden sind bzw. sich ohne viel Worte verstehen und entsprechend handeln. Konkret wurde das ja in der Szene mit der gemeinsamen Nichte betont: (...) he was soon led on to talk of them all in the usual way, and to take the child out of her arms with all the unceremoniousness of perfect amity.

Bei dem Szenen wie dem Gespräch zwischen Isabella und Mr Woodhouse habe ich immer das Gefühl zu merken, wie viel Spaß JA daran hatte, solche Dialoge zu schreiben. Und dann noch so großartige Sätze wie: (...) Mr. Woodhouse was enjoying a full flow of happy regrets and fearful affection with his daughter. Toll, wie da in einem Satz ein ganzer Charakter untergebracht ist. Und auch noch auf sprachlich elegante und amüsante Weise.

Bzgl. Krankenversorgung: Sowohl Mr Perry als auch Mr Wingfield sind ja "nur" Apotheker. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war deren Qualifizierung eigentlich schon längst überholt, weil es immer mehr professionell ausgebildete Ärzte gab, deren medizinische Autorität auch schnell angenommen wurde. In ländlichen Regionen konnten sich Apotheker als "Hausärzte" noch länger halten, aber es ist schon auffällig, dass Isabella, die immerhin in London lebte und zur gehobeneren Mittelklasse gehört, keinen richtigen Arzt hat. Vielleicht weil der ihr sagen würde, dass sie und ihre Kinder vollkommen gesund sind? Beide Herren scheinen ja hauptsächlich das zu verschreiben, was der jeweilige Patient am liebsten hätte. Zumindest die Darstellung von Mr Perry, auch wenn wir ihn fast ausschließlich aus Mr Woodhouses Perspektive kennenlernen, ist ja schon fast satirisch.


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 Betreff des Beitrags: Re: Groupread Emma, 12. Kapitel
BeitragVerfasst: Montag 27. Mai 2013, 18:38 
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Julia hat geschrieben:
Die Szene in der Emma und Mr Knightley versuchen, heikle Themen zu vermeiden zeigt sehr schön, wie vertraut die beiden sind bzw. sich ohne viel Worte verstehen und entsprechend handeln.


Ja, man merkt doch gleich, dass die beiden ganz gut zusammen passen würden...

Ich denke auch, dass Perry und Wingfield Apotheker sind - obwohl Mr. Woodhouse Perry in der Grawe-Übersetzung einmal "Arzt" nennt. Das ist wohl ein Fehler, im Original ist davon an der Stelle keine Rede: da heißt es nur "a man in such practice".

Lustig finde ich auch, dass Isabella vom Haferschleim-Kochen offensichtlich ebenso eine Wissenschaft macht wie ihr Vater. Die beiden sind sich doch sehr, sehr ähnlich... Wobei ich mich schon frage, ob ihre kränkelnde Konstitution etwas mit dem übermäßigen Verzehr von Haferschleim zu tun haben könnte.


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BeitragVerfasst: Dienstag 28. Mai 2013, 20:51 
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Udo hat geschrieben:
Wobei ich mich schon frage, ob ihre kränkelnde Konstitution etwas mit dem übermäßigen Verzehr von Haferschleim zu tun haben könnte.


:lach: :lach:

Wann geht es denn weiter? :les:


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BeitragVerfasst: Dienstag 28. Mai 2013, 21:39 
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Ich hinke wieder einmal ein bisschen hinterher - bin grad mit Kapitel 12 durch (bisher leider nur auf deutsch - ansonsten versuche ich parallel den englischen Text zu lesen)...

In Kapitel 11 war mir noch aufgefallen, wie sehr Isabella ihren Vater in seinen Ansichten bestärkt (während Emma ihm auch mal vorsichtig widerspricht und damit seine Sichtweise ein bisschen gerade rückt). Im 12. Kapitel ist das ein bisschen anders: Isabella verteidigt ihre Entscheidung, Urlaub an der See zu machen und hat auch ihre eigenen Ansichten (bzw. die ihres Apothekers) über Heilmittel etc.

Dass Mr. John Knightley angesichts der Unterhaltung von Schwiegervater und Ehefrau der Kragen platzt, kann ich gut verstehen - aber für die damalige Zeit ist sein Verhalten sicher sehr ungebührlich, oder?

Julia hat geschrieben:
Bei dem Szenen wie dem Gespräch zwischen Isabella und Mr Woodhouse habe ich immer das Gefühl zu merken, wie viel Spaß JA daran hatte, solche Dialoge zu schreiben.

Das ging mir auch so :lach: : dass man sich so ernsthaft über Haferschleim unterhalten kann, finde ich einfach köstlich! :lach:


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