Na ja, auf diese Weise (also die Kabbeleien zwischen Bingley und Darcy) erfahren wir Leser nicht nur vom Erzähler, also von höherer Warte sehr viel über die beiden Charaktere, sondern hier eben als Augenzeugenaussage. Theoretisch darf man hier die Aussagen auch ein wenig in Zweifel ziehen, bzw. sich fragen was noch Wahrheit ist und was bereits Übertreibung, und wie die Schwächen und Stärken zu werten sind. Lizzy hat hier ja nun auch eine entsprechende Meinung. Und das ist vermutlich die Krux, dieses Kapitels. Nicht nur Wir, sondern auch Lizzy und über sie vermutlich Jane, sollen also möglichst viel über die beiden erfahren.
By the way, ist es nicht auch ein Zeichen wirklich tiefer und unumstösslicher Freundschaft, dass man sehr ehrlich und freimütig, also sozusagen familiär miteinander und übereinander spricht, und Dritte dabei oft gar nicht wahrnimmt?
Udo hat geschrieben:
Vielleicht nimmt er es doch gar nicht soo gelassen hin. Kurz darauf ist es ja Bingley, der Darcy kritisiert. Zunächst der Satz, dass er ihn nicht halb so sehr achten würde, wenn Darcy nicht so groß wäre (ein verunglückter Scherz?). Und dann der Nachsatz, dass Darcy geradezu grauenhaft sei, wenn er sonntags in seiner Hütte sitzt und nichts zu tun hat.
Das mir nun wieder ein Übersetzungsproblem.
Zitat:
"...I assure you, that if Darcy were not such a great tall fellow, in comparison with myself, I should not pay him half so much deference. I declare I do not know a more awful object than Darcy, on particular occasions, and in particular places; at his own house especially, and of a Sunday evening, when he has nothing to do."
Mr. Darcy smiled; but Elizabeth thought she could perceive that he was rather offended, and therefore checked her laugh. Miss Bingley warmly resented the indignity he had received, in an expostulation with her brother for talking such nonsense.
"Ich versichere Ihnen (Euch?), wäre mir Darcy in unserer Freundschaft nicht so ein großartiger, langer Kamerad/Bursche (neusprachlich "Kumpel"), ich zollte ihm nicht die Hälfte meiner Hochachtung. Ich versichere Euch, in speziellen Fällen und an bestimmten Orten, kein schrecklicheres Wesen als Darcy zu kennen; als Beispiel zu nennen in seinem eigenen Haus, an einem Sonntag abend, und vor allem, wenn er nichts tun kann (zur Untätigkeit gezwungen ist)."
Mr Darcy lächelte; doch Elizabeth glaubte zu spüren, dass er eher gekränkt war, und unterdrückte deshalb ein Lachen. Miss Bingley rügte die Beleidigung, die er erhalten hatte, warm und indem sie ihrem Bruder vorhielt, Unsinn von sich zu geben. Die Frage ist nun, ist Darcy tatsächlich beleidigt, oder nicht? kennt ihn Lizzy tatsächlich schon so gut, dass sie sich ein Urteil bilden kann? Ich denke Jane Austen hat es deshalb überaus vorsichtig ausgedrückt. "Lizzy
thought she could perceive...". In diesem Satz steht sehr viel Wenn.
Es kommt mir im übrigen so vor, als wären entweder die Bingleys eher klein gewachsen, oder die Darcys sehr groß, denn es wird ja auch bei Georgianna lang und breit über ihr Wachstum gesprochen.
Ich bin mir sicher, dass es für den "tall fellow" ein bestimmtes Kumpel-Wort gibt, oder so eines wie die "Langen Kerls" unserer Preussen. Es geht demnach mehr darum, dass ihn Darcy beschützt hat, nach dem Motto "Die Großen beschützen die Kleinen".
Der Begriff der "Langen Kerls" griff in ganz Europa um sich und mehrere Landesfürsten versorgten speziell Friedrich mit Burschen, die das "Gardemaß" hatten.
guckGerade der Nachsatz, dass Darcy quasi zum Tier wird, wenn er nichts zu tun hat, macht ihn mir eher sympathisch. Vor allem nimmt es sich geradezu komisch aus, wenn man bedenkt, dass man als Gentleman ja nicht wirklich "arbeiten" durfte. Klar, vor allem nach der Kirche, also Sonntags soll man ruhen.
Wenn Darcy das ernst nimmt, kann er dann nicht einmal seinen Studien oder Lesungen nachgehen. Zur Untätigkeit verdammt und andererseits gezwungen sich das geistlose Geplapper gewisser Damen anzuhören ... Ich kann Darcy allzu gut verstehen.
Zumal Darcy gerade mit dieser Eigenschaft und diesem Problem noch mehr von dem üblichen Aristokraten-Bengel-Standesdünkel verliert.
Genaugenommen sind die Charaktere Bingley-Darcy genau seitenverkehrt. Der junge Aristokrat stirbt fast vor Langeweile, wenn er nichts zu tun hat, wo doch das süße Nichtstun zu seinen Attributen zählen sollte, und der Händler-, also eigentlich Arbeitersohn kann das nicht verstehen und zieht ihn damit auf.
Dachte Tschechow vielleicht sogar an einen Darcy-Charakter, als er in seinen "Drei Schwestern" davon spricht, dass "Arbeit adelt"? Er legt es zwar der ältesten Schwester in den Mund, aber die kann nun auch nicht untätig sein.
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Grüsse, Caro
Avatar: Amelia Darcy (1754-1784)
Für 1 Jahr säe einen Samen, für 10 Jahre pflanze einen Baum, für 100 Jahre erziehe einen Menschen. chin. Weisheit