Noch zum 4. Kapitel, sorry, bin jetzt schon ein bisschen hinterher.
Ich denke, dass Annes Entscheidung nicht an einem einzigen Grund festgemacht werden kann.
Einmal ist natürlich die Tatsache, dass, so steht es zumindest zu erwarten, sie von ihrem Vater keine Mitgift erhalten wird. (Dass er sie zusätzlich wohl auch einfach "abschreibt" wird Anne wohl nicht so wichtig gewesen sein.)
Dann ist da Wentworth der zum Zeitpunkt der Verlobung mit gar keinem Vermögen aufwarten kann. Das heisst bevor sie überhaupt ans heiraten denken können (dazu braucht man ja mindestens ein Dach über dem Kopf, das man nach vollzogenem Eheschluss beziehen kann), müsste er so oder so erst mal Geld ranschaffen. Er kann ja nicht Anne heiraten, sie dann auf der Wiese sitzen lassen und sich auf See begeben.
Ich denke auch, dass es, gerade für den späteren Verlauf, sehr wichtig ist, dass Wentworth erst mal ausziehen durfte, und sein Glück machen.
Ich denke nicht, dass ihn eine Verlobung mit Anne oder die Aussicht auf eine spätere Verlobung mit Anne davon abgehalten hätten, im Gegenteil. Ich denke aber doch, dass eine Ehe mit Anne oder noch mehr eine Familie mit Anne, ihm dazu keine Chance gelassen hätten. Unabhängig von allen Standesüberlegungen, hätte einfach Geld für Essen und Wohnen beschafft werden müssen.
Und diese Aussicht, den Rest ihres Lebens als Arme zu verbringen, dürfte schon auch sehr abschreckend gewirkt haben. Denn das ist ja wie oben schon gesagt kein Vergleich, ob man jetzt den ein oder anderen Dienstboten weniger hat, Kutsche oder keine Kutsche, in Zukunft, oder ob man in einem kleinen, alten Haus/Wohnung ohne Geld versucht eine Familie zu ernöhren (und dabei womöglich auch krank wird oder stirbt).
Liebe hin oder her, ich denke schon, dass grade für Anne diese praktischen Aspekte wichtig waren.
Und dann ist da natürlich noch Lady Russell, die einerseits in ihrer Meinung einen starken Einfluss auf Anne hat.
Aber andererseits im Falle einer Ehe mit Wentworth wohl auch gesellschaftliche Abstand genommen hätte von Anne. Und für Anne ist Lady Russell zu dem Zeitpunkt ja die einzige Vertraute, die einzige Freundin und sowas wie Familie, die sie überhaupt hat. Das so leichtfertig auf's Spoiel zu setzen (für eine ungewisse Zukunft, eine Verliebtheit...) wird sie sich sicher auch zweimal überlegt haben.
In Bezug auf die längere Verlobungszeit (Die ich ja auch sehr vernünftig gefunden hätte) habe ich ehrlich gesagt keine Ahnung, wie das damals gehandhabt wurde, aber selbst, wenn eine solche in Frage gekommen wäre, Im Buch wird gesagt:
Such opposition as these feelings produced was more than Anne could combat. Young and gentle as she was, it might yet have been possible to withstand her father's ill-will [...]; but Lady Russell, whom she had always loved and relied on, could not, with such steadiness of opinion, and such tenderness of manner, be continually advising her in vain.
Und das heißt doch, dass Anne, die ja schon jetzt klein beigegeben hat, sicher nicht mehrere Monate oder gar Jahre standhalten hätte können.
Anne bereut ihre Entscheidung ja auch, weil sie wohl fühlt, dass sie moralisch falsch ist, aber aus meiner Sicht war es zu dem Zeitpunkt die logische Entscheidung.
(Auch wenn ich ihr mehr Widerstandskraft und damit einfach eine längere Verlobungszeit, oder die Aussicht auf eine Verlobung, das gab' ja durschaus auch, gewünscht hätte.
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