Udo hat geschrieben:
Was mich übrigens beim Nachdenken über die "Moral von der Geschicht" zu stören beginnt: Es ist so unglaublich simpel! Catherine lebt in der Fantasie-Schauerwelt, lernt durch Henry und Erfahrung, was das wirkliche Leben ist, geht gereift aus dem Drama hervor und wird am Ende mit everybody´s darling belohnt. Eigentlich ist das zu billig, auch wenn es JA nicht um eine Moral, sondern um eine Parodie ging.
Naja, wenn man einen Roman auf seine "Moral" zu reduzieren beginnt, ist es immer billig:
Emma: "Misch Dich nicht in fremde Angelegenheiten, sondern schau lieber, dass Dir Dein eigener Verehrer nicht durch die Lappen geht."?
Mansfield Park: "Wenn man lange genug eisern ausharrt, konmt der Angebetete schon irgendwann drauf, dass Du die Richtige für ihn bist."?
Auch in "Northanger Abbey" steckt mehr als das.
Zitat:
Henrys Moralpredigt.... Es geht wohl darum, schreibe ich in aller Vorsicht, dass sich hier männlich-dominantes und weiblich-hingebungsvoll-unterordnendes Verhalten trifft - was dazu passen könnte, wie man sich vor 200 Jahren das Liebesleben im Bett vorstellte.
Wo hast Du das denn her?
Ist ja ganz schön weitgegriffen, finde ich - jedenfalls die Idee, das an dieser Stelle festzumachen. Männlich-dominates und weiblich-unterordnendes Verhalten findet sich doch in so ziemlich jedem Roman des 18. Jahrhunderts??
Zitat:
(Hast Du nicht ein ganzes Buch über Austen und die Erotik, Julia?)
Gibt es das??
Nein ich habe "Austen's unbecoming conjunctions", da geht es generell um Wortspiele und Analogien, die man heute nicht mehr als solche erkennen würde. Und da die Autorin sich bemüht, Jane Austen als böse Zunge zu präsentieren, gibt es viel zum Thema Erotik bzw. Körperlichkeit generell. Aber nicht nur.
Im Kapitel zu "Northanger Abbey" geht es neben den bekannten Themen übrigens interessanterweise um Henry Tilneys Weiblichkeit. Bzw. sein Interesse für "weibliche" Themen wie Kleidung, Romane, etc. im Zusammenhang mit dem um die Jahrhundertwende populären Trend der Androgynität bei Männern. Demonstrativ "männliche" Männer wie z.B. Thorpe mit seinen Flüchen, Grobheiten und Kutschenobsessionen wurden zunehmend "out".
Dann gibt es viel zum Thema Reiten und Pferde, das ja auch in "Mansfield Park" eine recht anzügliche Funktion haben soll. In diesem Fall geht es um Thorpe, seine Kutsche und sein vehement durchgesetztes Vorhaben, mit Catherine spazieren zu fahren. Entführungen und Vergewaltigungen in Kutschen waren ein sehr verbreitetes Motiv im englischen Roman dieser Zeit. Insofern ist die Szene, wo Thorpe Catherine nicht aussteigen lässt, natürlich einerseits eine Parodie auf genau diese Konvention - kann aber gleichzeitig auch als deutlich sexuell besetzte Episode verstanden werden. Thorpes Interesse am Pferdehandel und den ständigen Gesprächen welches Pferd er wem verkaufen oder abkaufen will, ist dabei allerdings laut den Recherchen der Autorin latent homoerotisch besetzt (siehe auch Thorpes Kommentare über Henrys Körperbau bei ihrem ersten Treffen!), was ein zusätzlicher Gag auf seine Kosten sein soll.
Die Interpretation besagter Szene mit Henrys Moralpredigt im Zimmer seiner Mutter, geht übrigens hier genau in die andere Richtung. Catherine fühlt sich "entblößt" und schämt sich, dass Henry weiß wie albern/verdreht sie ist - sein rücksichtsvolles Verhalten trotz seinem Entsetzen sei aber ein Zeichen für die neue, moderne Rolle der Männer in Romanen, die nicht mehr auf ihrer vemeintlich "natürlichen" Überlegenheit beharren würden. Passend dazu auch das "frauenfeindliche" (laut diesem Buch satirische) Geplänkel bei dem Spaziergang zu Beechen Cliff, wo er genau diese Vorstellung parodiert.
Ich sags ja: Auch in "Northamger Abbey" steckt mehr als nur die oben thematisierte "Moral".