Amadea hat geschrieben:
Käme mir beispielsweise zu Ohren, dass im Mietshaus der alleinstehende Mann mittleren Alters aus dem 3. OG links, der mir sowieso ein wenig sonderbar vorkommt, "Das Parfüm" geschrieben hätte, machte ich mir mit Sicherheit ein paar Gedanken mehr über ihn.
Hätte jedoch ein guter Freund von mir "Das Parfüm" geschrieben, bewunderte ich ihn wahrscheinlich einfach nur ob seines Ideenreichtums und seiner Fantasie.
Bestimmt ist man also eher geneigt, diesbezügliche Spekulationen anzustellen, wenn man jemanden vermeintlich kennt. Man ist sich bewusst, dass man die unverheiratete Kollegin aus der anderen Abteilung als Mensch nicht wirklich kennt, da man quasi kaum mit ihr zu tun hat. Und gerade deshalb fände man es wahrscheinlich pikant, wenn man erführe, sie schriebe ausschließlich Geschichten über lesbische Beziehungen. In solch einem Fall neigt man sicherlich dazu, Vermutungen anzustellen, auch wenn man eigentlich weiß, dass das rein gar nichts besagt.
Zwei wunderbare Beispiele die du hier so mal kurz aus dem Ärmel geschüttelt hast
Man könnte sie schon fast als Fallstudien bezeichnen.
Bevor ich jetzt aber mein Gelaber auf euch loslasse möcht ich festhalten, dass die Gedanken die ich mir machte jetzt nicht im direkten Bezug zum Thema stehen. Deine beiden Beispiele, Amadea, fand ich nur so schrecklich anregend.
Ich hoffe ihr verzeiht mir, und wem das Geschwafel jetzt zu theoretisch wird, darf es gerne übergehen.
Achtung, gleich wirds furchtbar psychologisch:
Beide negativen Beispiele gehen von einer Grundstimmung aus: Nämlich, dass die Person um die es geht bereits schon im Vorfeld negative Gefühle durch ihr seltsames oder undurchschaubares Verhalten auslösten. Interessanterweise geht ein Teil der Tiefenpsychologie davon aus, dass wir unser eigenes Unterbewusstsein auf andere Menschen projezieren. Zum eigenen Unbewussten hat der Mensch ja naturgemäss keinen Zugang. Es hat ein bisschen den Charakter einer Giftmülldeponie. Man sammelt dort Eindrücke, Erfahrungen, Empfindungen, vielleicht sogar Traumas an und hat, sofern es nicht professionell bewusst gemacht wird, keinen Zugang mehr dazu. Das einzige Ventil unseres Es -wie Freud das Unterbewusstsein so treffend nannte- ist die Traumwelt und die Projektion. Den Menschen den wir nicht kennen, der sich aber dennoch in irgend einer Weise in unserem Umfeld aufhält und bewegt, kann so in gewisserweise zum Abbild unseres eigenen Es werden.
Es ist da, aber man kennt
es nicht wirklich. Da das was man nicht kennt naturgemäss Angst macht, werden die Projektionen meistens eher negativer Natur sein.
Wenn dann irgendetwas hinzukommt was dieses Misstrauen bestätigt, gibt dies, so paradox das jetzt vilelleicht auch klingen mag, wieder Sicherheit. Wir haben uns nicht getäuscht, der alleinstehende Mann mittleren Alters aus dem 3. OG links hat "das Parfüm" geschrieben. Wahrscheinlich stimmt mit dem wirklich etwas nicht.
Hingegen den Freund den wir schon Jahre kennen, sugeriert uns Sicherheit. Wir konnten ihn über Jahre bewusst erfahren, empfinden, mit ihm leben, wenn
der das schreibt, dann höchstens weil er ein so wunderbares Einfühlungsvermögen hat.
Dabei hat er vielleicht ja auch eine geheime Seite seiner Fantasie ausgelebt, die er aber im realen Leben wohl niemals ausleben würde, für die ihm aber das Schreiben eine adequate Plattform war.
Natürlich könnte, und müsste man eigentlich auch, beide Beispiele noch in verschiedene andere Zusammenhänge bringen damit ein einigermassen vollständiges Bild entstehen könnte, aber das sprengt natürlich bei weitem den Rahmen dieser Diskussion.
Bezzy hat geschrieben:
Interessant, dass man wohl doch geneigt ist, einigen Vorurteilen nachzugeben, je nach Situation! Trotzdem würde es mich sehr reizen, meine Grenzen mal auszuloten, auch wenn ich nur ein Hobbyschreiberlein bin...
Ich finde dafür sind die Künste wie Schreiben, Malen, Zeichnen, Tanzen usw. ja gerade da. Sie können uns helfen, innere Sehnsüchte, Zorn, Fantasien, Abgründe, Begierden u.v.m. bewusst zu machen, oder, vielleicht noch spannender, die Grenzen der bewussten Konventionen in einem geschützten Ramen, nämlich der Illusion, zu überschreiten. Will heissen, Dinge zum Ausdruck bringen die eigentlich jenseits dessen liegen was ich in meinem persönlichen Leben noch als richtig, gut, möglich usw. empfinde. Es gäbe keinen Harry Potter, keine Star Wars Geschichten, keinen Herr der Ringe, kein Parfum, keinen "Dahli", kein Ausdrucksballet uvm. wenn Menschen nicht bereit gewesen wären das Bekannte hinter sich zu lassen, und den Experimentierkasten "Fantasie" hervorzunehmen. Denn die Fantasie vermag Dinge hervorzubringen, die noch nicht einmal in uns selbst -also im Unbewussten verdrängt geschlummert hat, sie kann sich sogar über unseren eigenen Erfahrungshorizonz hinwegheben und Gefilde, jenseits der normalen Vorstellungskraft, erschaffen wie kein anderes Instrument menschlichen Seins.
In diesem Sinne, nur Mut!
Es lohnt sich auf alle Fälle und wenn auch (nur) dahingehend, sich selbst ein bisschen besser kennen zu lernen.
...und sich selbst kennen bedeutet sich seiner Selbst sicher zu werden.
Grüsschen
MJ