Danke für die Info, Angelika! Ich lese hier schon länger mit, aber die Challenge hat den Auslöser gegeben, mich endlich auch anzumelden
Dann hole ich einfach mal tief Luft und mache den Anfang - ist zwar nicht meine erste Geschichte, aber ich habe noch nie etwas veröffentlicht. Ich hoffe, sie ist nicht zu lang(weilig) geraten...
Alles nur geträumt?
Inhalt: Fitzwilliam Darcy ist auf dem Weg zu Charles Bingleys Hochzeit nach Hertfordshire und verliebt sich in eine geheimnisvolle Wassernymphe – die sich später zwar als sehr real herausstellt – aber ist sie auch noch zu haben?
Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel – ganz Hertfordshire litt unter dem heißesten Sommer seit Menschengedenken. Die Hitze ließ die Felder verdorren, Bäche trockneten aus, die Wasservorräte schrumpften beängstigend schnell. Wer bei solchen Temperaturen auf die Idee kam zu heiraten, sollte sich auf seinen Geisteszustand überprüfen lassen, dachte Fitzwilliam Darcy sarkastisch und beglückwünschte sich einmal mehr zu seiner Idee, der kleinen Reisegesellschaft vorausgeritten zu sein. Von London nach Hertfordshire war es nicht so weit, die Strecke ließ sich sehr gut zu Pferd zurücklegen, trotz der extremen Hitze des heutigen Tages. Darcy gönnte seinem Pferd eine kurze Pause im Schatten eines Baumes und warf einen mißmutigen Blick in das vor Hitze gleißende Tal, das sich vor ihm ausbreitete. Der Schweiß rann ihm regelrecht in Strömen über den Körper, sein Taschentuch, mit dem er sich immer wieder übers Gesicht fuhr, war bereits durchgeweicht. Von seiner staubigen Kleidung ganz zu schweigen. Und zu allem Überfluß war sein kleiner Vorrat an Trinkwasser bereits aufgebraucht.
Darcy seufzte. Er konnte sich nicht daran erinnern, in den bisherigen 28 Jahren seines Lebens einen ähnlich heißen Sommer erlebt zu haben und wünschte sehnlichst, er wäre zuhause geblieben. Zuhause, das war Pemberley, das war Derbyshire, das war der Norden, der solche außergewöhnlichen Temperaturen normalerweise nicht kannte. Es war alles etwas gemäßigter in seiner Heimat. Für einen Augenblick schloß Darcy die Augen und stellte sich vor, er sei zuhause, in seinem Park, an dem kleinen, kühlen Teich, in dem sie im Sommer badeten und auf dem sie im Winter Schlittschuh liefen. Umgeben von hohen, schattenspendenden Bäumen auf der einen Seite sowie einer Art geschütztem Sandstrand auf der anderen…
Darcy wurde mit einem Schlag in die heiße, ungemütliche Gegenwart zurückbefördert, als sich sein Pferd mit einem lauten Schnauben in Erinnerung brachte. Das arme Tier, dachte er, die Hitze machte natürlich auch ihm zu schaffen, es sehnte sich wohl genauso sehr wie er selbst nach ein wenig kühlem, erfrischendem Naß! Darcy sah sich frustriert um. Vor ihm breiteten sich bloß sonnenüberflutete, trockene Felder im flirrenden Licht aus, soweit das Auge reichte, unterbrochen nur von ein paar wenigen Baumansammlungen, aber nirgends ein Anzeichen von Zivilisation, geschweige denn von einem kleinen Bach oder Teich oder auch nur einer einzigen nassen Pfütze! Netherfield mußte noch einige Meilen entfernt sein, von hier jedenfalls war noch nichts davon zu sehen. Es war schier zum Verzweifeln.
Aber alles Jammern half nichts. Sein Freund, Charles Bingley, hatte sich nunmal in den Kopf gesetzt, dieses Mädchen vom Land, diese Jane Wiewarnochgleichihrname, zu heiraten. Darcy konnte bloß erstaunt den Kopf darüber schütteln. Bingley hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen. Ihm war tatsächlich völlig egal, daß die junge Dame weder über ein großes Erbe verfügte noch irgendwelche familiären oder gesellschaftlichen Verbindungen hatte. Er war verliebt in seinen „Engel“, wie er sie nannte, und alles andere war ihm vollkommen gleichgültig. War das zu glauben! Es war das erste Mal, daß er nicht auf den Rat seines alten Freundes gehört hatte. Darcy seufzte noch einmal. Hoffentlich wußte Bingley, was er tat! Aber es half ja nichts. Sie waren alte, enge Freunde und selbstverständlich war es ihm eine Ehre, Bingleys Trauzeuge zu sein. Auch wenn dieser unbedingt im Hochsommer und in der tiefsten Provinz heiraten mußte!
Tja, und jetzt waren sie unter sengender Sonne bei unmenschlichen Temperaturen auf dem Weg nach Netherfield, Hertfordshire, um in drei Tagen die Hochzeit zu feiern. Einen Trost hatte Darcy allerdings: er mußte nicht in der Kutsche mitreisen. Ein fast boshaftes Grinsen stahl sich über sein Gesicht als er daran dachte, wie enttäuscht Miss Bingley, Charles’ Schwester, gewesen war, als er auf seinem Hengst davongaloppiert war. Das hätte ihm gerade noch gefehlt, gemeinsam mit ihr, Bingley, und seiner anderen Schwester, Mrs. Hurst und deren Ehemann in eine enge, stickige Kutsche gepfercht zu sein! Bei diesen höllenähnlichen Temperaturen! Er seufzte ein weiteres mal – diesmal vor Erleichterung – und ließ seinen Blick ein letztes mal über die Landschaft gleiten.
Diesmal wurde seine Aufmerksamkeit durch ein Glitzern in dem kleinen Waldstück geweckt, das etwa eine Meile links vor ihm lag und seine Augen leuchteten hoffnungsvoll auf. Konnte es tatsächlich wahr sein? War das etwa Wasser? Sollte er hinreiten? Es war sowieso fast seine Richtung nach Netherfield, es wäre nur ein kleiner Umweg. Das Risiko ging er gerne ein – und wenn er sich nur kurz das erhitzte Gesicht abkühlen konnte und das Pferd etwas zu trinken bekam. Die Erschöpfung war fürs erste vergessen – entschlossen trieb er sein treues Roß an und lenkte es in Richtung des kleinen Wäldchens. Und in der Tat, kurze Zeit später erspähten seine übermüdeten Augen einen gar nicht einmal so kleinen Teich zwischen den Bäumen.
Darcy verschwendete keinen Blick auf seine Umgebung. Er hatte keinen Blick für die märchenhafte, fast verwunschene Kulisse, die sich rund um das Gewässer ausbreitete, die idyllisch ins Wasser hängenden Äste der Trauerweiden, die sonnenbeschienene Grasfläche, die, von ein paar Felsen umrahmt, zum Ausruhen regelrecht einlud. Ihm waren die weißen und roten Seerosen vollkommen egal, die üppig auf der gegenüberliegenden Seite des Sees blühten und er hörte auch nichts vom fröhlichen Gesang der Amseln, die sich – trotz der Hitze – einen regelrechten Sängerwettstreit lieferten. Auch den kleinen Bach, der sich einige Meter weit von ihm entfernt über ein paar bemooste Steine leise murmelnd in den See ergoß, bemerkte er nicht. Fitzwilliam Darcy hatte nur noch für eines Augen: für das köstliche, kühle, erfrischende Naß zu seinen Füßen und er verschwendete keine unnötige Zeit. Ohne sich die Mühe zu machen, seine Kleidung abzulegen, die Stiefel ausgenommen, trat er ans seichte Ufer, überprüfte kurz die Tiefe und tauchte mit einem genießerischen Seufzer in die kühlen Fluten ein.
Welch Wohltat! Darcy wollte das erfrischende Wasser gar nicht mehr verlassen. Minutenlang genoß er es einfach nur, ein bißchen herumzupaddeln, ab und zu unterzutauchen und zu spüren, wie auch das letzte bißchen Straßenstaub von ihm abgewaschen wurde. Er fühlte sich wie neugeboren. Beim Gedanken daran, jetzt noch mehrere Meilen bis nach Netherfield Manor auf dem Pferderücken durch die pralle Sonne zurücklegen zu müssen, wurde ihm flau, aber hier konnte er auch nicht sehr viel länger bleiben. Zögernd und mit nicht wenig Bedauern verließ er nach einiger Zeit das erquickende Naß. Er sah kopfschüttelnd an sich hinab: Intelligenterweise hatte er seine Kleidung im Wasser anbehalten und er schalt sich einen Idioten, nicht diese zwei Minuten Zeit investiert zu haben, um sich vorher auszuziehen. Natürlich, die Sonne würde seine Sachen schnell trocknen, aber trotzdem. Er konnte sich nicht gut mit nassen Kleidern auf den Weg machen.
Also was tun? Darcy sah sich um. Jetzt erst nahm er seine Umgebung richtig wahr. Es war ein reizendes Fleckchen Erde, gab er zu. Er kam sich vor wie in einer anderen Welt, es hatte so gar nichts mit den verdorrten Feldern gemein, die er heute den ganzen Tag über passiert hatte. Es war in der Tat zauberhaft hier. Fast zu schade, um schon zu gehen. Und die kleine Grasfläche hinter den Felsen sah einfach zu verlockend aus. Darcy warf einen skeptischen Blick zur Sonne, sie stand noch relativ hoch, also konnte es noch nicht so spät am Tag sein. Außerdem hatte er eine Menge Zeit gutgemacht, die Kutsche mit seinen Reisegenossen war sicherlich noch ein ganzes Stück weit zurück, er konnte es sich also durchaus erlauben, kurz auszuruhen und seine Kleidung trocknen zu lassen.
Entschlossen lief er die wenigen Meter auf nackten Füßen zu dem felsübersäten Grasflecken, vorher band er sein Pferd noch locker an einem Baum fest – schließlich wollte er die restlichen Meilen nach Netherfield nicht zu Fuß zurücklegen. Seinen Reisemantel faltete er zu einer Art Kissen zusammen und mit einem behaglichen Aufseufzen ließ sich Fitzwilliam Darcy im warmen Gras nieder.
Dort saß er noch keine zwei Minuten, als er hinter sich Zweige knacken hörte und nur wenige Meter von ihm entfernt eine weibliche Gestalt das Ufer des Sees betrat. Zielstrebig ging sie auf einen Steg zu, den Darcy erst jetzt bemerkte. Die junge Frau mit den dunklen, aufgesteckten Haaren hatte ihn zwischen den Felsen nicht gesehen und er überlegte, ob er sich nicht lieber zu erkennen geben sollte – er wollte nicht, daß sie sich erschrak, wenn sie ihn schließlich doch entdeckte. Aber irgendetwas hielt ihn zurück und still beobachtete er, wie das Zauberwesen auf dem Steg haltmachte und sich langsam auszog. Er hörte sie leise vor sich hinsummen, sie fühlte sich unbeobachtet.
Darcy, wo ist dein Anstand, deine Manieren, verdammt! schalt er sich selbst, aber er saß wie festgewurzelt. Natürlich wußte er, daß es sich nicht gehörte, jungen, hübschen, fremden Frauen dabei zuzusehen, wie sie sich auszogen, aber eine stärkere Macht wie es schien gebot ihm, still sitzenzubleiben. Das Mädchen war vollkommen ahnungslos, daß sie einen heimlichen Zuschauer hatte. Ihr einfaches, helles Musselinkleid sank achtlos neben ihren nackten Füßen zu einem Stoffhaufen zu Boden und Darcy schnappte überrascht nach Luft. Zu seiner Erleichterung behielt sie ein dünnes Baumwollhemd an, das ihren ansehnlichen Körper allerdings nur unzureichend bedeckte. Fasziniert sah er ihr dabei zu, wie sie ihre Arme hob und sorgfältig sämtliche Haarnadeln herauszog. Als ihre Locken in langen, dunklen Wellen über ihren Rücken fielen, schloß er für einen Moment die Augen und sein Mund wurde trocken. Er schämte sich, daß er sich nicht zu erkennen gab, aber er konnte einfach nicht.
Endlich hatte die junge Frau ihre Vorbereitungen abgeschlossen und mit einem sehnsüchtigen Blick zum See, der gleichzeitig große Vorfreude ausdrückte, ließ sie sich langsam vom Steg ins Wasser gleiten. Darcy beobachtete sie still dabei, wie sie untertauchte, unbeschwert im Wasser planschte und sich einfach unbekümmert an ihrer kühlen Erfrischung erfreute. Ihr war offensichtlich vollkommen egal, ob sie sich ihre Haare ruinierte, sie genoß ihre wohltuende Abkühlung an diesem heißen Sommertag auf eine kindliche, aber sehr natürliche Art und Weise. Darcy konnte seine Blicke einfach nicht abwenden. Er war noch nie so bezaubert gewesen von einem weiblichen Wesen. Die Damen, mit denen er normalerweise zu tun hatte, waren meist unaufrichtige, künstliche Geschöpfe, die sich ihm gegenüber auf Biegen und Brechen von ihrer besten Seite zeigen wollten um sich als gute Partie zu empfehlen – kein Wunder, galt er doch als einer der begehrtesten Junggesellen der feineren Gesellschaft Englands. Keine dieser Ladies interessierte sich für ihn als Person, so fürchtete er, alle schielten bloß auf das, was er zu bieten hatte: Ein stattliches Anwesen in Nordengland, ein vornehmes Stadthaus in London und viel, viel Geld und Einfluß.
Darcy dachte einen Moment an seinen Freund, Charles Bingley. Bingley hatte ein gutes Einkommen, und auch wenn er nicht zu den höchsten sozialen Kreisen gehörte und das Vermögen der Familie aus Handelsgeschäften resultierte, so galt er doch als gute Partie. Und was hatte er getan? Sich in eine Schönheit vom Lande verliebt. Ein Mädchen ohne Geld und ohne Verbindungen. Aber ein Mädchen, das ihn liebte. Und das er über alles liebte und in drei Tagen heiraten würde. Bingley tat damit etwas, um das ihn Darcy insgeheim beneidete: er heiratete aus Liebe. Etwas, das Darcy niemals würde tun können.
Die hübsche Wassernymphe war mittlerweile dem nassen Element entstiegen und ihr Anblick nahm Darcy regelrecht den Atem. Das dünne, jetzt natürlich nasse Baumwollhemd schmiegte sich eng an ihrem Körper und überließ fast nichts mehr der Fantasie. Darcy litt Höllenqualen. Bitte geh, flehte er inständig, aber seine Bitten wurden nicht erhört. Die junge Frau setzte sich auf den hölzernen Steg und versuchte – leider vergeblich – ihre langen Haare zumindest etwas in Ordnung zu bringen. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen, aber sie schien sich nicht weiter daran zu stören, sondern schüttelte nur lachend den Kopf, gab auf, lehnte sich schließlich zurück und schloß genießerisch die Augen im warmen Sonnenschein.
Darcy verhielt sich weiterhin ruhig, um sie nicht auf sich aufmerksam zu machen. Er verlagerte sein Gewicht ein wenig nach unten und bewegte sich so gut wie nicht mehr. Allerdings ließ ihn diese Position auf Dauer müde werden, seine Augenlider wurden schwer und immer schwerer und ehe er es sich versah, war er fest eingeschlafen. Und er hatte einen aufregenden, wenn auch etwas seltsamen Traum.
Er träumte von „seiner“ Wassernymphe. Er träumte, sie hätte ihn letztendlich doch entdeckt und stand nun vor ihm, ihn amüsiert anlächelnd. Er wollte ihren Namen wissen, doch den verriet sie nicht. Stattdessen kniete sie neben ihm nieder und er spürte ihre zarten Finger, die sanft über sein Gesicht strichen. Sie murmelte etwas von einem jungen, hübschen Fremden, der sich zwischen den Felsen versteckte und arglosen Frauen beim Baden zuschaue. Darcy wollte sich verteidigen, aber sie lachte bloß ihr ansteckendes, perlendes Lachen und legte ihren Finger auf seinen Mund. „Sschh…“ machte sie und schüttelte den Kopf. Vorsichtig fuhr sie mit ihren Fingern durch seine feuchten Haare, zurück über sein Gesicht, seinen Hals zu seiner Brust. Die Knöpfe seines Hemdes standen offen, sein Halstuch war irgendwie völlig verschwunden. Vorwitzige Finger strichen über seine Brust, seine harten Nippel, was ihn im Traum zum Aufkeuchen brachte. Niemals zuvor hatte er einen solch realistischen Traum gehabt! In regelrechte Atemnot kam er jedoch, als die Wassernymphe sich zu ihm hinüberbeugte und er ihre weichen, feuchten Lippen auf seinen spürte. Und nicht nur das, ihr ganzer Körper schmiegte sich für kurze Zeit eng an seinen und er konnte durch den dünnen Stoff seines Hemdes ihre üppigen, festen Brüste an seinem Leib fühlen. Das Wesen murmelte etwas, das sich wie „ein Jammer, daß es niemals sein kann“ anhörte, ein letzter, inniger Kuß, dann war sie verschwunden.
Kurze Zeit später erwachte Darcy durch das Bellen eines Hundes in der Ferne und fühlte sich völlig benommen. Liebe Güte, was für ein Traum! So realistisch! Und was für eine Frau! Er sah sich suchend um, doch die „Wassernymphe“ war verschwunden. Darcy schüttelte irritiert den Kopf. Wer war sie? War sie Wirklichkeit? Er war sich noch nicht einmal sicher, ob er ihr Erscheinen nicht auch geträumt hatte! Hatte die Hitze ihm das Gehirn verdorrt? Darcy wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber es war höchste Zeit, sich auf den Weg nach Netherfield zu machen. Völlig in Gedanken suchte er seine restlichen Kleidungsstücke zusammen. Er wunderte sich. Außer seinem Reisemantel war er vollkommen bekleidet ins Wasser gesprungen, soweit er sich erinnern konnte. Warum war sein Hemd bis fast zum Bauchnabel offen? Warum lag sein Halstuch zwei Meter neben ihm auf dem Boden? Und wo zum Teufel war seine silberne Nadel mit dem Smaragden, die sonst sein Halstuch verzierte? Die Hitze schien ihm doch mehr geschadet zu haben, als er sich eingestehen wollte. Wahrscheinlich hatte er das Schmuckstück beim Sprung in den See verloren. Selbst schuld, Darce, murmelte er wütend und zog sich fertig an. Wenn er noch halbwegs vor den Bingleys auf Netherfield ankommen wollte, mußte er sich beeilen!
Er schaffte es tatsächlich, vor seinen Reisegenossen auf Netherfield einzutreffen, sich präsentabel herzurichten und sie zu begrüßen. Glücklicherweise war Caroline Bingley so gesprächig und schwatzte und schwatzte und schwatzte, daß keiner die Gelegenheit hatte danach zu fragen, wie seine Reise nach Netherfield verlaufen war.
Die nächsten Tage vergingen schnell, wenngleich auch in großer Hektik und Aufregung. Bingley verbrachte die meiste Zeit auf Longbourn bei seiner Verlobten und deren Familie, aber Darcy wollte ihn dabei nicht stören. Bingley kannte naturgemäß kein anderes Thema als seinen „Engel“, ging damit allen auf die Nerven und Darcy hatte keinerlei Bedürfnis, mit der Familie des Engels näher Bekanntschaft zu schließen. Einen Tag vor der Hochzeit drängte Bingley ihn jedoch dazu, mit nach Longbourn zu kommen, damit er die Familie wenigstens kurz kennenlernen konnte. Wie würde es aussehen, wenn er – als Trauzeuge – morgen nicht wußte, mit wem er es überhaupt zu tun hatte! Widerwillig und unter der Bedingung, nicht lange zu bleiben, stimmte Darcy zu und begleitete seinen Freund am nachmittag vor der Trauung nach Longbourn.
Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich in dem Moment, als er die Mutter der Braut, Mrs. Bennet, kennenlernte. Noch niemals zuvor hatte er eine solch anstrengende, alberne, geschwätzige Frau kennengelernt, die nichts anderes im Kopf hatte, als ihre weiteren Töchter unter die Haube zu bringen. Darcy fühlte sich wie auf dem Pferdemarkt, als sie ihn ohne Scheu und Scham begutachtete, nahezu unverschämt über seine finanziellen Verhältnisse auszuhorchen versuchte und ihn als möglichen Ehe-Kandidaten in Erwägung zu ziehen schien. Fehlte nur noch, daß sie sein Gebiß sehen wollte! dachte er grimmig. Bingley zuliebe ertrug er die Marotten seiner Gastgeberin ohne Murren, aber seine Geduld war nahezu erschöpft. Jane Bennet hingegen, die junge Braut, war in der Tat liebreizend, herzensgut und wirklich eine Schönheit. Darcy erkannte sofort, daß Charles und sie sich herzlich zugetan waren und er war sehr froh darüber. Bingley hatte eine hervorragende Wahl getroffen. Er überlegte jedoch, ob Jane Bennet wohl an Kindes statt angenommen war…
Die drei anderen Schwestern waren nicht sonderlich interessant. Die jüngste, Lydia, kam ganz nach ihrer Mutter und war eine entsetzliche Nervensäge, die mittlere, Kitty, stand ihr in nichts nach und Mary ignorierte ihre Umgebung vollkommen, indem sie sich mit einem dicken Buch in eine Ecke zurückgezogen hatte. Darcy glaubte sich erinnern zu können, daß Jane vier Schwestern hatte, aber vermutlich hatte er sich geirrt. Doch in dem Augenblick, als er Bingley schon bitten wollte, endlich wieder zu gehen, öffnete sich die Tür und Schwester Nummer vier betrat den Salon. Darcy glaubte seinen Augen nicht zu trauen – vor ihm stand „seine“ Wassernymphe. Beide starrten sich an, beide fingen sich sofort wieder. Bingley übernahm das Vorstellen und weder er noch sonst ein Familienmitglied schöpfte irgendeinen Verdacht.
Darcy war mehr als verwirrt. Woher kannte sie ihn? Er hatte sie beobachtet, sie war nach ihrem Bad im See verschwunden. Oder etwa nicht? Sein Traum fiel ihm wieder ein. Sein erregender, so sehr realistischer Traum, der ihm seither keine Ruhe mehr gelassen hatte. Nein, es konnte nicht sein. War sie an seiner Seite gewesen? Hatte ihn liebkost, ihn geküßt? Ihr Gesicht, daß sich zart rötlich verfärbt hatte, sprach Bände. Allerdings zeigte sie, sehr zu seinem Erstaunen, keinerlei Zeichen von Unbehagen oder gar Scham. Sie lächelte ihn offen (fast herausfordernd für seine Begriffe) an und reichte ihm zur Begrüßung die Hand. „Freut mich sehr, sie endlich kennenzulernen, Mr. Darcy,“ sagte sie und warf ihm einen schalkhaften Blick zu. Darcy glaubte, ein amüsiertes Zwinkern in ihren Augen gesehen zu haben. Darcy wußte, er war hoffnungslos verloren. Dieses Mädchen, Miss Elizabeth Bennet, hatte die schönsten Augen, die er je gesehen hatte und er verlor sich für einen Moment regelrecht darin. Aber hatte sie es tatsächlich gewagt, ihm näherzukommen, draußen am See…? Ihm, einem völlig Fremden?
Darcy war so sehr in seine Überlegungen vertieft, daß er die berechnenden Blicke gar nicht mitbekam, die Mrs. Bennet ihm zuwarf. Er schrak auf, als er ihre schrille Stimme hörte. „Ist heute nicht ein wundervoller Tag? Mr. Bingley, Jane, ihr solltet das schöne Wetter draußen genießen! Und Mary, wäre es nicht nett, Mr. Darcy die Gärten zu zeigen?“ Sowohl Darcy als auch Mary Bennet sahen Mrs. Bennet entsetzt an, Elizabeth verkniff sich nur mühsam ein Grinsen. Sie sprang für ihre Schwester in die Bresche. „Mama, ich kann Mr. Darcy ebenso gut die Gärten zeigen. Mary ist gerade so vertieft in ihr Buch… es macht mir wirklich nichts aus.“ Darcy warf ihr einen erleichterten Blick zu, ebenso wie Mary, für die das Thema damit abgeschlossen war.
Aber Mrs. Bennet war mit dieser Lösung nicht einverstanden und runzelte die Stirn. „Du solltest dich lieber umziehen gehen, Miss Lizzy. Mr. Collins kommt heute zum Dinner! Du mußt dich von deiner besten Seite zeigen, Kind, ich bin sicher, Mr. Collins wird sich dir bald offenbaren.“ Darcy sah, wie sich ein Schatten über Elizabeths Gesicht legte und fragte sich, was hinter der Geschichte steckte. Wer war Mr. Collins?
„Ich bin rechtzeitig zum Dinner zurück, Mama,“ sagte Elizabeth nur und da Mary sich auf dem Sofa fast unsichtbar gemacht hatte, ließ ihre Mutter sie endlich ziehen.
Sowohl Darcy als auch Elizabeth Bennet waren geübte Spaziergänger und so war es kein Wunder, daß sie Jane und Charles bald überholten und sogar abhängten. Die Erwähnung des mysteriösen Mr. Collins hatte einen Schatten auf Elizabeths sonniges Gemüt geworfen und die ersten Meter ihres Spaziergangs legten sie schweigend zurück. Als Jane und Charles außer Hörweite waren, hielt es Darcy nicht mehr aus. „Miss Bennet, bitte, ich muß es wissen: Haben sie mich irgendwo vorher schon einmal gesehen?“
Die Frage brachte Elizabeth zum Lachen und ihre dunklen Augen blitzten übermütig. „Sir, ist es ihre Angewohnheit, jungen Frauen beim Baden zuzuschauen?“ fragte sie keck zurück.
Darcys Wangen verfärbten sich dunkelrot. „Also haben sie mich gesehen, draußen am See,“ stellte er verlegen fest. „Und es war kein Traum.“
„Was war kein Traum?“
Darcy blieb stehen und suchte ihren Blick. „Daß sie…daß sie mich geküßt haben, nachdem ich eingeschlafen war.“
Nun war es an Elizabeth, zu erröten. „Nein, Sir, es war kein Traum,“ sagte sie leise. „Verzeihen sie mir, ich weiß, das war sehr ungezogen. Wohlerzogene junge Damen küssen keine hübschen, fremden Männer, die an Seeufern einschlafen. Und sie stehlen ihnen auch keine Nadeln.“
Zu Darcys Verblüffung holte sie seine silberne Nadel mit dem kleinen Smaragden aus ihrer Rocktasche und hielt sie ihm hin. „Hier. Ich…ich wollte sie nicht stehlen. Ich wollte bloß eine Erinnerung an sie behalten. Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, sie noch einmal wiederzusehen. Vergeben sie mir bitte.“
Darcy schüttelte den Kopf. „Oh nein, bitte. Ich möchte, daß sie die Nadel behalten. Und ich bin ihnen nicht böse, nicht im geringsten.“ Er lächelte sie fast zärtlich an. „Noch niemals hatte ich einen so schönen Traum wie vor drei Tagen draußen am See. Und als ich aufwachte, war ich so enttäuscht, daß sie nicht mehr da waren. Meine reizende, bezaubernde Wassernymphe.“
Die beiden sahen sich an, keiner konnte den Blick abwenden. Darcy hob die Hand, um eine vorwitzige Haarsträhne unter Elizabeths Haube zurückzuschieben und sie schloß die Augen, als seine warmen Finger auf ihre Haut trafen. Ihre Knie wurden weich und ihr wurde fast schwindelig, als sie kurze Zeit später seine Lippen auf ihren spürte. Es fühlte sich so gut an, so richtig…und dennoch, es durfte nicht sein.
Zögernd brach Elizabeth schon einen Moment später den Zauber. Mit Tränen in den Augen wandte sie sich ab. „Verzeihen sie,“ flüsterte sie, „aber es kann niemals sein.“
Die gleichen Worte, die sie am See gesagt hatte, bemerkte Darcy verwirrt. „Warum nicht, Elizabeth?“ fragte er sanft und nahm ihre Hände in seine.
„Mr. Collins.“
Darcy hob fragend die Augenbrauen. „Mr. Collins?“
„Mama erwartet, daß ich seinen Heiratsantrag annehme.“
„Aber erstens hat er noch keinen gemacht und zweitens wollen sie ihn nicht annehmen.“
„Ja. Aber er wird einen machen, er hat es schon angekündigt. Und da er nach dem Tod meines Vaters Longbourn erben wird, kann ich meine Familie nicht enttäuschen und muß mich in mein Schicksal fügen, so schwer es mir auch fällt.“
Darcy wollte etwas darauf antworten, aber sie ließ sich durch nichts davon abbringen und Darcys Herz zerbrach in tausend Stücke. Er kannte Elizabeth Bennet zwar erst so kurze Zeit, aber er wußte instinktiv, daß sie füreinander bestimmt waren. Im Augenblick war er jedoch vollkommen ratlos, wie er das Problem lösen konnte. Sein bedrückter Blick rührte Elizabeth und ohne zu überlegen trat sie auf ihn zu, legte ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn noch ein letztes Mal. Darcy, von dieser spontanen Geste überrascht, zog sie sanft an sich und erwiderte ihren Kuß mit großer Zärtlichkeit. Erst nach mehreren Minuten schafften sie es, sich voneinander zu lösen und mit tiefem Bedauern und schweigend machten sie sich auf den Weg zurück nach Longbourn.
Wo sie von einer aufgebrachten Mrs. Bennet bereits erwartet wurden. Der komplette Haushalt war in Aufruhr, Mrs. Bennet, die vor dem Haus wie ein gefangenes Tier im Käfig vollkommen aufgelöst hin und herlief, gefolgt von einem schwarzgekleideten, rundlichen und kleingewachsenen Mann, der immer wieder auf sie einredete und ebenfalls ziemlich aufgeregt zu sein schien. Elizabeth rollte die Augen, als sie in dem Herrn ihren Verehrer, Mr. Collins, erkannte. Sie staunte, als er sie entdeckte und empört mit dem Finger auf sie zeigte. „Ha! Da ist sie ja, die liederliche Person! Ah, und sie ist wahrhaftig so schamlos und bringt ihren heimlichen Liebhaber gleich mit! Unerhört! Sodom…!“ Der kleine Pfarrer konnte sich gar nicht mehr beruhigen und lieferte sich mit Mrs. Bennet einen regelrechten Wettstreit, wer lauter rufen konnte.
Elizabeth und Darcy verstanden keinen Augenblick, worum es ging. Erst Charles Bingley schaffte es, etwas Licht ins Dunkel zu bringen, auch wenn es ihm schwerfiel, den „Skandal“ in Worte zu fassen. „Darcy, Mr. Collins hier hat… hat dich und Miss Elizabeth draußen im Park gesehen. Nun ja, er sagt, du hast Miss Elizabeth in eine äußerst prekäre Lage gebracht, sie… sie unsittlich berührt, geküßt und damit… kompromittiert.“ Bingley war über die Maßen verlegen. „Er sagt, sie sei ruiniert und weder er noch irgendein anderer, achtbarer Mann würde sie jetzt noch heiraten wollen. Oh Darcy, wie konntest du nur!“
Darcy starrte seinen Freund verblüfft an. Liebe Güte, Collins hatte sie gesehen? „Miss Elizabeth ist nichts schlimmes geschehen, Bingley. Ich würde niemals etwas tun, was ihr schaden könnte.“
„Darcy, du mußt zugeben, daß du sie kompromittiert hast! Ihr seid gesehen worden! Der Skandal wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Miss Elizabeths Zukunft ist ruiniert! Du weißt, was das bedeutet, nicht wahr?“
Was das bedeutete? Oh ja, dachte Darcy und ein Lächeln breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus. Natürlich. Er war ein Mann von höchster Integrität und wußte nur zu gut, was von ihm erwartet wurde! Ein Blick zu Elizabeth, auf deren Gesicht sich gleichzeitig ungläubiges Verstehen und ein leichter Hoffnungsschimmer abzeichnete, bestätigte ihn darin, sehr zu seiner Freude. Es gab natürlich nur eine Lösung, Elizabeths Ehre wiederherzustellen und sie gleichzeitig vor Mr. Collins zu schützen. „Miss Bennet, ist ihr Vater zuhause?“ fragte Darcy entschlossen, seinen Blick nicht von Elizabeth abwendend. „Ich glaube, ich sollte umgehend mit ihm sprechen…“
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