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Archivarius |
Registriert: Mittwoch 19. Oktober 2005, 08:04 Beiträge: 2744 Wohnort: Brandenburg
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Gaskells Bronte Biografie letzte Woche beendet... Nach einige Unterbrechungen, die meinem Geist besser beschäftigten als der dicke Wälzer Elizabeth Gaskells über ihre Freundin Charlotte... Eigentlich nur 2 interessante Punkte gefunden: 1. Charlottes ewige Klagen über ihre Depressionen und ihre gesundheitlichen Beschwerden (Wasser auf die Mühlen eines Hypochonders ) und 2. die Briefe Charlottes, in denen sie sich zu ihren Romanen äußert und wie sie sie geschrieben habe, zu ihren Absichten und Vorgehensweisen...
Na ja und wenn Emily erwähnt wird, das war auch fesselnd... wie die drei Schwestern zusammengeklebt haben...
Und hier sind die Teile, die sich auf Jane Austen beziehen:
Nach der Veröffentlichung „Jane Eyres“ erhielt C. Bell Post von verschiedenen Kritikern und Literaturliebhabern... unter anderem auch von dem Lebensgefährten George Eliots, G.H. Lewes... der – wie wir wissen – ein glühender Verehrer Jane Austens war... und der scheinbar Charlotte Brontes Stil mit dem Jane Austens verglich und Charlotte in ihrem künftigen Schaffen zum Einsatz weniger „melodramatischer“ Plots riet *) ... Hier ist ihre Antwort (aus Gaskells Bronte-Bio):
12. Januar 1848 an G.H. Lewes ... Ich habe vor, Ihre Warnung zu beachten, in welcher Hinsicht ich bei der Anlage neuer Arbeiten vorsichtig sein soll. Mein Vorrat an Stoffen ist gar nicht reich, sondern sehr begrenzt. Überdies zeichnen sich weder meine Erfahrung noch meine Kenntnisse noch meine Kräfte durch besonderen Reichtum aus, um mein regelmäßiges Schaffen als Schriftsteller zu rechtfertigen. Ich teile Ihnen dies mit, weil Ihr Artikel im Frazer in mir den unangenehmen Eindruck hinterließ, Sie neigten dazu, besser über den Autor von Jane Eyre zu denken, als er es verdient. Es wäre mir lieber, Sie hätten eine zutreffende denn eine schmeichelnde Meinung über mich, selbst wenn ich Ihnen niemals begegnen sollte. Falls ich tatsächlich jemals ein weiteres Buch schreiben sollte, wird es kein „Melodrama“ werden, wie Sie es nennen, so denke ich jedenfalls. Sicher bin ich mir freilich nicht. Ich glaube ferner, daß ich mich bemühen werde, dem Rat zu folgen, der aus Miß Austens „sanften Augen“ leuchtet, nämlich „mehr zu glätten und zurückhaltender zu sein“. Doch auch dessen bin ich mir nicht sicher. Wenn Autoren ihr Bestes vollbringen, oder wenn ihnen das Schreiben wenigstens gut von der Hand geht, scheinen sie unter einen beherrschenden Einfluß zu geraten, der sich verselbständigt und jedes Geheiß mißachtet außer sein eigenes, der bestimmte Worte einfach diktiert und auf ihrer Verwendung besteht, seien sie in ihrer Natur nun heftig oder maßvoll. Dieser Einfluß schafft neue Charaktere, gibt den Ereignissen unvermutete Wendungen, verwirft sorgfältig ausgearbeitete frühere Gedanken, erzeugt und wählt unvermutet neue. Ist es nicht so? Und sollten wir versuchen, diesem Einfluß entgegenzuwirken? Können wir ihm überhaupt entgegenwirken? Ich freue mich, daß bald ein anderes Werk von Ihnen erscheint. Besonders gespannt bin ich darauf festzustellen, ob Sie gemäß eigenen Prinzipien schreiben und Ihre Theorien berücksichtigen. In Ranthorpe haben Sie das ganz und gar nicht getan - wenigstens nicht im letzten Teil. Der erste Teil war meiner Meinung nach nahezu fehlerlos, zudem hatte er Substanz, Wahrheit und Bedeutung, was dem Buch echten Wert verleiht. Doch um so zu schreiben, muß man eine Menge gesehen haben, eine Menge kennen, und ich habe sehr wenig gesehen und kenne sehr wenig. Warum schätzen Sie Miß Austen so sehr? Das verwirrt mich. Was veranlaßte Sie zu sagen, daß Sie lieber „Pride and Prejudice“ oder „Tom Jones“ geschrieben hätten als einen der Waverley-Romane? Ich kannte „Pride and Prejudice“ nicht, als ich Ihr Urteil darüber las, erst dann besorgte ich mir das Buch. Und was fand ich vor? Ein genaues Daguerreotypie-Porträt eines gewöhnlichen Gesichts! Einen sorgfältig umzäunten, sehr kultivierten Garten mit gepflegten Rabatten und zarten Blumen, aber nichts von einem strahlenden, lebhaften Antlitz, kein offenes Land, keine frische Luft, keinen weiten Hügel, keinen munteren Wildbach. Ich könnte schwerlich mit diesen Damen und Herren in ihren eleganten, aber beengten Häusern wohnen. Solche Bemerkungen werden Sie wahrscheinlich irritieren, doch dieses Risiko will ich eingehen. Nun kann ich die Bewunderung für George Sand verstehen, obwohl ich kein Werk von ihr kenne, das ich vorbehaltlos geschätzt hätte (selbst Consuelo, welches das beste ist, respektive das beste, das ich von ihr gelesen habe, scheint mir befremdliche Extravaganz mit wunderbarer Vortrefflichkeit zu vereinen), verfügt sie doch über eine Macht des Geistes, der ich großen Respekt schulde, selbst wenn ich nicht in der Lage bin, diese voll zu erfassen. Sie ist scharfsinnig und tiefgründig – Miß Austen ist nur gewitzt und achtsam. Habe ich unrecht – oder waren Sie voreilig mit dem, was Sie sagten? Falls Sie Zeit haben sollten, würde ich mich freuen, mehr über dieses Thema zu erfahren, falls nicht, oder falls Sie die Fragen für unerheblich halten sollten, bemühen Sie sich nicht um deren Beantwortung. Ich verbleibe hochachtungsvoll C. Bell
Da jemand nach dem Kontext fragte und sich beschwerte, man könne ohne diesen die respektlosen und dummfrechen Bemerkungen Charlottes über Jane Austen nicht recht interpretieren, wird also der ganze Kontext hier mitgeliefert ... Auf das Granteln der angefressenen Charlotte antwortete der verblüffte Lewes umgehend, doch der Brief ist verloren gegangen.
An Herrn G. H. Lewes 18.Jan.1848 Geehrter Herr, ich muß Ihnen noch einen Brief schreiben, obwohl ich nicht die Absicht hatte, Sie so bald schon wieder zu belästigen. Ich sehe mich gezwungen, Ihnen zuzustimmen und Ihnen zu widersprechen. Sie korrigieren meine nicht ausgereiften Bemerkungen über ‚Einfluß‘. Gut, ich akzeptiere Ihre Definition, was die Folgen jenes Einflusses anbelangt. Ich anerkenne die Weisheit Ihrer Grundsätze für dessen Kanalisierung. [...] Doch was für eine seltsame Lektion kommt in Ihrem Brief als nächstes! Sie sagen, ich müsse meinen Geist daran gewöhnen, daß „Miß Austen keine Dichterin sei, kein ‚Gefühl‘ habe (Sie setzen das Wort spöttisch in Anführungszeichen), keine Beredsamkeit, nichts von der hinreißenden Begeisterung der Dichtkunst“, – und dann fügen Sie hinzu, ich müsse „lernen, sie als eine der größten Künstlerinnen, eine der größten Malerinnen menschlicher Eigenheiten anzuerkennen, und als eine der Schriftstellerinnen mit dem feinsten Sinn für die Mittel zum Zweck, die je gelebt hat“. Lediglich den letzten Punkt will ich überhaupt anerkennen. Kann man ohne Dichtkunst ein großer Künstler sein? Wen ich als großen Künstler bezeichne - vor wem ich mich verneige -, dem darf die göttliche Gabe nicht fehlen. Aber unter Dichtkunst, dessen bin ich mir sicher, verstehen Sie etwas anderes als ich, genauso wie unter ,Gefühl‘. Dichtkunst, wie ich das Wort verstehe, ist das, was die männliche George Sand erhöht und aus dem Derben etwas Göttliches macht. Das ist ,Gefühl‘ in meiner Wortbedeutung - argwöhnisch verborgenes, doch echtes, authentisches, das sogar dem furchterregenden Thackeray den Stachel nimmt und alles, was ätzendes Gift sein könnte, in läuterndes Elixier verwandelt. Würde Thackeray in seinem umfänglichen Herzen kein tiefes Gefühl für seine Mitmenschen hegen, würde er mit Freuden vernichten. Aber so, wie die Dinge liegen, glaube ich, daß er nichts anderes wünscht, als eine Verbesserung herbeizuführen. Miß Austen, Ihren Worten zufolge ohne ,Gefühl‘, bar aller Dichtkunst, mag vernünftig und realistisch sein (eher realistisch denn wahr), groß indes kann sie nicht sein. Ich beuge mich dem Ärger, den ich nun erregt habe (denn habe ich nicht die Vollkommenheit Ihres Lieblings in Frage gestellt?). Der Sturm möge über mich hinweggehen. Dessen ungeachtet werde ich, wenn ich kann (ich weiß nicht, wann das sein wird, da ich keinen Zugang zu einer Leihbücherei habe), alle Werke von Miß Austen gewissenhaft lesen, wie Sie es empfehlen. [...] Sie müssen mir vergeben, daß ich nicht immer in der Lage bin, so zu denken wie Sie. Nichtsdestoweniger, in aufrichtiger Dankbarkeit Ihr C. Bell
Hier kommt das zum Ausdruck, was Elizabeth Gaskell die „Schüchternheit“ Charlotte Brontes nannte... Diese konnte einen ganzen Abend vor Angst schwitzend in der Ecke sitzen und kein Wort sagen, aber sowie sie jemand auf die Literatur ansprach, entwickelte sie Feuer, Beredsamkeit und Geist... na ja, am Ende verspricht sie zumindest, alle Romane Jane Austens „gewissenhaft“ zu lesen... wenn sie kann :aetsch:
Ob sie das tat, wissen wir nicht... doch zumindest scheint ihr ‚Mr. Knightley‘ und „Emma“ ein Begriff gewesen zu sein, wie man in diesem Brief an ihren Verleger aus dem Frühjahr 1853 (nach dem Erscheines ihres Romans „Villette“, mit den Helden Lucy Snowe und Paul Emanuel, dessen Schicksal am Ende von Charlotte Bronte etwas vage gehalten wurde) sehen kann:
An Herrn W.S. Williams ... Was die Figur ,Lucy Snowe‘ betrifft, bestand meine Absicht von Anfang an darin, sie nicht auf den Sockel zu stellen, auf den ‚Jane Eyre‘ von einigen unkritischen Bewunderern gehoben wurde. Sie ist da, wo ich sie haben wollte, wo sie der Vorwurf des Selbstlobs nicht treffen kann. Der Brief von Lady Harriette St. Clair, den Sie heute morgen geschickt haben, verfolgt genau den gleichen Zweck wie die Bitte von Miß Muloch (Anm.: eine Schriftsteller-Kollegin): Es handelt sich jeweils darum, exakte und authentische Informationen erhalten zu wollen über das Schicksal von M. Paul Emanuel! Sie sehen, wie sehr die Damen an diesen kleinen Mann denken, den keiner von Ihnen mag. Neulich bekam ich einen Brief, in dem man mir folgendes mitteilte: Eine Dame von einigem Ansehen hatte stets erklärt, sollte sie jemals heiraten, müßte dieser Mann ein Ebenbild des ,Mr. Knightly‘ aus Miß Austens „Emma“ sein. Nun hat sie ihre Meinung geändert und gelobt, sie wolle entweder einen zweiten Professor Emanuel finden oder auf immer unverheiratet bleiben! Ich habe Lady Harriette in dem Sinne geantwortet, es sei wohl besser, man lasse die Angelegenheit auf sich beruhen. Da das kleine Rätsel die Damen unterhält, wäre es ein Jammer, ihnen den Zeitvertreib zu verderben, indem man ihnen den Schlüssel gibt.
... und wie wir sehen, gab es damals auch schon Leserinnen, die einen Jane Austen Helden ohne weiteres heiraten würden... aber wer zum Teufel war dieser Paul Emanuel? ... und wer wollte mit einer Wasserleiche verheiratet sein :aetsch:??
Bruki
*) Interessanterweise, erklärt Charlotte Bronte vorher, dass sie die Melodramatik vor allem aufgrund der Verlegerwünsche in „Jane Eyre“ eingebaut habe... ursprünglich sei sie von einem eher „ruhigen“ Ablauf des Geschehens ausgegangen... Doch da sich ihr Erstling „Der Professor“ (im Gegensatz den denen ihrer Schwestern ) nicht verkaufen ließ, habe sie in „Jane Eyre“ zu drastischeren Mitteln gegriffen...
_________________ "There’s no one to touch Jane when you’re in a tight place. Gawd bless ’er, whoever she was." (Rudyard Kipling, The Janeites)
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