Es folgt der zweite Teil "In einem anderen Buch", S. 293 ff. (sehr lang)
Ich schlug das Buch auf und las:
"So manche Träne wurde bei ihrem letzten Lebewohl von einem so geliebten Ort vergossen. "Liebes, liebes Norland!", sagte Marianne, als sie am letzten Abend ihres Aufenthalts allein umherwanderte..."Die enge Melamin-Zelle löste sich auf und an ihrer Stelle trat ein großer, ins Licht der Abendsonne getauchter Park. Die Dämmerung ließ die Schatten verschwimmen und das Haus in rotem Glanz glühen. Eine leichte Brise zupfte am viktorianischen Kleid der jungen Frau, die langsam über den Rasen schlenderte und entzückt auf die-
"Lesen Sie eigentlich immer laut auf der Toilette?", fragte Cordelia von außen.
Der Park verschwand wie der Blitz, und ich saß wieder auf der grünen Plastik-Klobrille.
"Ja, immer!", erwiderte ich. "Und wenn Sie mich nicht in Ruhe lassen, werde ich nie fertig."
"...wann werde ich aufhören, dir nachzutrauern - wann lernen, mich woanders zu Hause zu fühlen? - Ach, glückliches Haus, wüßtest du, was ich leide, da ich dich jetzt von diesem Platz aus betrachte, von dem ich dich vielleicht nie mehr betrachten werde! Und ihr, ihr wohl vertrauten Bäume! - Ihr werdet weiter..."Das Herrenhaus kehrte zurück, und die junge Dame sprach wieder leise mit mir, während ich ihre Worte las und langsam in das Buch hinheindriftete. Ich saß jetzt nicht mehr auf einer SpecOps-Damentoilette, sondern auf einer weiß gestrichenen Gartenbank. Ich hörte erst auf zu lesen, als ich sicher war, dass ich gänzlich in
Verstand und Gefühl eingetaucht war. Jetzt konnte ich in Ruhe zuhören, wie Marianne Dashwood ihren Monolog beendete:
"...und unberührt von den Veränderungen derer, die in eurem Schatten wandeln! - Aber wer wird bleiben, um sich eurer zu erfreuen?"
Sie seufzte dramatisch, presste die Hände an ihre Brust und schluchzte einen Moment oder zwei. Dann warf sie dem großen weißen Haus noch einen langen Blick zu und wandte sich mir zu.
"Hallo?", sagte sie freundlich. "Sie hab ich hier ja noch gar nicht gesehen. Arbeiten Sie vielleicht für dieses Juris-Dings-bums-da?"
"Müssen wir nicht vorsichtig sein mit dem, was wir sagen?", fragte ich und sah mich um.
"Aber nein!", rief Marianne mit einem köstlichen Lachen. "Das Kapitel ist ja zu Ende, und außerdem ist das ein Buch in der dritten Person. Bis morgen früh, wenn wir nach Devon abreisen, können wir tun und lassen, was wir wollen. Die nächsten zwei Kapitel sind sowieso alles Expositionen - ich habe kaum was zu tun und erst recht nichts zu sagen! Sie sehen ja so verwirrt aus, meine Teure! Waren Sie schon einmal in einem Buch?"
"Ich bin mal in
Jane Eyre gewesen."
Marianne kräuselte dramatisch das Näschen. "Ach, die arme, arme Jane! Ich fände es abscheulich, wenn ich in der ersten Person leben müsste! Ständig auf der Hut sein, weil die Leute alles lesen, was man denkt! Hier tun wir zwar, was man uns sagt, aber denken können wir, was uns gefällt. Es ist erheblich angenehmer, das können Sie mir glauben!"
"Was wissen Sie über Jurisfiktion?", fragte ich.
"Die werden sicher bald kommen", sagte sie. "Wir wollen schließlich nicht dasselbe tragische Schicksal wie
Verwirrung und Geselligkeit erleiden?"
"
Verwirrung und Geselligkeit? Davon habe ich noch nie was gehört. Stammt das auch von Jane Austen?"
Marianne setzte sich neben mich auf die Bank und legte mir die Hand auf den Arm. "Mama hat gesagt, es war ein sozialistisches Kollektiv", flüsterte sie. "Es gab eine Revolution - sie haben das ganze Buch übernommen und beschlossen, es nach kommunistischen Prinzipien zu führen. Alle Figuren sollten gleiche Anteile haben, von der Herzogin bis zum Flickschuster. Die Jurisfiktion hat sich bemüht, das Werk noch zu retten, aber es war schon zu spät. Der ganze Roman musste ausgebuchtet werden!"
Letzteres sagte sie mit so offensichtlichem Entsetzen, dass ich gelacht hätte, wenn sie mich nicht so unglücklich angeschaut hätte.
"Aber was rede ich da?", sagte sie, sprang auf, klatschte in die Hände und drehte eine Pirouette auf dem Rasen.
"...und unberührt von den Veränderungen derer, die in eurem Schatten wandeln..."Sie unterbracht sich, bedeckte Nase und Mund mit der Hand und kicherte sie ein kleines Mädchen. "Ach, was bin ich doch für ein Dummchen! Das hab ich ja schon gesagt. Leben Sie wohl, Miss... Ach, vergeben Sie, wie war doch Ihr Name?"
"Ich heiße Thursday - Thursday Next."
"Was für ein eigenartiger Name." Sie machte einen halb scherzhaften Knicks. "Ich bin Marianne Dashwood. Ich heißt Sie herzlich willkommen in
Verstand und Gefühl."
"Danke", sagte ich. "Ich werde mich hier sicher sehr wohlfühlen."
"Das glaube ich auch. Wir fühle uns alle sehr wohl hier."
"Ja, das merkt man, Miss Dashwood."
"Nennen Sie mich bitte Marianne." Sie zögerte, lächelte höflich und sah sich nach rechts und links um. "Darf ich so kühn sein, Sie etwas zu fragen?"
"Aber natürlich."
Sie setzte sich wieder neben mich und starrte mich an. "Darf ich Sie fragen, wann Ihr Roman spielt?"
"Ich bin keine Romanfigur, Miss Dashwood - ich bin aus der richtigen Welt."
"Oh!", sagte sie. "Bitte entschuldigen Sie, ich wollte nicht unterstellen, dass Sie real sind oder so etwas. Aber vielleicht darf ich fragen, wann Ihre Welt spielt?"
Ich lächelte über diese eigenartige Frage und sagte es ihr: 1985. Sie war äußerst entzückt, beugte sich ganz nahe zu mir heran und flüsterte: "Entschuldigen Sie die Unverschämtheit, aber könnten Sie mir vielleicht das nächste Mal etwas mitbringen?"
"Was denn zum Beispiel?"
"Mintolas! Ich liebe Mintolas. Sie haben doch davon gehört? Die sind so schön minzig. Und wenn's Ihnen nichts ausmacht: vielleicht ein paar Nylon-Strumpfhosen und ein Dutzend AA-Batterien?"
"Sicher. Sonst noch irgendwas?"
Marianne dachte einen Augenblick nach. "Elinor wäre mir sicher sehr böse, wenn sie wüsste, dass ich eine Fremde um Gefälligkeiten bitte, aber ich weiß zufällig, dass sie Suppenwürfel sehr schätzt - und vielleicht etwas Pulverkaffee für Mama."
Ich versprach ihr, mich zu bemühen. Sie dankte mir lebhaft, zog einen Fliegerhelm und eine Schutzbrille auf, die sie in ihrer Stola versteckt hatte, drückte mir einen Moment lang die Hand und flatterte über den Rasen davon.
So, dann beginnte ein neues Kapitel, aber das Intermezzo in Norland Park ist noch nicht vorbei.
Ich sah zu, wie Marianne verschwand, und als mir bewusst wurde, dass die Worte
um sich ihrer zu erfreuen am Ende des Fünften Kapitels stehen, während die Dashwoods zu Beginn des Sechsten Kapitels bereits unterwegs sind, beschloss ich, noch einen Augenblick zu verweilen und zu sehen, wie so ein Kapitelschluss funktioniert. Schließlich wollte ich Landen doch was zu erzählen haben, wenn ich ihn wieder sah. Wenn ich einen Donnerschlag oder etwas ähnliches Dramatisches erwartet haben sollte, so wurde ich freilich enttäuscht. Es geschah überhaupt nichts. Die Blätter raschelten leise, die Ringeltauben gurrten beharrlich und ein Eichhörnchen hopste über den Rasen. Ich hörte einen Motor starten, und ein paar Minuten später erhob sich ein Doppeldecker von der Wiese hinter den Rhododendronbüschen, umkreiste das Haus und flog dann in Richtung der untergehenden Sonne.
Ich stand auf und ging über den gepflegten Rasen zum Haus. Norland wird in Verstand und Gefühl nie genauer beschrieben, aber es war genauso großzügig, wie ich es mir vorgestellt hatte. Vom Haupteingang hatte man einen schönen Blick über eine weite Parklandschaft, die mit großen Eichen akzentuiert war. Am Horizont sah man dunkle Wälder und dahinter gelegentlich einen Kirchturm. In der Einfahrt standen ein Bugatti 35B und ein weißes, aufgesatteltes Streitross, das friedlich ein paar Grashalme kaute. Am Sattelknopf war ein großer weißer Hund festgemacht, der seine lange Leine allerdings um einen Baum gewickelt hatte und daher in seinen Bewegungen ziemlich gehemmt war.
[...] ich überspringe mal zwei Seiten, das ist nämlich jetzt uninteressant.
"Willkommen bei Jurisfiktion", sagte Miss Havisham, die jetzt wieder ihr altes Brautkleid trug, aber von ihrem Unfall auf der Booktastic immer noch etwas hinkte. "Ich werde dich nicht gleich allen vorstellen, aber unsere Gastgeberin solltest du doch kennen lernen."
Sie führte mich zu einer konservativ gekleideten Dame, die dabei war, der Dienerschaft Anweisungen bei der Verteilung der Platten zu geben. "Mrs Dashwood, das ist Thursday Next, meine neue Auszubildende."
Ich schüttelte Mrs Dashwood vorsichtig die hingehaltene Hand, und sie lächelte höflich. "Willkommen in Norland Park, Miss Next. Sie haben Glück, dass Sie Miss Havisham als Lehrerin haben, sie nimmt selten Schüler. Aber sagen Sie - ich bin in der neuen Literatur nicht so bewandert - aus welchem Buch kommen Sie?"
"Ich bin nicht aus einem Buch, Mrs Dashwood."
Unsere Gastgeberin sah uns einen Augenblick verblüfft an, ergriff dann aber energisch meinen Arm, entschuldigte sich bei Miss Havisham und führte mich zu einem der Teetische.
"Kann ich Ihnen einen Crumbobbilous-Sandwich anbieten?", fragte sie aufgeregt. "Oder vielleicht etwas Tee?"
"Nein, danke."
"Lassen Sie mich direkt zur Sache kommen, Miss Next!"
"Es scheint ihnen sehr am Herzen zu liegen..."
Sie blickte ängstlich nach links und rechts und senkte die Stimme. "Sagen Sie, denken die Leute da draußen, mein Mann und ich wären schreckliche Menschen, weil wir Elinor, Marianne und ihre Mutter um Henry Dashwoods Erbe gebracht haben?"
Sie sah mich so flehentlich an, dass ich am liebsten gelacht hätte. "Na, ja", sagte ich zögernd.
"Ach, ich wusste es!", stöhnte Mrs Dashwood und presste in einer dramatischen Geste den Handrücken an ihre Stirn. "Tausendmal habe ich John gesagt, er sollte es nicht tun... Ich nehme an, wir werden da draußen verflucht? Man verbrennt unsere Bilder? Gibt es Demonstrationen?"
"Nein, nein", sagte ich, um sie zu trösten. "Rein erzähltechnisch wäre die Handlung etwas dürftig ohne das, was Sie getan haben."
Mrs Dashwood zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und trocknete ihre Augen, die allerdings, soweit ich sehen konnte, ohnehin keine Tränen aufwiesen.
"Sie haben ja so Recht, Miss Next", sagte sie. "Vielen Dank für Ihre liebenswürdigen Worte. Aber wenn Sie jemand schlecht von mir reden hören, sagen Sie bitte, dass mein Ehemann daran schuld war - ich habe ihn immer daran zu hindern versucht."
"Ja, gewiss doch!", sagte ich und entschuldigte mich.
"Wir nennen es das Nebenfiguren-Syndrom", erklärte Miss Havisham, als ich wieder bei ihr war. "Es tritt häufiger auf, besonders wenn eine eher unwichtige Figur etwas Wesentliches zur Handlung beitragen darf. Sei der Katastrophe mit
Verwirrung und Geselligkeit haben sie und ihr Mann uns diesen Raum zur Verfügung gestellt, als Gegenleistung überwacht die Jurisfiktioen alle Jane-Austen-Romane besonders scharf. Es gibt noch ein weiteres Büro im Keller von Elsinore Castle. Da residiert Mr Falstaff."
Okay, auch er macht den Fehler und sagt "viktorianisch", obwohl es gregorianisch ist und er unterschlägt die dritte Dashwood-Schwester, aber es ist trotzdem gut.
