Ja, genau das meinte ich. Das aufstrebende Bürgertum, das es auch bei uns in Deutschland gab, wobei mir scheint, dass bei uns die Grenzen zu den verschiedenen Gesellschaftsschichten starrer waren, als in Englandd. Aber ich kann mich täuschen. Tatsache ist, dass in Deutschland die Verbindung zwischen verarmtem Adel und reichem Bürgertum vom Adel nicht gern gesehen wurde, und die betroffenen Adelshäuser danach gern ausgegrenzt wurden. Lady Catherine hätte im wahren Leben (obwohl Darcy selbst keinen Titel besitzt) also höchstwahrscheinlich Recht behalten. Aber JA will hier die Vermischung und torpediert das Übliche, wobei sie dem damaligen Leser diese Entscheidung durch die leidenschaftliche "Liebesheirat" schmackhaft zu machen versuchte, welche ja nun auch ganz langsam weitere Kreise in allen Gesellschaftsschichten zog. Man neigte dazu über manchen Skandal hinwegzusehen, der aus tiefster Liebe entstanden war.
Du hast recht, bisweilen (wenn ich recht bedenke, sogar recht häufig

) wird JAs Humor bei der Zeichnung ihrer Charaktere zur Karikatur, so treffend genau und spitz modelliert sie die hervorstechenden Eigenschaften. So z.B. eben Lady de Bourgh nebst Tochter und deren Gouvernante, dazu dann einen Pfaffen wie Collins, der buckelt und gleichsam fragt "darf ich meinen Schleim vor ihren Füssen auflecken"?
Den Schleim vor den Füssen einer Aristokratin, die (notgedrungen?)nach "unten" geheiratet hat, wie auch ihre Schwester und davon spricht eine Lizzy Bennet würde die ehrwürdigen Hallen von Pemberley beschmutzen. Ein Paradebeispiel der ewig Gestrigen, für die nicht der Charakter zählt, sondern nur Rang und Namen.
Glaubst du nicht auch, die Ladies Fitzwilliam (Catherine und Anne) hätten im wahren Leben lieber einen Baron oder Earl geehelicht? Wie Hyänen wären sie oder ihre Eltern im Almacks um entsprechende Kandidaten herumgeschlichen.

Scheints sie waren (in JAs Augen) selbst nicht gut genug, um einen solchen "Edlen" abzukriegen. Andererseits wäre natürlich Catherines perfide Aroganz nicht sooo schön zum Tragen gekommen, wäre der Unterschied in den Gesellschaftsschichten und damit die Standesschranken zwischen den de Bourghs, Darcys und Bennets größer und deshalb sozusagen unüberwindbar gewesen.
Davon mal ganz abgesehen, dass die Probleme einer Frau aus der Gentry nicht unbedingt kleiner waren, als die einer Arbeiterin. Sie waren halt anders. Von einem Mädchen aus der Arbeiterklasse erwartete man natürlich, dass sie zum Lebensunterhalt der Familie beitrug und freute sich, wenn sie hübsch genug war den Sohn eines reichen Händlers, Advokaten oder Lehrers um den Verstand und damit zur Ehe zu bringen.
Selbst ein Mädchen aus der Gentry, der Mittelschicht, durfte nicht arbeiten. Hatte sie keine Mitgift und kein größeres Erbe zu erwarten, stellte sie auch keine gute Partie dar und musste dennoch versuchen sich "meistbietend" an den Mann zu bringen. Hier haben wir Colonel Fitzwilliam der bedauert, ja sich Lizzy gegenüber fast entschuldigt, dass für ihn als jüngeren Sohn nur eine "Geldheirat" in Frage kommt. Also hatte auch er mehr als ein Auge auf Lizzy geworfen. Da steht er auf der gleichen Stufe wie Willoughby, der seine Liebe für einen vollen Geldbeutel verrät. natürlich hatte JA ein gewisses Verständnis für diese Lage, ihre Familie hatte ja auch zu kämpfen, und mir scheint sie habe zwar die "Täter" nicht wirklich verurteilt, die Gesellschaft an sich aber wohl, die mit ihren Regeln und Konventionen den Spielbereich sehr eng absteckte. Warum darf ein Gentleman nicht arbeiten, will er in der Oberschicht bleiben und warum darf es eine Frau nicht, wenn sie um ihrer Liebe und Familie Willen zum Unterhalt beisteuern will? Das heisst im Fall unserers Dashwood-Mädchen, dass man verzichten, vielleicht sogar hungern muss, weil man nicht arbeiten darf, will man seinen Status nicht verlieren! Diese Perfidität muss man sich erst einmal vor Augen führen!
Ausser bei S&S und ist das auch bei "Emma" ein noch stärkeres Thema, in Gestalt der Jane Fairfax, die sich allerdings genötigt sieht demnächst arbeiten zu gehen, sollte nicht doch noch der Retter (Churchill) kommen, der sie heiratet.

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Grüsse, Caro
Avatar: Amelia Darcy (1754-1784)
Für 1 Jahr säe einen Samen, für 10 Jahre pflanze einen Baum, für 100 Jahre erziehe einen Menschen. chin. Weisheit