@ Julia: Bevor ich den Kontext referiert habe, hast du das 3x gelesen... Es ist im Kapitel "Die Regentschaft von Stolz und Vorurteil" (wird es in der engl. Ausgabe ja sicher auch geben), kommt so nach ca 10 Seiten.
Zitat:
ich möchte nur zu bedenken geben, dass sich "konservativ" oder/und "religiös" und "kritisch" nicht ausschließen. Fragt sich nur, ob das was da kritisiert oder kritisch beobachtet wird sich mit unseren heutigen, modernen Erwartungen deckt.

Weil "liberal", "feministisch" oder "konservativ" ja auch Konzepte sind, die sich historisch verändern und vor 200 Jahren selten das waren, was man heute darunter versteht.
Ich persönlich finde es nach wie vor ziemlich problematisch, einen Autor oder eine Autorin für eine bestimmte politische Agenda einzuspannen bzw. so eine restlos belegen oder zweifelsfrei zuschreiben zu wollen.
Wahrscheinlich ist es genau das: Man geht mit heutigen Kategorien und Erwartungen an Text und Autorin ran - und versucht, sie ins Schema zu pressen. Weil man vielleicht gerne möchte, dass die geschätzte Autorin so ähnlich getickt hat, wie es ins heutige Weltbild passt. Am Ende überfrachtet man sie möglicherweise, jedenfalls, wenn man den Blick für den historischen Kontext verliert. Selbst wenn man Spuren von Sozialkritik in Austens Büchern findet (oder zu finden glaubt), heißt das vermutlich noch lange nicht, dass sie in bewusster Absicht formuliert sind, um irgendwas zu kritisieren oder gar verändern zu wollen. Könnte sein, muss aber eben nicht. Sie hat sicher bewusst
Personen und besonders
Verhaltensweisen kritisiert, indem sie sie auf die Schippe genommen oder karikiert hat. Das muss aber mit "Sozialkritik" oder allgemeiner: mit Kritik an gesellschaftlichen Zuständen wenig zu tun haben.
Letztlich könnte es durchaus sein, dass es bei Austen gar keine Schicht (wie auch immer definiert) gibt, die klar bevorzugt oder kritisiert wird. Man findet vielleicht immer negative
und positive Beispiele für Leute aus der jeweiligen Schicht. Müsste man mal prüfen. Nur beim höheren Adel fällt mir gerade kein positives Beispiel ein, aber Austen beschreibt ja eigentlich auch nie wirklich den höheren Adel - die Elliots sind ja auch nicht richtig hoch angesiedelt, außerdem schon verarmt. Vielleicht hatte sie zuviel Respekt vor dem höheren Adel, um ihn wie auch immer zu beschreiben? Oder sie kannte sich dort ebensowenig aus wie bei Bauern und Arbeitern, die ja bekanntlich auch kaum vorkommen, weil Austen es bevorzugt, das zu beschreiben, was sie kennt.
@Kerstin:
Zitat:
Aber welche Wirkung hatte das auf die Leserinnen? Die Romane vor Jane Austen waren oft so moralisch und hatten das Idealbild der unselbstständigen Frau.
Ob Austen da eine erzieherische Absicht (von Sozialkritik rede ich schon gar nicht mehr

) hatte? Oder erkennt man an ihrem Text einfach nur den gesellschaftlichen Fortschritt, der sich automatisch in ihrem Text spiegelt, weil sie halt beschreibt, was ist. Um die Zeit herum, als Austen lebte, soll es doch innerhalb der Familie schon den Machtwechsel gegeben haben: Statt des allein herrschenden Patriarchen übernahm zunehmend die Frau das Kommando zuhause, jedenfalls in bürgerlichen Familien. Das gilt sicher auch für Elizabeth Bennet.
Zu Charlotte: Ich hab ja schon oft betont, dass ich Charlotte super finde - und es für "ungerecht" von Austen halte, dass die Gute für ihre souveräne Entscheidung (zumal aus der Not heraus) doch relativ bestraft wird, auch wenn sie es versteht, ihren Collins zu dirigieren. Im Grunde verbirgt sich da bei Austen ein bestimmtes Verständnis von Vernunft: Es ist nicht die rationale Entscheidung, die sich an materiellen Notwendigkeiten orientiert, die von ihr positiv hervorgehoben wird. Sondern eine idealistisch-romantische Vorstellung von "vernünftiger Liebe", auf die es zu warten gilt. Schön, wenn man sie findet. Aber für die allermeisten Frauen war das Warten darauf vielleicht ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnten?