(Danke Kerstin!)
Sorry, wenn ich Euch auf die Folter gespannt habe... Also: ich hab mir "Austen's Unbecoming Conjunctions" geleistet, über das ich
hier schonmal geschrieben habe.
Das Buch ist erst letztes Jahr erschienen und beschäftigt sich mit dem Humor und vorallem dem Wortwitz in den Romanen. Die Autorin bemüht sich, hervorzuheben, wieviel derbe Anspielungen Jane Austen verwendet hat, die der heutige Leser gar nicht mehr versteht, weil sich das Sprachverständnis sehr gewandelt hat. Ähnlich ist es ja beispielsweise auch mit Shakespeare, der voller erotischer Anspielungen steckt, die man in früheren Übersetzungen einfach ignoriert hat.
Das Buch gibt jedem Roman ein eigenes Kapitel und gestern habe ich das zu S&S gelesen.
Vorweg vielleicht noch das, bevor sich jemand aufregt: Ich nehme nicht alles für bare Münze, was die Dame schreibt - vieles finde ich ein bißchen zu weit hergeholt, denn wenn man einmal anfängt, mit diesem Blick zu lesen, kann man ja quasi alles als "doppeldeutig" verstehen. Ähnlich wie die jungen Mädels, die bei jeder Gurke im Supermarkt loskichern.
Aber: Vieles klingt für mich sehr plausibel und die Menge der Beispiele zeiggt mir - das kann kein Zufall sein, da muss schon was dran sein. Wieviel auch immer.
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Die Autorin richtet das Hauptaugenmerk auf die unterschiedlichen Arten von Schmuck, Miniaturen und Schmuckgegenstände in S&S. Es gibt wirklich ungewöhnlich viel, was erwähnt wird: ein Ring mit eingefassten Haaren, Marianne's Miniatur ihres Großonkels, Robert Ferrars' Zahnstocherdose (der alte Schmuck, den Elinor im selben Geschäft umtauschen will), die Ohrringe, die John Dashwood seinen Schwestern nicht schenkt, das Siegel das er Fanny schenkt, den Korb den Lucy und Elinor zusammen basteln, usw.
Alle mit symbolhafter Bedeutung, ich picke jetzt nur mal eins raus:
Marianne's Miniatur ihres Großonkels, das sie um den Hals trägt, wird von Elinor erwähnt, als Margeret ihr von ihrer Beobachtung erzählt, Willoughby hätte eine Haarlocke von Marianne.
(...)they had not known each other a week, I believe, before you were certain that Marianne wore his picture round her neck; but it turned out to be only the miniature of our great uncle."
"But indeed this is quite another thing. I am sure they will be married very soon, for he has got a lock of her hair."
"Take care, Margaret. It may be only the hair of some great uncle of HIS."
"But, indeed, Elinor, it is Marianne's. I am almost sure it is, for I saw him cut it off. (...) he took up her scissors and cut off a long lock of her hair, for it was all tumbled down her back; and he kissed it, and folded it up in a piece of white paper; and put it into his pocket-book."
Ich zitiere auf Englisch, den worauf es ankommt ist der Gleichklang der Wort "heir" (Erbe) und "hair" (Haar) und die Doppelbedeutung von "cut off", nämlich einmal "abschneiden"(Haar) aber auch "vorenthalten, absprechen" (das Erbe):
Marianne trägt das Bild des Onkels um den Hals, der all sein Vermögen nicht den Dashwood-Mädchen vererbt hat, sondern dem kleinen Sohn von Fanny und John. Der Onkel also, der ihr ein Einkommen vorenthalten hat, was Willoughby letztendlich dazu veranlasst, Marianne fallenzulassen.
Das mag man jetzt spitzfindig finden, aber es bekommt mehr Gewicht, wenn man liest, dass auch Shakespeare dieselbe (heir-hair) Doppelsinnigkeit in seinen Sonetten verwendet hat. Der Fachausdruck für diese Art Wortspiel ist übrigens "shadow of the second word" - "der Schatten (die Ahnung) eines zweiten Wortes".
Dieselbe Art "Schatten" findet sich in der Episode vom verstauchten Knöchel: Die Autorin zählt mehrere zeitgenössische Quellen (Gedichte, Zeitungsartikel, Wörterbücher) auf, in denen "to tumble" (stolpern, hinfallen) als scherzhaftes Wort gebraucht wird für: (unehelichen) Sex mit einem Mann haben; sowie "sprained ancle" (verstauchter Knöchel) für die Schwangerschaft, die daraus resultiert. Sir John gebraucht diese Formulierung sogar zweimal, wenn ihn Marianne über Willoughby ausfragt:
Miss Dashwood; (...) I would not give him up to my younger sister, in spite of all this tumbling down hills.
und ein paar Sätze später
Poor Brandon! (...) he is very well worth setting your cap at, I can tell you, in spite of all this tumbling about and spraining of ankles.
Über die mutmaßliche Doppelsinnigkeit von "not a bolder rider in England" (zweimal von Sir John gebraucht, zum zweiten Mal wenn herauskommt, dass er Eliza Brandon geschwängert hat) oder "decent shot" oder "a gentlemen carrying a gun" ... habe ich dann allerdings eher geschmunzelt. Wenn man es so lesen
will, passt das natürlich noch hervorragend dazu.
Andererseits: Die anzüglichen Witze von Mrs Jennings und Sir John, die immerwieder indirekt erwähnt werden, könnten genauso aussehen.
Und was den Buchstaben "F" betrifft, mit dessen Witzeleien die arme Elinor ständig geplagt wird - was kann man wohl für anzügliche, derbe (Wort)Witze mit dem Buchstaben "F" machen?? Na?
Die Autorin schreibt noch sehr viel über die Körpersprache Willoughby's und Mariannes und ich finde alles sehr gut begründet und recherchiert. Die Details führen jetzt aber zu weit.
Ihre Bemerkungen zu Lucy fand ich noch ganz interessant, vorallem zu ihrem Namen: Lucy (=hell, licht) Steele (=Stahl)
Aus poliertem Stahl wurde zu JA Zeit sehr viel eher preisgünstiger Schmuck hergestellt, vorallem Knöpfe, Uhrenketten, Broschen, Halsbänder, etc.
Zu JA Zeit gab es eine sehr populäre Karikatur, die in mehreren Magazinen abgedruckt wurde (sie ist auch im Buch, aber ich konnte sie online nicht finden), die einen jungen Mann zeigt, der eine junge Frau wortwörtlich blendet, weil der polierte Stahl an ihm so stark glänzt.
Im doppelten Sinn blendet also auch "Lucy Steele"...