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BeitragVerfasst: Dienstag 31. Januar 2006, 11:32 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Registriert: Mittwoch 19. Oktober 2005, 20:13
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Dieses Buch lese ich gerade und ich finde, es hat einen eigenen Thread verdient, auch wenn das Thema vielleicht in die "Frauenliteratur"-Diskussion passen könnte. Aber die ist schon soweit fortgeschritten, dass ich mich da nicht mehr mit was neuem einklinken mag.

Das Buch ist 2004 erschienen und obwohl ich schon sehr viel Sekundärliteratur zu Jane Austen gelesen habe und bei diesem erst beim zweiten Kapitel bin, bin ich schon völlig begeistert. Wenn man EIN Buch über ihr Werk lesen will, sollte man dieses lesen.
Sie rückt das Bild von "dear Aunt Jane" gerade, dass sie für manche von uns vielleicht gar nicht mehr gerade rücken muss, aber was ich noch nie in dieser Deutlichkeit gelesen habe.
Es wurde zwar von einer Professorin geschrieben aber ganz und gar unakademisch. Unterhaltsam, witzig und trotzdem sehr sehr gut recherchiert und durchdacht.
Ich hoffe, ich verstoße nicht gegen Copyright-Bestimmungen, wenn ich hier nach und nach Stellen aus dem Buch wiedergebe?!

Kapitel 1 Putting her down and touching her up
Sie zählt unterschiedliche Instanzen auf, die sich nach ihrem Tod darum bemüht haben, ihr Bild weichzuzeichnen und zu verwässern.
Ihr Bruder Henry war der erste in dieser langen Reihe:
Er war der erste der der posthumen Veröffentlichung von Northanger Abbey und Persuasion eine "biographische Notiz" beifügte. Er beschreibt das Leben seiner Schwester als ereignislos ("Short and easy must be the task of the biographer") und beschränkt sich im Wesentlichen darauf, ihr Aussehen zu beschreiben, ihre Pietät, Liebenswürdigkeit, Anmut und Bescheidenheit zu loben. Er ignoriert ihre Jugendwerke, in denen Heldinnen ihre Eltern ermorden, sich hemmungslos betrinken und ihre Rivalinnen vergiften. Ebenso ihren Kommentar zu einem Kritiker von "Pride and Prejudice" - "Kill poor Mrs Slater if you like it". Sein "she never spoke an unkind word to anybody or had anything but sweet thoughts" muss man kaum mit Gegenbeispielen belegen. Die Liste wäre endlos.
Er zitiert in seinem Vorwort lediglich zwei Briefe: Den in dem Jane Austen ihr Werk als Miniaturzeichnung bezeichnet ("a fine brush on ivory") und den in dem die Sterbende ihre Schwester Cassandra preist und Gott bittet ihre Familie zu segnen.
Nicht genug damit, dass Cassandra und Henry viele Briefe und Briefteile zerstört haben, für die ersten Abdrucken der Briefe änderten sie ganze Passagen, und verfälschten so den Inhalt und die Aussage. Ein paar Beispiele:
aus "I was as civil to them as their bad breath would allow me" wurde "I was as civil to them as circumstances would allow me"
aus "Give my love to little Cassandra, I hope she found my bed comfortable last night and has not filled it with fleas." wurde "Give my love to little Cassandra, I hope she found my bed comfortable last night."
Die Beispiele sind endlos - ganze Passagen werden weggelassen, in denen sie Bücher erwähnt, sich unfreundlich über Nachbarn und Verwandte äußert, oder überhaupt eine klare oder unbequeme Meinung vertritt.
Noch bis in die 1940er Jahren orientieren sich die neueren Auflagen der Briefen an diesen Versionen - obwohl die Manuskripte erhalten sind.

James Edward Austen-Leigh setzt 1870 mit seinem "Memoir" dem ganzen noch die Krone auf. Er bezeichnet sie durchweg als "dear Aunt Jane", bemerkt, dass er sie nie für besonders klug gehalten hat, sondern lobt stattdessen ihr "sweet temper and loving heart", "humble mind", "modest simplicity". Alles schön dem viktorianischen Zeitgeschmack entsprechend. Er ist der erste der das Bild verbreitet, Jane Austen hätte nur zum Vergnügen und als Zeitvertreib geschrieben, mit keinerlei Ehrgeiz oder dem Wunsch nach einer Veröffentlichung.
Er schließt einige Briefe mit ein, von denen er schreibt, sie enthielten keinerlei Referenzen zu Politik, Literatur und aktuellen Ereignissen - nachdem er diese sorgsam herausgestrichen hat natürlich nicht mehr.
(In den neuren Ausgaben der Briefe, sind die Passagen wieder drin)
Für das Titelblatt seines Buches gibt er ein Aquarell in Auftrag, dass nach Cassandra's Skizze von ihr gefertigt werden soll:

Bild Bild

Sie bekommt ein Lächeln verpasst, die Schultern werden verschmälert, haufenweise Spitze hinzugefügt, die Augen "sanfter". Von dem Charakter der Skizze ist nicht mehr viel übrig.

Auf einem späteren Porträt bekommt sie sogar noch einen Ehering(!) verpasst:

Bild
(ganz zu schweigen vom nochmal radikal verweichlichten Gesicht)

Das alles wäre nicht mehr als "interessant", wenn sich nicht fast alle späteren Biographen so uneingeschränkt an diesem vermittelten Bild orientiert hätten. Noch 1956 heißt es in einem Eintrag der Encyclopedia Britannica über sie " During her placid life, Miss Austen never allowed her literary work to interfere with her domestic duties: sewing much and keeping house."
Emily Auerbach bringt noch viele Beispiele, wie sich an diesem Öffentlichkeitsbild bis heute nicht viel geändert hat, bzw. wie es immernoch gepflegt wird, die ich jetzt nicht alle zitieren kann. (Schon allein die Tatsache, wieviele wirklich gute Bücher/Vorworte/Essays von ihr als "Jane" sprechen. Wer kommt auf die Idee und spricht von Charles Dickens als "Charles"??) Nur soviel - ich habe innerlich fast gekocht angesichts soviel absichtlicher Ignoranz, Verniedlichung und Verharmlosung.

Das Buch ist wirklich ganz toll - und wie ich finde auch nicht schwierig geschrieben (wer sich also mal an was Engischem versuchen will...). Wenn Interesse besteht, schreib ich gern weiter was dazu, im Verlauf des Lesens. Es gibt jeweils ein Kapitel zu jedem Buch... gerade bin ich bei den Jugendwerken.


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Verfasst: Dienstag 31. Januar 2006, 11:32 


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BeitragVerfasst: Dienstag 31. Januar 2006, 13:02 
Mich interessiert es schon, was du über das Buch schreibst. Dein Ton klingt richtig ärgerlich. :wink:.

Ich kann mir gut vorstellen, dass das Buch mehr von DER Jane Austen zeigt, so wie ich sie mir vorstelle. Schreiben, um zu verarbeiten, was sie erlebte, zum Beispiel.


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BeitragVerfasst: Dienstag 31. Januar 2006, 19:42 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Hazel hat geschrieben:
Mich interessiert es schon, was du über das Buch schreibst. Dein Ton klingt richtig ärgerlich. :wink:.


Nur das kein falscher Eindruck entsteht: Ärgerlich bin nur ich über den Inhalt. Der Stil des Buches ist eher-heiter ironisch als polemisch. Außerdem muss man ja leider vieles weglassen und vereinfachen, wenn man über etwas schreibt. Das Buch ist natürlich viel differenzierter und bestimmt keine Hetzschrift gegen Jane Austens Verwandtschaft. :wink:


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BeitragVerfasst: Dienstag 31. Januar 2006, 22:05 
^Nein, ich sehe es auch nicht als Hetzschrift. Es müssen auch keine Biographien umgeschrieben werden :D . Aber interessant finde ich es schon, es SO deutlich zu lesen.


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BeitragVerfasst: Mittwoch 1. Februar 2006, 19:08 
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Zitat:
Noch bis in die 1940er Jahren orientieren sich die neueren Auflagen der Briefen an diesen Versionen - obwohl die Manuskripte erhalten sind.


Die Manuskripte sind also noch erhalten, und Frau Auerbach hat da einfach so Zugang? Ob das "normal Sterbliche" auch könnten?

Mich interessiert´s auch - also schreib nur fließig!!! :n34:

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Anscheinend lebe ich in einem Zustand tiefer Hypnose, und jedes Mal, wenn ich eine Postkarte abschicke, könnte ich Euphorie als Absender angeben.....Helene Hanff


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BeitragVerfasst: Mittwoch 1. Februar 2006, 19:14 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Nein, nein, die gibt es schon länger.
Die Manuskripte sind erst relativ spät vollständig an die Öffentlichkeit gelangt. Ich glaube Deidre leFaye war die erste, die alle verfügbaren Briefe gesammelt, neu durchgelesen und herausgebracht hat.
(Oder weiß jemand noch eine ältere?!)
Die Brabourne-Ausgabe orientiert sich jedenfalls noch teilweise an den verfälschten Abdrucken.

Für "normal Sterbliche" sind einige Briefe im Haus in Chawton und in der British Library zu sehen. Viele sind auch in Privatbesitz.


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BeitragVerfasst: Mittwoch 1. Februar 2006, 22:59 
Zitat:
Claudia schrieb: Die Manuskripte sind also noch erhalten, und Frau Auerbach hat da einfach so Zugang? Ob das "normal Sterbliche" auch könnten?


Manche Sätze erinnern in ihrer Deftigkeit an Samuel Pepys (dieser Vergleich nur, weil er momentan parallel gelesen wird). JEDEM Leser - vor allem Anfängern - würde ich diese Deutlichkeit Jane Austens nicht zumuten. Es handelt sich ja private Briefe.


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BeitragVerfasst: Sonntag 5. Februar 2006, 17:14 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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^ Was die Deutlichkeit betrifft, reichen sie aber kaum an die Jugendwerke heran, finde ich. Und die sollte wirklich jeder Austen-Fan lesen - zumindest die, die an den Tiefen und Hintergründen interessiert sind. Und jedem Kritiker, der Jane Austen das Etikett "leichte Literatur", "Romantik", "Liebesroman" aufdrückt, gehören sie um die Ohren gehauen! :wink:
Im Ernst: Je öfter ich sie lese und je mehr ich über sie lese, desto begeisterter bin ich. Es öffnet einem wirklich die Augen.

Also weiter mit Emily Auerbach:

2. Kapitel: Beware of swoons

In diesem Kapitel geht es um die sogenannte "Juvenilia". Emily Auerbach benutzt sie um an endlosen Beispielen zu belegen, dass Jane Austen sich - entgegen den darstellungen ihrer Familie - als Schriftstellerin ernst und wichtig genommen hat, sogar schon sehr früh.
Alle Zitate hier aufzuführen, würde zu weit gehen - das passt besser in einen Thread über die Jugendwerke ansich.
Nur soviel, um das oben geschriebene weiter zu bestätigen:
Die Jugendwerke wurden auf Betreiben ihrer Familie und deren Nachfahren erst sehr spät veröffentlicht: 1922, der letzte Teil sogar erst 1951. Dementsprechend wurden sie von der Austen-Forschung auch erst sehr spät wahrgenommen, ernstgenommen noch viel länger nicht. Teilweise ließen sich die Autoren von Kommentaren der Austen-Familie leiten: Jane Austen's Vater bezeichnete sie als "mere effusions of fancy", was James-Edward Austen-Leigh in seinem "Memoir" genüsslich zitiert, breit tritt und sich und der Familie zu der Entscheidung beglückwünscht, der Nachwelt diese "Albernheiten" vorzuenthalten.
In den Jugendwerken bricht die junge Jane Austen spielerisch sämtliche Regeln - literarische und gesellschaftliche. Ihre Heldinnen betrinken sich, ermorden ihre Eltern, werfen ihre Rivalinnen zum Fenster hinaus und führen Armeen an. Alles völlig beiläufig und ohne moralische Kehrtwenden.
Sie experimentiert mit Sprache (z.B. Alliterationen wie: "patches, powder, pomatum and paint") und den unterschiedlichen Genres der damaligen Literatur. Ob nun Briefroman, Benimmbuch, Schauerroman oder sentimentale Liebesgeschichte - sie verspottet alles und zeigt durch ihre Parodien, wie gut sie das jeweilige Sujet beherrscht.
Fast alle Stücke sind Familienmitgliedern oder Freunden gewidmet und die jeweils vorangestellten Widmungen zeugen ebenso vom Selbstbewusstsein der Autorin wie die Unterschriften in Großbuchstaben - THE AUTHOR.

Umso lächerlicher wirkt Henrys Beschreibung seiner Schwester: "So fehlerlos wie es ein Mensch nur sein kann, versuchte sie bei allen Fehlern in anderen zu entschuldigen, zu vergeben oder zu vergessen(...). Nie sprach sie ein hastiges, unüberlegtes oder strenges Wort."


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BeitragVerfasst: Sonntag 5. Februar 2006, 17:59 
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Liebe Julia,

ich finde es mega interessant was Frau Auersbach so alles ans Licht bringt - vielen Dank für deine Zusammenfassungen :flehan:

ich kann mir auch nicht vorstellen, dass JA wirklich so eine "sweet and tempered" gutmütige Dame war - dass sie die Fähigkeit zu Spott und Sarkasmuss und manchmal auch etwas schwarzen Humor hatte scheint ja auch in ihren Werken durch - und was wären die Romane von JA ohne die "Lady Catherines oder "Mr. Collins" etc.. und wenn man ihre Briefe liest blitzen da schon manchmal ganz schön spitze Worte durch (herrlich!!!)

... auch kann ich ihrer Familie es nicht übelnehmen dass sie Jane eine Art "Heiligenschein" verpasst haben bzw. ihr Bild verwässert haben. (man redet doch nicht schlecht über dahingeschiedene - noch dazu aus der eigenen Familie - und schon gar nicht im viktorianischen Zeitalter) - so bleibt uns wohl nur übrig JA in ihren Büchern zu entdecken...

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... Captain Wentworth I need your arm
(Luisa Musgrove - Persuasion)


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BeitragVerfasst: Sonntag 5. Februar 2006, 18:44 
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Julia hat geschrieben:
... Umso lächerlicher wirkt Henrys Beschreibung seiner Schwester: "So fehlerlos wie es ein Mensch nur sein kann, versuchte sie bei allen Fehlern in anderen zu entschuldigen, zu vergeben oder zu vergessen(...). Nie sprach sie ein hastiges, unüberlegtes oder strenges Wort."


... Ach Julia,

ich vermute, Du hast keinen Bruder und kannst deshalb nicht nachvollziehen wie ihr Lieblingsbruder Henry über Jane Austen dachte... Dass sein posthumes brüderliches Loblied auf seine geliebte Schwester "lächerlich" auf Dich wirkt, finde ich sehr traurig...

Wogegen sicher was dran ist an der Ansicht, dass sie mit ihren Jugendwerken verschiedene literararische Mittel "ausprobierte" und sich als Satirikerin ohne irgendwelche Rücksichten austobte... Und sicher waren diese "Fingerübungen" nicht zur Veröffentlichung gedacht, sondern lediglich für den Hausgebrauch... soweit war "Our Lady" schon eine ernsthafte Schriftstellerin, um zu wissen, was "Skizze" und was "Gemälde" war...

NB: Dass sie mehr als "eine grundgütige, diskrete Dame gewesen" ist, haben vor oder neben(?) Auerbach auch schon andere festgestellt...

Mach weiter und gibt uns mehr von Auerbach heraus... Du musst sie uns jedoch nicht "um die Ohren hauen", kein Grund dafür vorhanden... :wink:

Bruki

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"There’s no one to touch Jane when you’re in a tight place. Gawd bless ’er, whoever she was."
(Rudyard Kipling, The Janeites)


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BeitragVerfasst: Sonntag 5. Februar 2006, 19:06 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Gut, "lächerlich" ist vielleicht das falsche Wort. Er kann ja gerne so eine hohe Meinung von seiner Schwester haben, aber in eine "Biographical(!) Notice" gehört es dann doch nicht, finde ich. Zumindest wenn alles unterdrückt wird, was dem entgegensprechen könnte. (Und DAS ist ja die Krux an der Sache.) 1818 war vom Viktorianischen Zeitalter doch noch weit entfernt...

Ich will ja die Austen-Sippe auch nicht verdammen, aber es wirft doch ein schlechtes Licht auf sie. Oder im Mindesten auf all die Biographen, die das Bild nicht groß hinterfragt und übernommen haben.

Klar ist die Juvenelia ein "Skizze" und Jane Austen wusste das bestimmt auch. Allerdings enthüllt eine Skizze mindestens soviel künstlerische Fertigkeiten wie ein "richtiges" Bild, um mal bei Deinem Vergleich zu bleiben. Flüchtig hingeworfenes ist oft aufschlussreicher als etwas durchkomponiertes, durchdachtes. (nicht besser oder schlechter, anders eben.)

Zitat:
NB: Dass sie mehr als "eine grundgütige, diskrete Dame gewesen" ist, haben vor oder neben(?) Auerbach auch schon andere festgestellt...


Ja, aber warum hat es solange gedauert? Das ist ja die Frage, die Frau Auerbach sich stellt.


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BeitragVerfasst: Sonntag 5. Februar 2006, 21:00 
somima hat geschrieben:
... auch kann ich ihrer Familie es nicht übelnehmen dass sie Jane eine Art "Heiligenschein" verpasst haben bzw. ihr Bild verwässert haben. (man redet doch nicht schlecht über dahingeschiedene - noch dazu aus der eigenen Familie - und schon gar nicht im viktorianischen Zeitalter) - so bleibt uns wohl nur übrig JA in ihren Büchern zu entdecken...

[schild=19 fontcolor=000000 shadowcolor=C0C0C0 shieldshadow=1 nxu=87959978nx19033]EIN WEISER SCHLUSSSATZ[/schild]


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BeitragVerfasst: Sonntag 5. Februar 2006, 21:12 
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Julia hat geschrieben:
...Ja, aber warum hat es solange gedauert? Das ist ja die Frage, die Frau Auerbach sich stellt.


Ich bin mir da nicht so sicher, ob das nur die Gegenwart betrifft... Sie wird ja seit 150 Jahren(?) von einer verschworenen Gemeinde gelesen und muss also etwas mehr für ihre Anhänger(innen) gewesen sein, als eine polierte Gesellschaftsdame, die vollkorrekte Ansichten propagiert... Ich denke, sie hat ihren Lesern (ich meine jetzt mal denjenigen, die keine "dull elfs" sind) schon immer das unterschwellig-subversive vermitteln können... mal abgesehen von ihrer Moral... Und soweit ich die Viktorianer kannte, waren diese durchaus damit vertraut, zwischen den Zeilen zu lesen... wahrscheinlich sogar besser als wir, denen man alles mit dem Holzhalmmer einprügeln muss und die kaum mehr als Slogans oder kurze Überschriften aufzunehmen in der Lage sind...

Bruki

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BeitragVerfasst: Sonntag 5. Februar 2006, 21:34 
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Zitat:
Sie wird ja seit 150 Jahren(?) von einer verschworenen Gemeinde gelesen und muss also etwas mehr für ihre Anhänger(innen) gewesen sein, als eine polierte Gesellschaftsdame, die vollkorrekte Ansichten propagiert...


hm... rosamunde pilcher wird auch von einer "verschworenen gemeinschaft" gelesen. :wink: (ja, ich weiß, der vergleich hinkt - ich will nur sagen: nur weil viele sie lesen, wissen wir noch lange nicht, wie sie von den lesern gesehen wird)

nein, ich glaube, ich weiß was du meinst und bin wohl auch deiner meinung, was das zwischen-den-zeilen-lesen-können betrifft.
emily auerbach hat ja auch nicht einzelne leser interviewen können oder wollen, sondern beschäftigt sich lediglich mit dem, was über sie veröffentlicht wird/wurde, ob nun als biographien, essays, filmadaptionen.

wie kommt es denn, meinst du, dass nach wie vor vergleiche mit seichter frauenliteratur gezogen werden? - das forum hier und anderswo ist doch voll von beispielen, was uns so an absurditäten begegnet ist.


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BeitragVerfasst: Sonntag 5. Februar 2006, 21:59 
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Julia hat geschrieben:
... wie kommt es denn, meinst du, dass nach wie vor vergleiche mit seichter frauenliteratur gezogen werden? - das forum hier und anderswo ist doch voll von beispielen, was uns so an absurditäten begegnet ist.


na ja, jeder liest Jane Austen anders und macht sich ein Bild von ihr... Und ohne Zweifel, kann man ein mehrbödiges Werk so oder so lesen und sich schlussendlich daran erfreuen...

Ich hab mal ein schönes Beispiel aus dem Grenzbereich zwischen Physik und Philosophie gelesen: Nach einem Vortrag über die Struktur und den Aufbau des Universums vor wissenschaftlichen Laien kam eine ältere Dame auf den Dozenten zu und sagte: "Alles schön und gut, aber es ist doch klar, dass die Erde nicht so einfach im luftleeren Raum hängen kann!" - "Nun, Madam wie kann es anders sein?", fragte der Wissenschaftler. - "Die Erde wird von einer Schildkröte getragen!" - "Und worauf steht die Schildkröte?", fragte der berühmte Physiker siegesgewiss zurück. "Ganz einfach," antwortete die Dame, "die steht auf einer weiteren Schildkröte!" - Der Wissenschaftler, der uns dieses Zwiegespräch wiedergab, schrieb anschließend in seinem Werk über die Zeit, dass die Idee des Schildkrötenturms eine ebensogute sei wie die Einsteinsche Relativitätstheorie... Und das meinte er ohne Häme oder Zynismus...

Wenn das Modell, das man sich von der Welt gebastelt hat, die Fragen befriedigend beantwortet, die man an die Welt hat, ist es schon recht...

Bruki

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BeitragVerfasst: Sonntag 5. Februar 2006, 22:04 
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sehr schönes beispiel, sehr schöner schluss-satz (du kannst also auch anders, wie ich sehe :wink: ).
andererseits sehe ich persönlich nichts akzeptables in ignoranz wider besseren "wissenkönnens". auf eine größere (z.b. politische, gesellschaftliche) skala übertragen halte ich es sogar eher für gefährlich.
aber in diesem rahmen: einverstanden.


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BeitragVerfasst: Sonntag 5. Februar 2006, 22:14 
Julia hat geschrieben:
wie kommt es denn, meinst du, dass nach wie vor vergleiche mit seichter frauenliteratur gezogen werden?


Die Liebesgeschichten-Thematik, glaube ich, da die Psychogramme, die JA herauszuarbeiten beginnt, letztlich doch in Heirat enden (und nicht in Mord wie in einem Krimi).


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BeitragVerfasst: Montag 6. Februar 2006, 09:11 
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Genau Hazel

vordergründig schreibt Jane Austen konventionelle Liebesromane, doch wenn man genauer hinschaut, ist es gar kein so weiter Weg von Jane Austens Teekränzchen zu der verzweifelten Tess D'Urberville, die mit ihren bloßen Händen im Boden nach etwas essbarem wühlt...

Bruki

Julia hat geschrieben:
sehr schönes beispiel, sehr schöner schluss-satz (du kannst also auch anders, wie ich sehe :wink: ). ...


PS Julia: ach ja, manchmal bin ich altersweise, aber meist nicht... :wink:

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BeitragVerfasst: Montag 6. Februar 2006, 20:49 
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Beiträge: 4781
Bruki hat geschrieben:
vordergründig schreibt Jane Austen konventionelle Liebesromane


konventionell vielleicht aus heutiger sicht. aber ist das der grund dafür, dass sie so populär ist? ich hoffe, nicht...


---------


Weiter mit Emily Auerbach - Kapitel 3 Only Genius, Wit and Taste

In diesem Kapitel geht es um "Northanger Abbey". (Das Buch wird immermehr zu einer Werkbesprechung - unter dem Blickwinkel "Wer/Wo ist Jane Austen?" zwar, aber doch mehr "Werk" als "Biographie", auch wenn man das vielleicht nicht so streng trennen kann. Falls also jemand den Thread verschieben/"aufräumen" mag... :wink:

Das Argument, dass Emily Auerbach in diesem Kapitel vorbringt und belegen zu versucht, ist das, das die wahre "Heldin" dieses Romans Jane Austen selbst ist. In keinem anderen Roman kommt die Wendung "my heroine" vor, geschweige denn so zahlreich. "Northanger Abbey" ist more about storytelling than it is a story, more about the author's craft than about her character's lifes.
Immerwieder spricht sie die Leser direkt an, bezieht ihn aktiv in die Entwicklung der Geschichte ein, streicht sich selbst als Erschafferin der Personen und Situationen heraus - ein Überbleibsel aus dem Stil ihrer Jugendwerke. Sie beschreibt nicht nur, sie lenkt die Aufmerksamkeit auf den Akt des Beschreibens - spielt so mit den Erwartungen der Leser und mit ihren eigentlichen Fähigkeiten, die Geschichte auch ganz anders fortführen zu können.
Nicht zu vergessen der eingebettete, oft zitierte Essay über Romane und RomanschriftstellerINNEN im besonderen. Nie hat Jane Austen in ihrem Werk so deutlich zu den Lesern gesprochen und ihre Ansichten dargelegt und verteidigt.
Für Emily Auerbach ist das (und die vielen, subtileren Textbeispiele, die sie als Belege anführt) wieder ein Zeichen dafür, dass Jane Austen sich als Schriftstellerin selbst-bewusst (im doppelten Sinn) und realistisch eigeschätzt hat. Keineswegs zumindest als die "Hobby-Autorin", als die sie vielfach hingestellt wurde. Und um diesen Punkt geht es ja hauptsächlich in "Searching for Jane Austen".

Ein etwas längerer Abschnitt wird noch der vielfach falschen Aufnahme des Romans als "gothic novel" zugedacht - drastischsten Beispiel wohl diese Aufmachung des Buches von immerhin 1965(!):
http://www.pemberley.com/janeinfo/nhabgoth.jpg
(etwas groß, deshalb stell ichs nicht hier rein)

Nachdem "Northanger Abbey" ja erst nach den ersten Entwürfen zu "Sense &Sensebility"/"Elinor and Marianne" und "Pride and Prejudice"/"First Impressions" entstanden ist und nicht so umfassend überarbeitet und für eine Veröffentlichung vorbereitet wurde, ist es ein interessantes Gedankenspiel, wie die anderen beiden "Jugendromane" ursprünglich wohl geklungen haben, finde ich.


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BeitragVerfasst: Montag 6. Februar 2006, 21:07 
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Na das Buchcover ist ja echt der Hit :D . Dem Klappentext nach zu schließen, könnte man meinen, da geht´s um eine Gruselgeschichte.
Da werden manche aber enttäuscht, ( oder doch positiv überrascht? ) gewesen sein.

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BeitragVerfasst: Montag 6. Februar 2006, 21:12 
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Bei aller Belustigung ist mir das Cover in erster Linie ein großes Rätsel.
Wie kommt man nur auf sowas?? Anscheinend haben die Herausgeber keine Zeile des Buches gelesen.


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BeitragVerfasst: Montag 6. Februar 2006, 22:49 
^Die Herausgeber hatten wohl gehört , dass NA eine Parodie auf die Schauerromane der damaligen Zeit ist.

Ich hab NA noch nicht gelesen, aber das Cover von 1965 gefällt mir schon. Erinnert mich an meine Kindheit ;D ! Nur die Figuren gefallen mir nicht so gut, sie sehen etwas billig aus, wie auf einem Groschenroman.


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BeitragVerfasst: Dienstag 7. Februar 2006, 19:31 
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Er hat wahrscheinlich nur "Schauerroman" gehört, aber nicht "Parodie"...
Oder ist der Klappentext als solche gemeint? :wink: (Ich denk mal nicht)

Kapitel 4 - An Excellent Heart

Hier lehnt sich Emily Auerbach ganz schön weit aus dem Fenster mit ihrer Interpretation von "Sense and Sensebility". Ihre Argumentation ist nicht unschlüssig, also habe ich sie mal wohlwollend in meine "Sammlung" aufgenommen:
Liberty seems central to Marrianne's character - and perhaps to her name. Als Jane Austen in der Mitte der 1790er Jahre mit "Elinor und Marianne" begonnen hat, war die Französische Revolution in vollem Gange - "Marianne" als Nationalfigur ein Begriff. In der klassischen französischen Literatur gibt es zahllose Heldinnen mit diesem Namen, meistens Frauen aus einfachen Verhältnissen, die sich gegen die Aristokratie behaupten.

Emily Auerbach wirft den Gedanken auf, dass Jane Austen diesen Namen gewählt haben könnte, um die schlechten und die guten Seiten der Ideale der französischen Revolution zu symbolisieren. Es ist lediglich ein Gedanke, aber sie führt immerhin zwei Beispiele auf, die dazu passen:
-- Marat-Mauger, ein französischer Revolutionär schrieb 1793 "A revolution is never made by halves, it must either be total or it will abort." Im Buch gibt es diesen Satz über Marianne: "She could never love by halves."
-- Jane Austen hat den Namen Marianne noch in einem ihrer Jugendwerke verwendet: die Empfängerin der Briefe aus "Love&Friendship" heißt so, und Jane Austen hat dieses Werk 1792 ihrer Kusine Eliza de Feuillide gewidmet, die gerade einen französischen(!) Adeligen geheiratet hatte.

Marianne könnte den revolutionären, französischen Geist verkörpern, der Europe zu dieser Zeit erfasste und Elinor den duldsamen britischen, der auch in Ausnahmesituationen einen kühlen Kopf und äußere Fassung bewahrt. Überhaupt streicht Emily Auerbach Marianne's Rolle in dem Roman mehr heraus, als das sonst getan wird. Elinor kommt auch besser weg, als sonst, sie zählt einige Textbeispiele auf aus denen deutlich wird, dass sie nicht IMMER rational und verkopft reagiert.

Eine zweite interessante Idee betrifft die Johns in diesem Buch: Sir John Middleton und John Willoughby. Passend zu der personifizierten "Marianne" könnten diese für die verschiedenen Charakterzüge der britischen Nationalfigur John Bull stehen. (Zusammen mit John Thorpe, John Knightley, John Shepherd und John Yates aus den anderen Romanen)
Mir persönlich zwar etwas zusehr an den Haaren herbeigezogen, aber warum nicht?!

Alles andere spar ich mir für künftige group reads auf... :wink:


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BeitragVerfasst: Donnerstag 9. Februar 2006, 19:32 
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Na da sind schon ein paar gewagte Theorien dabei. Wobei ich mich sowieso immer frage, ob auch nur die Hälfte von dem stimmt, was Literaturwissenschaftler und Konsorten sich immer so zusammen reimen - aber interessant und amüsant zu lesen ist das allemal, und man bekommt fast immer ein paar neue Denkanstöße.

Zitat:
Elinor kommt auch besser weg, als sonst, sie zählt einige Textbeispiele auf aus denen deutlich wird, dass sie nicht IMMER rational und verkopft reagiert.


Kommt Elinor denn normalerweise nicht so gut weg? Mir war/ist sie eigentlich immer sehr sympathisch.

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BeitragVerfasst: Donnerstag 9. Februar 2006, 20:11 
Das mit Marianne finde ich auch weit hergeholt ... obwohl natürlich ein Zusammenhang bestehen könnte. Die Informationen über
Marianne finde ich interessant. Die Büste wird also immer dem Zeitgeist angeglichen. Ahaa.


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BeitragVerfasst: Donnerstag 9. Februar 2006, 21:39 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Claudia hat geschrieben:
aber interessant und amüsant zu lesen ist das allemal, und man bekommt fast immer ein paar neue Denkanstöße.


Naja, das ist ja auch der Grund, warum ich es lese: Denkanstöße. Jeder liefert seine eigene Interpretation und man sucht sich das zusammen, was man selbst "brauchen kann".
Niemand schreibt, es IST so und so - lediglich, es KÖNNTE sein, dass...
Wenn es schlüssig am Text belegt ist, kann man es auch so stehen lassen - egal ob, man selbst daran glaubt oder nicht.

Kapitel 5 - The Liveliness of your mind
Das Kapitel über "Pride and Prejudice" bringt nicht viel Neues. Vielleicht liegts daran, dass es über dieses Buch schon soviel gibt, aber ich hab nichts gelesen, was es nicht anderswo auch schon gab. (bzw. worauf wir im group read nicht schon selbst gekommen wären :wink: )
Emily Auerbach streicht lediglich heraus, dass Jane Austen sich mit der Wahl der Geschichte entschieden gegen den damaligen Zeitgeist stellt. Nicht nur bezüglich ihrer unkonventionellen Heldin, sondern bezüglich dem Verlauf der "Romanze". Keine Liebe auf den ersten Blick, kein Nachgeben der "Ersten Eindrücke" (---> "First Impressions") und sofort die große Leidenschaft sondern ein reifes, sich erkennendes, gewachsenes Paar, das zueinanderfindet.

Kapitel 6 - The Heroism of Principle
Ein sehr interessantes, etwas wirres Kapitel über "Mansfield Park". Ich hatte teilweise das Gefühl, die Autorin ist sich selbst nicht sicher, was sie von dem Buch halten soll.
Es werden die üblichen Ansätze verfolgt - das Sklaventhema und das Rätsel "Fanny".
Sie verteidigt Fanny gegenüber ihrer zahlreichen Kritiker und streicht ihre Prinzipientreue und innere Stärke heraus. Besonders im Vergleich zu Elisabeth Bennet, die auch stark gegenüber ihrer Mutter und Lady Catherine bleibt, aber auch nicht in so einer abhängigen, aussichtslosen Lage ist wie Fanny, somit also noch eher "Spaß" an ihrem Widerstand hat. Fanny nicht - für sie geht es an die Substanz.
Besonders interessant fand ich ein neues Argument als Beleg für das umstrittene Unterthema "Sklavenhandel" bzw. Kritik an selbigem im Roman:
Fanny zitiert in Sotherton zweimal aus William Cowper's "The Task", einer Ballade in mehreren Teilen. Ich habe den Inhalt dieses Werkes noch nie so umfassend gelesen, jetzt schon: In weiten Teilen ist es eine typische romantische Naturschilderung (das waar alles was ich bisher wusste), aber es geht auch um die moralisch richtige Ausübung des Pfarrberufes ("I seek divine simplicity in him - who handles things divine") und um die ethische Verwerflichkeit der Sklaverei ("We have no slaves at home - then why abroad?"). Beides zentrale Themen in "Mansfield Park".
Es ist auch von der schon im group read erwähnten "pure air" die Rede und der Parallele, dass der oberste Richter im Schlüsselprozess um die Abschaffung der Sklaverei durch engl. Kolonialherren Lord Mansfield hieß.
Und: Wusstet Ihr, dass es in einem Gedicht von Crabbe (den Jane Austen sehr mochte) eine Figur namens "Fanny Price" gibt? Ironischerweise werden im Buch Crabbes "Tales" als eines der Bücher erwähnt, die Fanny in ihrem Zimmer hat. Da hat Jane Austen sicher ihren Spaß gehabt...
Noch zwei Worte zu Mary Crawford: Es gibt ein paar augenzwinkernde Gegenüberstellungen von Aussagen von Mary aus dem Buch und Aussagen aus Briefen von Jane Austen. Man muss ein bißchen nachdenken, um sicher zu sein, was von wem ist. :wink:
Der Punkt von Emily Auerbach ist allerdings nicht der, dass Mary die heimliche Heldin des Romans wäre, sondern dass der Leser aufgefordert wird, zu sehen, dass eine Kombination aus Fanny (Prinzipien, moralische Integrität) und Mary (Lebendigkeit, Stärke) der erstrebenswerte Mittelweg ist.

Allgemein untermauert dieses Kapitel bisher am stärksten das Anliegen der Autorin, zu zeigen, wie ambitioniert Jane Austen als Schriftstellerin war. Es ist soviel unterschwelliges, gesellschaftspolitisches eingewoben in "Mansfield Park", dass man es kaum mehr als "Zufall" abtun kann.


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BeitragVerfasst: Freitag 10. Februar 2006, 08:42 
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Julia hat geschrieben:
... Und: Wusstet Ihr, dass es in einem Gedicht von Crabbe (den Jane Austen sehr mochte) eine Figur namens "Fanny Price" gibt? Ironischerweise werden im Buch Crabbes "Tales" als eines der Bücher erwähnt, die Fanny in ihrem Zimmer hat. Da hat Jane Austen sicher ihren Spaß gehabt...

... Allgemein untermauert dieses Kapitel bisher am stärksten das Anliegen der Autorin, zu zeigen, wie ambitioniert Jane Austen als Schriftstellerin war. Es ist soviel unterschwelliges, gesellschaftspolitisches eingewoben in "Mansfield Park", dass man es kaum mehr als "Zufall" abtun kann.


... ja, wussten wir... Den Verweis auf Crabbes "Tales" Haben wir im MP-Thread(?) schon erwähnt...

Bei den Namensvergleichen wäre ich immer etwas vorsichtig. Wie wir im Groupread feststellten, gibt es auch im "Grandison" einen Bertram/Mansfield...

Das mit dem "unterschwellig eingewobenen" ist gut gesagt...

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BeitragVerfasst: Freitag 10. Februar 2006, 16:25 
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Julia hat geschrieben:
Und: Wusstet Ihr, dass es in einem Gedicht von Crabbe (den Jane Austen sehr mochte) eine Figur namens "Fanny Price" gibt? Ironischerweise werden im Buch Crabbes "Tales" als eines der Bücher erwähnt, die Fanny in ihrem Zimmer hat. Da hat Jane Austen sicher ihren Spaß gehabt...


Hey - ich wußte das noch nicht, aber jetzt hab ich auch meinen Spaß dran!! :D

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BeitragVerfasst: Sonntag 12. Februar 2006, 20:57 
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So, ich bin durch - und Ihr habts auch bald geschafft. :wink:

Kapitel 7 - An Imaginist like herself
Es dreht sich um meinen Favoriten "Emma" und ich war sehr neugierig, was Emily Auerbach hierzu aufzutischen hat.
Gleich zu Anfang ging mir ein ganzer Lampenladen auf, als sie mehrere Zitate zusammenträgt, die in Emma das Abbild von Jane Austen als Schriftstellerin sehen: "a novelist's novel" ... "clearly an avatar of Austen the artist" ...
Auf dieser Sichtweise basiert das Kapitel: Emma schiebt (im Geiste und manchmal auch tatsächlich) die Figuren in ihrer Umgebung herum wie Schachfiguren, erfindet Vergangenheiten, geheime Gedanken, Pläne und Liebesromanzen für sie. Emma wird immerwieder explizit in Situationen beschrieben, in denen sie Handlungsfortführungen erfindet und sich ausmalt und einige Leute in imaginären Situationen imitiert (Miss Bates) - wie ein Schriftstellerin eben. Mit dem Manko, dass es sich um "echte" Personen handelt.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum "Emma" der einzige Roman ist, in dem die Heldin nie ihren Heimatort verlässt. Es verstärkt nocheinmal den Kontrast zwischen tatsächlichem (eingeschränktem) Umfeld und (überbordender) Phantasie - bzw. zeigt, wie das eine zum anderen führt/geführt hat.
Die Autorin lenkt den Blick auch auf linguistische Aspekte in diesem Buch. Wie unterschiedlich die Personen Sprache gebrauchen, ob sie gut erzählen und kommunizieren können (Mr Knightley, Emma), oder nicht (Harriet, Miss Bates).
Like Harriet we do not know the answers to the charades and puzzles until Emma tells us the answers, and we do not know the true relationship between Frank and Jane until Austen lets Emma and the rest of us in on the secret. What better way to demonstrate the powers of the artist?

Kapitel 8 - The Advantage of Maturity of Mind
Die zentrale Aussage in diesem Kapitel über "Persuasion" ist, dass "wahre" Liebe in den Augen von Jane Austen reifen, wachsen und sich bewähren muss. Emily Auerbach sieht es als eine Art Fortführung von "Pride and Prejudice" - bzw. dem Argument, was sie dort gebracht hat.
Sehr viel Augenmerk wird auf Mrs. Croft gelegt und - juche! - Mary Wollestonecraft kommt mal wieder ins Spiel. Sie stellt zwei Zitate gegenüber. Eins aus "Persuasion" und eins aus den "Vindications":
(Mrs Croft, nachdem Captain Wentworth erklärt, er empfange nicht gerne Frauen an Bord, weil er weiß, wie unkomfortabel für Frauen es dort wäre)
"Oh! Frederick! But I cannot believe it of you. --All idle refinement! --Women may be as comfortable on board, as in the best house in England. I believe I have lived as much on board as most women, and I know nothing superior to the accommodations of a man-of-war. (...) But I hate to hear you talking so like a fine gentleman, and as if women were all fine ladies, instead of rational creatures. We none of us expect to be in smooth water all our days."
aus den "Vindications": Women are systematically degraded by receiving the trivial attentions which men think it manly to pay to the sex, when in fact, they are insultingly supporting their own superiority.

Nun ja, ein feministischer Roman ist es auch in Frau Auerbach's Augen nicht. Ich finde ihre Sammlung an Zitaten aus dem Roman sehr einleuchtend, mit denen sie begründet, der Kern der Handlung läge in der Darstellung verschiedener Ehemodelle. Admiral und Mrs Croft sind diesbezüglich der leuchtende Dreh- und Angelpunkt und Anne und Wentworth sind auf dem besten Weg dahin. Weil ihre Liebe und Charakterstärke all die Missverständnisse und Proben schon bestanden hat, an denen andere Ehen dann scheitern. Weil beide Männer einen soliden, selbstsicheren Sinn ihrer Rolle als Mann haben, funktioniert die für die damalige Zeit sehr moderne Beziehung mit einer "starken" Frau.
Ohne das jemand unter irgendeinem Pantoffel steht.

Noch ein kleine Parallele zu P&P ist vielleicht die Ehe zwischen Sir und Lady Elliot. Es scheint diesselbe Konstellation/Anziehung gewesen zu sein, wie bei Mr und Mrs Bennet. Nur mit vertauschten Rollen.

Sie streicht auch heraus, wie groß der Unterscheid zwischen Heldin und Erzähler ist in diesem Roman. Anne ist eigentlich eine sehr ruhige, schüchterne Heldin - die Erzählstimme aber beißend ironisch und entlarvend. In allen anderen Romanen gehen beide Stimmen mehr oder weniger miteinander einher.

Interessant fand ich auch, die Idee, das Thema Reisen stünde in diesem Roman quasi metaphorisch für Veränderung, also geistige Veränderung, Reife und Weiterentwicklung: Those who cannot travel - that is, those who cannot adapt to the ways of others or even find out what those ways might be - are hopelessly trapped.


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BeitragVerfasst: Donnerstag 16. Februar 2006, 20:13 
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So, ich bin durch - und Ihr habts auch bald geschafft.


Blöde Frage, aber war Kap. 8 das letzte?
Wenn ja, danke nochmal, jetzt hab ich ein Buch gelesen, ohne es gelesen zu haben :wink: Sehr praktisch!

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