Elanor hat geschrieben:
Aber was du gegen Mr. Knightley hast, kann ich nicht so ganz nachvollziehen.
Ja, er kommt manchmal etwas schulmeisterlich daher und dooferweise hat er ja auch recht, eigentlich wohl immer (oder gibt es was wo er nicht recht hat?)
Ich habe nichts gegen die Romanfigur Mr. Knightley, dass er ein Langweiler ist, war ein wenig provokativ gemeint - wobei ich tatsächlich denke, dass er von Austen sehr seriös und gesetzt geschildert wird, offenbar hält er ja noch nicht mal was vom Tanzen, es sei denn, er muss jemanden aus der Not erretten (oder wenn Emma ihn fragt).
Wenn man Mr. Knightley charakterisieren müsste, würde man vielleicht folgendes auflisten: Er ist sehr freundlich, aufmerksam, kommunikativ (ohne zu schwätzen), gemütlich, familiär, ein guter Verpächter (dem am Wohl seiner Pächter liegt), ein Kümmerer (in seiner Eigenschaft als Vorsteher der Gemeinde), hilfreich, rücksichtsvoll, einfühlsam (jedenfalls gegenüber Emma und Mr. Woodhouse), er trägt seine Gefühle nicht zur Schau (ist insofern auch reserviert), besitzt ein überragendes Urteilsvermögen mit feinstem Sinn dafür, was richtig und falsch ist, erweist Respekt, wem Respekt gebührt (unabhängig von Einkommen oder sozialem Status) und hat den Drang, Emma zu erziehen. Er verkörpert den guten, alten englischen Landbesitzer und Patriarch, der sogar gegenüber seiner Liebsten in bestem Englisch daherredet. Über den von Austen konstruierten Kontrast zum frankophilen Frank, den es mit Macht ins Ausland zieht (während Mr. Knightley am liebsten nur am Kamin in Donwell hocken würde, während Emma ihm vorsingt), haben wir ja schon geredet. Letztlich ist Mr. Knightley vielleicht ein Vorbild für alle Männer - an ihm sollten sich alle männlichen Leser messen. Insofern hat er sogar auch noch eine pädagogische Außenwirkung, er erzieht nicht nur Emma, sondern auch die Leser.... Ich hatte, glaube ich, schon auf Emily Auerbach hingewiesen, die meint, Austen habe in einer Zeit, als ohne Ende moralisierende Erbauungsromane für Frauen geschrieben wurden, ihren Spaß daran gehabt, mal den Männern zu zeigen, was sich gehört. Um es auf den Punkt zu bringen: "There is one thing, Emma, which a man can always do, if he chooses, and that is his duty." (Kap 18)
Mr. Knightley ist vermutlich der perfekteste Held in der Austen-Welt. Oberst Brandon kommt ihm nahe, der ist aber so unvernünftig, sich wegen einer Frau schießen zu wollen, was Minuspunkte bringt. Tatsächlich liegt Mr. Knightley niemals falsch. Er ist der "moralische Kompass", wie Julia das nannte, dessen Zeiger selbst dann in die richtige Richtung weist, wenn er durch Eifersucht und Misstrauen (wie bei Frank Churchill) beeinträchtigt ist. Allerdings schafft er es deshalb lange nicht, Franks gute Seiten zu akzeptieren. Aber das ist auch sein einziger Makel, den man ihm wegen der Liebe zu Emma nur zu gerne verzeiht.
Austen hat einmal in einem Brief geschrieben (das hatte ich schon mal erwähnt), dass perfekte Helden sie langweilen würden. Wenn mich etwas "stört" an Mr. Knightley, dann vielleicht genau dieser Punkt. Wobei noch hinzu kommt, wie gesagt, dass ich seine ständige pädagogisierende Art Emma gegenüber etwas übertrieben finde. Ok, sie hat es nötig, keine Frage, aber Mr. Knightley kommt mir in diesem Roman manchmal vor wie der wandelnde Pädagogen-Zeigefinger. Aber Austen hat die Figur halt so angelegt - ob mich das stört, ist ja irrelevant, sofern die Charakterzeichnung überzeugend ist (ja, wenn er nicht soooo perfekt wäre).
Typisch übrigens wieder, dass Austen große Teile der Handlung durch einen langen Brief erklären lässt. Siehe Mr. Darcy. Ich denke, dass ist hier auch wieder ein guter Kunstgriff, um halt diverse Fragen abzuklären. Andererseits: Willoughbys großer Erklärauftritt mit Elinor Dashwood in Sense & Sensibility ist eine der besten Szenen des Romans, da könnte man sich fragen, warum Austen nicht so eine Szene zwischen Frank und Emma konstruiert hat. Ein Grund dürfte sein, dass Willoughby ein echter Schurke ist, wodurch der Auftritt gleich viel dramatischer ist.