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BeitragVerfasst: Dienstag 3. August 2010, 12:37 
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Austenfrischling

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Sigmund Freud


Zuletzt geändert von Tinou am Montag 25. Oktober 2010, 16:25, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Dienstag 3. August 2010, 12:37 


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BeitragVerfasst: Dienstag 3. August 2010, 13:11 
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Austenexperte
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Hallo und willkommen hier bei uns ;D

"Yes and no" sind kurzgefasst die zwei Antworten auf die Titelfrage deiner Arbeit :wink:
hast du diesen Thread hier schon gelesen, da steht schon mal viel Interessantes drin.
Ich mag die Figur der Charlotte sehr. und stupid wäre nicht unbedingt ein Eigenschaftswort, das ich als für sie gültig erachten würde. Sie mag vielleicht in den Augen einer Miss Bingley so sein :fies_sei: aber meines Erachtens ist Charlotte, die ja nicht romantisch ist, wie sie sagt, vernünftig, klug und auch ein Stück selbstlos. Schließlich will sie ihren Eltern nicht ewig auf der Tasche liegen, die hatten ja eine ganze Menge Kinder zu versorgen und da ist eine 27jährige endlich verheiratete Tochter schon eine mindestens kleine Sorge weniger. Collins ist ja keine schlechte Partie und wie sie ihr Eheleben tagsüber gestaltet zeugt wirklich von Cleverness.

P.S. ich sehe keine Gliederung :?:

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sadly enough, this is more than true in our times


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BeitragVerfasst: Dienstag 3. August 2010, 13:38 
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D'Arcy-Expertin mit Adelsaffinität
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@Tinou
Also um ehrlich zu sagen, mir grummelt's ja schon bei dem Titel. :/

Wie kommst du grundsätzlich und überhaupt auf die Idee, Charlotte Collins (Lucas heisst sie ja dann gar nicht mehr!) wäre eine dumme Ehefrau. Wo finden sich dazu Bezüge in Pride and Prejudice? :gruebel:

Was verstehst du also unter einer dummen Ehefrau zu Jane Austen's Lebzeiten? Ich würde darunter eine Lydia Wickham verstehen, eine Fanny Bennet, eine Maria Rushworth, aber beileibe keine Charlotte Collins.

Oder meinst du vielleicht "woman" nicht "wife"? Aber auch da findet sich kein Hinweis darauf in dem Roman. Man mag Charlottes Entscheidung für Collins missbilligen, aber dumm ist sie nicht. Im Gegenteil. Sie hat zum Beispiel ihren Gatten ganz gut im Griff, auch wenn er selbst das nicht weiß/merkt. :wink:

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BeitragVerfasst: Dienstag 3. August 2010, 17:05 
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Begeistertes Missionierungsopfer
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Tinou hat ihren Beitrag ja mit Frage - und Ausrufezeichen gepostet. :wink:
Insofern gefällt mir der Titel , eigentlich passt die Ironie, die ich darin sehe, doch zu Jane Austen. :fies_sei:

Romantisch ist Charlotte ganz gewiss nicht , sondern sehr pragmatisch.
Da sie ja bereits - in der damaligen Zeit - ganz gewiss eine spinster war, handelt sie klug.
Sie ist nicht mehr von ihren Eltern abhängig, und wie sie ihr Privatleben organisiert, wie sie Mr Collins von sich fernhält ( der Arme muss ja soo viel Gartenarbeit leisten.... :wink: ) - das ist doch sehr clever! :ja:

Eine dumme Ehefrau ist sie ganz sicher nicht.

Ich denke, dass JA ganz einfach ein Beispiel für das Leben als Frau aufgezeigt hat. Auch wenn sie selber einen anderen Weg gewählt hat .

P.S. Die Gliederung lässt sich nicht öffnen. :(

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BeitragVerfasst: Dienstag 3. August 2010, 21:38 
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Austenfrischling

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Zuletzt geändert von Tinou am Montag 25. Oktober 2010, 16:26, insgesamt 1-mal geändert.

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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 07:25 
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Austenfrischling
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Tinou hat geschrieben:
Da sie natürlich auf der einen Seite sehr schlau gehandelt hat, aber auf der andren Seite auch ihre Leben sehr eingeschränkt hat, dadurch, dass sie einen Mann geheiratet hat, den sie eigentlich nicht liebt und wohl ihr Leben lang nicht wirklcih glücklich werden kann, trotz der wirtschaftlichen und sozialen Absicherung...


Naja "nicht lieben" ist glaube ich zu nett ausgedrückt. Mr. Collins wird als totale Nervensäge dargestellt und ich glaube nicht, dass sie ihn weniger nervig findet als die anderen. Man muss jemanden schließlich nicht lieben, um mit ihm gut auszukommen. Sie liebt ihn nicht nur nicht, er hat auch einen nervtötenden Charakter und mit diesem kann man wahrscheinlich nur auf eine Weise gut auskommen: Aus dem Weg gehen. So wie sie es eben tut :)

Also dumm ist sie ganz gewiss nicht. Sie heiratet eine Nervensäge, um sozial abgesichert zu sein und schafft es dann ihm ganze Tage nicht begegnen. Sie weiß eben wie sie mit ihrem Schicksal umgehen kann.

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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 07:44 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Die Frage könnte auch umgekehrt lauten: "Stupid spinster and clever wife?!"

Ich weiß nicht, ob ich ich Charlotte als sooo herausragend schlau in ihrer Entscheidung sehe. Die Idee der rein wirtschaftlich motivierten Ehe ist ja nun wirklich nicht ihr Verdienst - sondern schon lange etabliert, als sie sich für Collins entscheidet. Und dass der auf der Suche war, roch man ja schon 100 Meter gegen den Wind. :wink: Dass sie vorteilhaft heiraten "muss" war ihr auch schon lange klar - letztendlich hat sie also nur noch zwei und zwei zusammengezählt und gehandelt.
"Clever" finde ich da eher, wie sie es (zumindest zu Anfang, über den weiteren Verlauf erfahren wir ja nichts - nur das sie schwanger wird) schafft, sich die Ehe einigermaßen angenehm einzurichten.

Interessant in diesem Zusammenhang (der Seminararbeit) fände ich auch Elizabeths verständlich negative Meinung zu Charlottes Entscheidung. Sie, die ja auch nicht gerade als Männermagnet beschrieben wird, könnte ja eigentlich theoretisch ein ganz ähnliches Schicksal ereilen. Auch sie wird nicht als ausnehmend hübsch beschrieben und die spitze Zunge war zur damaligen Zeit wahrscheinlich noch mehr "Abtörner" als heutzutage.
Sie ist sechs Jahre jünger als Charlotte und hat so gesehen noch "Zeit". Aber ihre soziale Position ist noch ungewisser als Charlottes - wer weiß wie sich ihre Einstellung entwickelt hätte, wäre Mr Darcy nicht des Wegs gekommen?
Ich denke, die beiden sind ganz absichtlich als eine Art Gegensatzpaar entworfen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht viele Ähnlichkeiten aufweisen, aber die doch (thematisch) mehr verbindet, als man zuerst denkt.


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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 08:12 
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D'Arcy-Expertin mit Adelsaffinität
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Nun ja, Charlotte ist klar, dass sie nicht die große Wahl hat, weder besonders gefragt, noch vermögend ist. Man sollte bei der Betrachtung eines Mr. Collins nur nicht vergessen, dass eine Frau erst unter der Vormundschaft des Vaters stand, der sie dann in die Vormundschaft des Gatten übergab. Charlotte hätte es viel schlimmer treffen können, auch wenn ihr euch das vielleicht nicht vorstellen könnt. Sie hätte auf einen Spieler, Säufer und Schläger treffen können, auf einen Familientyrann et.pp. Eine Ehefrau durfte z.B. ohne Einwilligung ihres Gatten nicht einmal ihre eigene Familie besuchen.

Ich muß sagen, Charlotte hat clever gewählt, weil sie einen Mann nahm, den sie in gewissem Sinne leiten kann, ohne dass der das wirklich merkt.

Im übrigen stelle ich immer wieder fest, dass unsere Ansprüche an Liebe, Glück usw. in der Betrachtung der Geschichte zum Vergleich genommen werden, was ich falsch finde. Betrachtet stattdessen das Leben anderer Ehefrauen in der Literatur in der Geschichte. Was stellte man sich damals unter "Glück" vor? Wie gesagt, eine Ehefrau konnte schon von Glück reden, wenn ihr Gatte sie einigermassen in Ruhe liess und sie nicht in irgendeiner Form drangsalierte und ihr das Leben schwer machte, indem er z.B. die Zukunft der Familie gefährdete.

Ich kann euch auch das perfekte Gegenteil von einer überlegten, klugen Wahl schildern, ja mal wieder meine Lieblings-Darcy, die ich mag, obwohl sie in der Beziehung "dumm" war und sich von Liebe und Leidenschaft hat leiten lassen.

Amelia Darcy lernte Lord Osborne kennen (war er da schon Marquis?), der sich sofort in sie verliebte. Er war damals auch erst 23, hatte aber Angst sie an einen anderen zu verlieren. Also wurde schnellstmöglich geheiratet, zumal bereits zu erwarten stand, dass er Herzog von Leeds würde.
In den nächsten Jahren bekam Amelia 3 Kinder, zwei Söhne und eine Tochter und lernte den berüchtigten "Mad Jack" kennen, vom Charakter her wie Wickham oder Willoughby. Sie begann eine Affäre mit dem späteren Vater von Lord Byron und ging (wie eine Maria Rushworth) mit ihm auf und davon. Knapp einen Monat nachdem sie geschieden wurde, heiratete sie, bis über beide Ohren verliebt, Mad Jack, der nur ihr Geld wollte. In Frankreich wo sie nun lebten, wurde sie mehrfach schwanger und verlor die Babys. Nur Augusta überlebte die Mutter, die kurz nach ihrer Geburt verstarb, worauf das Kind nicht bei dem Vater aufwuchs, sondern vorerst bei der Großmutter mütterlicherseits, Lady Darcy.

So, nun frage ich euch, war es etwa klug, einer dummen Leidenschaft und Liebe wegen Mann und Kinder zu verlassen, um kurze Zeit später den Tod zu finden, nachdem der Gatte das Geld verprasst hat?

Ich finde Charlottes Wahl und Art mit ihrem Leben umzugehen weitaus klüger, wenn auch nicht so romatisch.

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Zuletzt geändert von Caro am Mittwoch 4. August 2010, 08:37, insgesamt 1-mal geändert.

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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 08:37 
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Ich mag Charlotte. Trotzdem würde ich ihr Verhalten nicht als clever, sondern bestenfalls als pragmatisch bezeichnen. Vielleicht sollte man sich auch mal ansehen, wie sonst so bei JA geheiratet wird - auch wenn das über P&P hinausgehen würde. Wir haben ja schon hier und da festgestellt, dass JA vermeintlich "romantische" Beziehungen gerne scheitern lässt - siehe Lydia in P&P oder auch Mr. und Mrs. Bennet selbst, oder Marianne in S&S. Ihr Ideal scheint die "vernünftige Liebe" zu sein. Denn auch reine Vernunftehen laufen meist nicht gut in den Romanen von JA. Und bei Charlotte finde ich es schon bemerkenswert, dass sie ausgerechnet Mr. Collins, den Volltrottel des Romans, heiraten muss - ich habe das immer ein wenig als Strafe der Autorin für unangemessenes Heiraten empfunden. Es gibt ja auch die oft zitierte Briefstelle, wo JA sagt, dass eine Ehe ohne Liebe das Schlimmste wäre, was sie sich vorstellen kann. Und ist es nicht so, dass gerade die Tatsache, dass JAs Figuren darauf bestehen, aus Liebe heiraten zu dürfen, ein Zeichen für Emanzipation oder Sozialkritik sein könnte - eben weil es den Konventionen und ökonomischen Erfordernissen widersprach?
Wir haben es im Groupread übrigens ja gerade auch mit einem Gegenbeispiel zu tun: Anne Elliot weist Charles Musgrove ab - obwohl er ein netter Kerl mit gutem Einkommen ist. Und obwohl sie praktisch keine Hoffnung mehr auf ihren Captain haben konnte. Nicht sehr clever, könnte man sagen. Aber im Nachhinein genau richtig. :wink:


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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 10:18 
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D'Arcy-Expertin mit Adelsaffinität
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Nur sind für eine reelle Betrachtung eben Realitäten sprechend nicht Romane. Romane haben meist ein gutes Ende, so will ich das auch, der Alltag vieler Menschen ist meist trostlos genug.
Natürlich kann und darf Jane Austen ihren "Lieblingen" einen guten Ausgang verschaffen, aber wie realistisch war das um 1800 herum?
Wie realistisch war es, dass der Vater bei der Wahl des Gatten zu seiner Tochter hielt und nicht zu seiner Frau? Wie realistisch war es im Grunde genommen, dass ein Darcy mit solchen Wurzeln und diesem Status eine Lizzie Bennet heiratet?

Die gesellschaftlichen Grenzen waren nun einmal sehr eng gesteckt. Es entwickelte sich z.B. das Wort "Parvenü" für einen Emporkömmling ohne Stil und Substanz, in einer Zeit der Umbrüche, als Geld langsam eine größere Rolle spielte als Herkunft und Titel.

Ich kenne sogar einige Beispiele neuerer Zeit, da heisst es, die Tochter des reichsten Bauern kann doch nicht xy heiraten, oder der Sohn eines Fabrikanten heiratet am besten die Tochter des größen Konkurrenten. Man sagt auch heute noch "Geld geht zu Geld". Sind es nicht Titel und Familie, die als Auswahlkriterien herhalten, ist es der Geldbeutel, Ruhm und Ehre. Und Jane Austen selbst präferierte Ruhm und Ehre, bzw. Armee und Marine.

Dass Jane Austen, den Mann den sie vermutlich liebte nicht bekam, und dann entschied lieber gar nicht zu heiraten, obwohl sie sich kurfristig verlobt hatte, hatte dennoch auch negative Auswirkungen auf ihr Leben. Egal welche Entscheidung wir fällen, sie hat immer zwei Seiten. Jane Austen hat sich entschieden zwar nicht vom Wohlwollen eines Gatten, aber von dem der übrigen Familie abhängig zu sein. Für mich nun auch kein erstrebenswertes Los. Charlotte Lucas kommt aus einem Stall voller Kinder, wo nie genügend Platz und Ruhe für den Einzelnen vorhanden ist. Das erste was sie tut, als sie sich mit Collins verlobt: Sie freut sich darüber endlich selbstständig ihren Haushalt leiten zu dürfen.

Okay, das wäre mir selbst auch zu wenig, aber darf ich eine Charlotte Lucas-Collins dafür verurteilen und geringschätzen? Sie hat ihre Prioritäten und ich hab meine. Auch Jane Austen hatte ihre Prioritäten, aber sie verstand und akzeptierte auch die Prioritäten anderer Frauen, sofern sie logisch und vernünftig waren.

Ihr konzentriert euch bei der Betrachtung der Verbindung auch immer nur auf Collins als Witzfigur und Parodie. Ihr müsst jedoch seine Möglichkeiten, seinen Status und seinen ganzen Charakter, nicht nur Teilbereiche seiner Person zur Betrachtung heranziehen. Sozusagen die Positiv- und Negativ-Liste. Collins ist ein Trottel und eine Nervensäge, klar, aber er ist kein Säufer, Schläger, Betrüger etc.pp. Er ist kein schlechter Charakter, nur weil Jane Austen ihn als Kirchenmann zutiefst parodiert hat. Seine Gattin fuhr nicht automatisch schlecht in ihrer Ehe, weil er ein Volltrottel war.

Hätte Mary ihn nicht auch mit Kusshand genommen, nur dass Jane Austen ihn ihr nicht zugestand? Und ich höre euch schon sagen, sie hätte dann kein glückliches Leben führen können. Warum?
Was bringt mir ein großes Glück im Leben, wie die Hochzeit eines geliebten Mannes, wenn er selbst es ist, der das Glück dann zerstört?

Sind es nicht eher die unzähligen kleinen Glücksmomente des Alltags, die Glück vollkommen machen? Und die kann und wird auch eine Mrs. Collins ungeachtet ihrer eigenen Person gehabt haben.

Interessant zum Vergleich und zur Diskussion der Begriffe Liebe, Ehe und Glück vielleicht auch folgende Arbeit Familie und Frau bei Kleist und vor allem die Suche nach dem Glück

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Zuletzt geändert von Caro am Mittwoch 4. August 2010, 12:24, insgesamt 1-mal geändert.

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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 12:06 
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Austenexperte

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Also ich kann Charlotte sehr gut verstehen, wer möchte nicht gerne "Nachbarin" von Lady Catherine de Bourgh sein. Da heiratet man sogar einen Mann wie Collins.
Man sollte bei der Wahl von Charlotte nicht ihren Vater vergessen. Er ist in seinem Benehmen vielleicht angenehmer als Collins, aber anstrengend und peinlich (so sieht es zumindest Elizabeth) ist auch er. Und dann scheint es ja in Meryton und Umgebung einen ziemlichen Frauenüberschuß zu geben (Elizabeth muß ja bekanntlich ohne Tanzpartner auskommen...). Und Offiziere scheinen Charlotte nicht so zu interessieren, zumindest wird es nicht erwähnt.


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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 12:57 
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D'Arcy-Expertin mit Adelsaffinität
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meli hat geschrieben:
Man sollte bei der Wahl von Charlotte nicht ihren Vater vergessen. Er ist in seinem Benehmen vielleicht angenehmer als Collins, aber anstrengend und peinlich (so sieht es zumindest Elizabeth) ist auch er. Und dann scheint es ja in Meryton und Umgebung einen ziemlichen Frauenüberschuß zu geben (Elizabeth muß ja bekanntlich ohne Tanzpartner auskommen...). Und Offiziere scheinen Charlotte nicht so zu interessieren, zumindest wird es nicht erwähnt.

Danke dafür, meli! Daran hab ich gar nicht mehr gedacht; aber du hast vollkommen recht, man darf getrost davon ausgehen, dass Charlotte aufgund der familären Situation gelernt hat mit Typen wie einem Collins umzugehen und gut auszukommen. Wobei wir nur den Vater etwas näher kennen, nicht die vielen Brüder und Schwestern.

Und ja, es sieht wirklich so aus, als hätte es in der Umgebung einen wahren Männermangel gegeben und wenig Möglichkeiten die eigenen Töchter überhaupt, geschweige denn vorteilhaft zu verheiraten. Da wundert es einen nach dem Ball auch nicht mehr wirklich, dass Fanny Bennet um jeden Preis möchte, dass Bingley eine ihrer Töchter heiratet, ohne zu wissen, was für ein "Typ" er ist, wobei bei der Wahl eines Gatten sein Charakter auf der Positivliste wohl an letzter Stelle stand.

Und auch Charlottes Panik und damit ihre Bemühungen selbst um eine "Witzfigur" werden überaus verständlich und nachvollziehbar.
Zumal man auch als Gouvernante vor männlichen Übergriffen nicht sicher und vom Wohlwollen der Arbeitgeber abhängig war. Jede Stellung barg diverse Risiken und Unannehmlichkeiten. Konnte eine Stellung tatsächlich eine Alternative zu einer ungeliebten Ehe sein?
Warum erzog man Mädchen dann aber zu Unterwürfigkeit dem Gatten gegenüber, warum war es dann das erklärte Ziel der meisten Frauen den "Erben" zu zeugen, um in der Folge weitgehend seine Ruhe zu haben?

Ein anderer Aspekt dazu: Wer wird wohl auf lange Sicht das bessere und wer das schlechtere Leben haben, eine Lydia Wickham oder eine Charlotte Collins? :fies_sei: :wink:

Und habt ihr wirklich das Gefühl, eine Mrs. Bennet wäre unglücklich in der tiefsten Definition des Wortes, eine Lady Lucas oder eine Lady Middleton? Sie haben es sich alle mit ihren Möglichkeiten in ihrer Ehe und ihrem Alltag so bequem und angenehm gemacht, wie es ging. Die Frage nach dem "Glück" hat sich ihnen, wie den meisten realen Frauen (nicht nur dieser Epoche!) nie gestellt.

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Zuletzt geändert von Caro am Mittwoch 4. August 2010, 13:39, insgesamt 2-mal geändert.

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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 13:37 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Caro hat geschrieben:
Und ja, es sieht wirklich so aus, als hätte es in der Umgebung einen wahren Männermangel gegeben und wenig Möglichkeiten die eigenen Töchter überhaupt, geschweige denn vorteilhaft zu verheiraten.


Das kann man wohl generell für diese Epoche sagen - schon allein aufgrund der Napoleonischen Kriege hatten die verbliebenen Herren tendenziell freie Auswahl.

Was die Alternative einer Anstellung betrifft: Die war mit einem unrettbaren sozialen Abstieg verbunden und kam meistens für die Angehörigen der niederen Gentry gar nicht in Frage. Auch mit einem unattraktiven, ungeliebten Ehemann - als Ehefrau war man schon per se sozial angesehener als jede noch so respektable Gesellschafterin oder Gouvernante.


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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 14:10 
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Julia hat geschrieben:
Was die Alternative einer Anstellung betrifft: Die war mit einem unrettbaren sozialen Abstieg verbunden und kam meistens für die Angehörigen der niederen Gentry gar nicht in Frage. Auch mit einem unattraktiven, ungeliebten Ehemann - als Ehefrau war man schon per se sozial angesehener als jede noch so respektable Gesellschafterin oder Gouvernante.

Stimmt auffallend. :danke:

Kein Wunder also, daß die Suche nach einem passablen Gatten Dreh- und Angelpunkt für Eltern, deren Töchter und alle, die es gut mit ihnen meinten, war.

Bezeichnend finde ich hier, das sogar Charlotte Lucas Lizzie zurät sich Darcy "einzufangen". Soo schlecht standen Lizzies Chancen demnach in den Augen der Freundin gar nicht, was Aussehen und Auftreten anbelangte.

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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 18:41 
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Ich denke, dass Charlotte ziemlich "clever" gehandelt hat. Natürlich wusste sie, dass die Ehe mit Mr. Collins nicht gerade die glücklichste sein wird (er wird schließlich als ein ziemicher Volltrottel dargestellt) doch sie hatte schließlich keine anderen Alternativen.
Daa sie bereits 27, nicht besonders hübsch und kein nennenswertes Vermögen besitzt war das die beste Entscheidung die sie treffen konnte. Sie konnte nicht mehr auf die Liebe hoffen und wenn sie Collins abgelehnt hätte wäre sie wahrscheinlich eine alte Jungfer geworden die ihr Leben lang von ihren Eltern abhängig gewesen wäre. Und das war für sie das schlimmste was sie sich vorstellen konnte (schlimmer als eine Ehe ohne Liebe).
Und Collins ist zwar eine Nervensäge doch eigentlich ganz umgänglich (und sie weiß ja wie mit ihm umzugehen.)
Ich glaube, dass wenn sie sich falschen Hoffnungen hingegeben hätte wäre das viel dümmer gewesen als Collins zu heiraten...

lg hannah


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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 18:51 
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Hannah hat geschrieben:
Da sie bereits 27, nicht besonders hübsch und kein nennenswertes Vermögen besitzt war das die beste Entscheidung die sie treffen konnte. Sie konnte nicht mehr auf die Liebe hoffen und wenn sie Collins abgelehnt hätte wäre sie wahrscheinlich eine alte Jungfer geworden die ihr Leben lang von ihren Eltern abhängig gewesen wäre.

Das könnte sein - aber das klingt für mich nicht wie Cleverness, sondern wie eine Entscheidung aus purer Not. Das meinte ich mit pragmatisch.

Caro hat geschrieben:
Nur sind für eine reelle Betrachtung eben Realitäten sprechend nicht Romane. Romane haben meist ein gutes Ende, so will ich das auch, der Alltag vieler Menschen ist meist trostlos genug.

Das stimmt ganz sicher. Aber reden wir hier nicht über Romane? :wink:


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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 20:07 
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Udo hat geschrieben:
Hannah hat geschrieben:
Da sie bereits 27, nicht besonders hübsch und kein nennenswertes Vermögen besitzt war das die beste Entscheidung die sie treffen konnte. Sie konnte nicht mehr auf die Liebe hoffen und wenn sie Collins abgelehnt hätte wäre sie wahrscheinlich eine alte Jungfer geworden die ihr Leben lang von ihren Eltern abhängig gewesen wäre.

Das könnte sein - aber das klingt für mich nicht wie Cleverness, sondern wie eine Entscheidung aus purer Not. Das meinte ich mit pragmatisch.

Nun ja, sie war clever genug, die sich ihr bietende Gelegenheit beim Schopfe zu fassen. Und ihr war vollkommen klar, was sie sich da als Ehemann anschafft. Ihr wird bewusst gewesen sein, dass sie ihm überlegen ist und ihn damit auch leicht führen kann.
Sie hat sicher vorher genau abgewogen, ob sich der Einsatz lohnt. Ein Mann mit einer sicheren Stellung, dazu protegiert von einer hochstehenden Persönlichkeit und mit Aussicht auf eine Erbschaft, die sie wieder in die Nähe ihrer Familie führt. Nachteil, er ist aufgeblasen und borniert.. aber wenn man ihn sich weit genug vom Hals hält kann man sich das Leben erträglich einrichten.
Und das ist ihr ja dann auch gelungen.

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"I think that we like those kind of entertainment just to have the opportunity to become a child again during 42 minutes."


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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 20:16 
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Na, aus dem Schlafzimmer konnte sie ihn offensichtlich nicht fernhalten :wink:. Aber die "ehelichen Pflichten" wurden wahrscheinlich generell nicht in Frage gestellt - auch nicht bei einer rein wirtschaftlich motivierten "Vernunftehe".


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BeitragVerfasst: Mittwoch 4. August 2010, 20:20 
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Die fünf Minuten gehen auch vorbei... :rolleyes:

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BeitragVerfasst: Donnerstag 5. August 2010, 07:54 
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Kerstin hat geschrieben:
Die fünf Minuten gehen auch vorbei... :rolleyes:
Zumal er als Geistlicher ja gegen reine Fleischeslust war. Hatten sie erst den ersehnten Erben konnte sie Unwohlsein oder Blutungen vorschieben. So genau wird er das dann nicht hinterfragt haben, denke ich ... :D


Udo hat geschrieben:
Caro hat geschrieben:
Nur sind für eine reelle Betrachtung eben Realitäten sprechend nicht Romane. Romane haben meist ein gutes Ende, so will ich das auch, der Alltag vieler Menschen ist meist trostlos genug.

Das stimmt ganz sicher. Aber reden wir hier nicht über Romane? :wink:

Das schon. Aber man neigt zu der Schlußfolgerung Charlottes Eheleben muss unglücklich gewesen sein, ohne Charlottes Ansicht und Erwartung vom "Glück" einzubeziehen und legt ihr dabei den Mantel unserer heutigen Wertungen auf, nicht die Wertung von Jane Austens Geschlechtsgenossinnen. :wink:

Auch wenn Gefühle und Liebe im Laufe des 18. Jahrhunderts bezüglich der Ehe langsam ins Spiel kamen, bedeutete das ja noch lange nicht, dass nun alle aus Liebe heiraten und erst recht nicht, dass alle aus Liebe geschlossenen Ehen per se und automatisch "glücklich" waren. Schon wieder dieses Wort.
Glück findet man nicht in einem anderen Menschen, sondern nur in sich selbst. Die Nähe eines liebenden Menschen mag den Glücksmoment verstärken, doch das allein macht nicht das Glück an sich aus.

Ein glückliches Leben bedeutete für eine Frau im 18. Jahrhundert keine gröberen Sorgen wegen Schulden zu haben, in der Haushaltsführung "frei" zu sein, einen "gnädigen" Gatten und wohlgeratene Kinder zu haben. Den Gatten zu lieben und gern das Bett mit ihm zu teilen, war mehr das Sahnehäubchen auf dem Kuchen, aber nicht jeder mag und braucht Sahne in seinem Leben.

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BeitragVerfasst: Donnerstag 5. August 2010, 14:41 
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Ich denke, das man die Angelegenheit, so sehr man sie auch drehen und wenden mag, nicht als dumm bezeichnen kann, eher als mercenary oder als marriage of convenience wie es zu diesen Zeiten im ton oft üblich war.
Es ist eben recht einfach, der Entscheidung von Charlotte unseren heutigen Stempel der Wertigkeiten aufzudrücken und die Ehe mit Mr. Collins als Zumutung zu empfinden. Die Emanzipation war damals lange nicht so weit, einer Frau wirklich die Wahl zu lassen. Sie hatte nur die Möglichkeit, anzunehmen oder abzulehnen, sei es ein proposal oder die gefährliche Alternative des Missbrauchs im Angestelltenverhältnis als governess/companion oder Armut als durchzufütternde spinster.

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BeitragVerfasst: Donnerstag 5. August 2010, 15:37 
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Arianrhod hat geschrieben:
Ich denke, das man die Angelegenheit, so sehr man sie auch drehen und wenden mag, nicht als dumm bezeichnen kann,

Es ist eben recht einfach, der Entscheidung von Charlotte unseren heutigen Stempel der Wertigkeiten aufzudrücken und die Ehe mit Mr. Collins als Zumutung zu empfinden.


Ich finde es einfach überheblich, von unserer westlich aufgeklärten Auffassung aus, damalige Lebensentscheidungen als dumm darzustellen.
Selbst in unserer Zeit gibt es Länder und Gegenden, in denen es üblich ist, das die Eltern die Ehekandidaten festlegen, da hat nicht nur die weibliche Seite kaum etwas zu sagen, auch junge Männer haben nicht überall Mitspracherecht.
Trotzdem gibt es viele Ehen, die durchaus als glücklich gelten.

Es gibt ja diesen schönen Satz, daß man nicht über jemanden urteilen soll, in dessen Mokassins man nicht ein/zwei Meilen gegangen ist. Ich glaube, selbst mal einen Monat Charlotte Lukas sein (vor der Hochzeit natürlich :fies_sei: ) diese Möglichkeit würden einige hier gern mal wahrnehmen ;D Aber es würde uns sicher auch die Augen öffnen, wie das Leben als junge unverheiratete Dame der Gentry wirklich war. (für uns jedenfalls nicht leicht zu meistern, trotz aller literarischen und BBC-Verfilmungsvorkenntnisse die Etikette betreffend)
Charlotte lebte in den Regel ihrer Zeit und diesen Regel entsprechend hat sie ja auch gehandelt, sehr vernünftig und keineswegs dumm, die Einzige, die man vom Verhalten her als dumm bewerten dürfte in P&P ist Lydia, die wäre geradezu strohdoof, da sie ja nicht mal sieht, wie sie ihrer Familie mit ihrem Verhalten den Boden unter den Füßen wegziehen könnte. Wir würden vieles sicher eher anders machen, aber heutzutage lebend hätte JA sicher auch P&P anders geschrieben; viele Adaptionsversuche filmischer und literarischer Art zeigen da ja zumindest Gedankenspiele darüber.

@ Tinou: ist die Gliederung eigentlich von dir selbst? Da könntest du ja z.B. auch mehr auf den Gegensatz zwischen damals und heute eingehen.

Elanor

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BeitragVerfasst: Donnerstag 5. August 2010, 18:01 
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Stimmt, Elanor. Wenn man jemanden in P&P als dumm bezeichnen müsste, dürfte das Lydia sein. Ich möchte die Entscheidung von Charlotte keineswegs direkt in Frage stellen, eher finde ich dafür ein gewisses Maß an Anerkennung. Wer weiß, wie ich an ihrer Stelle gehandelt hätte, wenn ich weder so hübsch und engelsgleich wie Jane noch so intelligent und aufmüpfig wie Lizzie gewesen wäre und weder Bingley noch Darcy oder ein anderer Gentleman einen zweiten Blick für mich riskiert hätten.

Ich empfinde Charlotte als erwachsene/abgeklärte Frau, die ihren Gatten smart zu ihren Gunsten zu manipulieren versteht und dafür auch ein gutes Ansehen als Pfarrersfrau mit sicherem Einkommen und eigenem Hausstand genießen kann. Dieses Leben dürfte allemal besser sein als das einer Governante, Gesellschafterin oder geduldeter alter Jungfer. Möglicherweise hätte ich an ihrer Stelle auch so gehandelt.

Wenn ich mich richtig entsinnne, geisterte letztes Jahr Gloria von Thurn und Taxis durch die Presse, sie befürworte die arrangierte Ehe und bekam dafür viel Häme. Wie Elanor schon schrieb, in vielen Kulturkreisen gibt es die vermittelte Hochzeit bis heute. Das kann gut gehen, ganz klar, kann aber auch schief laufen.

Betrachtet man sich dazu die heutigen Scheidungsrate der westlichen "Liebeshochzeiten", stehen die auch nicht besser da.

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BeitragVerfasst: Donnerstag 5. August 2010, 22:42 
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Austenfrischling

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Klar, ich bin ebenfalls der Ansicht, dass sie keineswegs dumm handelt, obwohl ich aus HEUTIGER Sicht sagen kann, dass ich es mir schrecklich vorstelle ohne Liebe eine Heirat einzugehen, da es jedoch früher eben mehr als üblich wahr und Lizzie eher die Ausnahme als die Regel war, kann man ihr Verhalten eben nicht verurteilen, deshalb will ich ja in meiner Arbeit auch vermehrt auf die gesellschaftlichen Hintergründe eingehen.
Stimmt die Gegensätze könnte ich noch mehr herausarbeiten, danke für den Tipp und ja die Gliederung ist von mir, wie findet ihr sie so im groben? Weil die bereitet mir noch am meisten Bauchschmerzen... Die Gliederung wenn schlecht ist, wird die ganze Arbeit nichts, darum ist mir sehr wichtig, dass die passt :)

Einen Punkt habe ich noch gefunden, den man zwar nicht als dumm bezeichnen kann, aber als riskant... Charlotte Lucas hat in dem Buch nicht wirklich Freunde - jedenfalls geht das nicht wirklich daraus hervor - lediglich Lizzie ist ihre einzigste Bezugsperson und sie respektieren sich gegenseitig, Charlotte weiß jedoch genau, dass Lizzie die Heirat nicht gutheißen würde, v.a. die diese bereits den Antrag von Mr Collins abgelehnt hatte. Sie war sich also bewusst, dass Lizzie ihr Handeln nicht verstehen würde und riskierte somit die Freundschaft... Man konnte ja an Lizzie's Reaktion erkennen, dass sie sich deutlich von Charlotte entfernt, wobei ebenfalls erwähnt wurde, dass sie keine so enge Verbundheit mehr zu ihr spürte nachdem sie den Antrag angekommen hatte. Jedoch kann man auch sagen, dass Lizzie hier eine eher schlechte Freundin abgibt, da sie genau um die schlechte Situation ihrer Freundin weiß und um deren Probleme, sie sollte sie eigentlich in ihrem Handeln unterstützen, vorallem da sie die Ehe sowieso nicht mehr rückgängig machen kann (ohne noch mehr Schande über die Familie zu bringen)

Na ja, soviel zu diesem Punkt ;)

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BeitragVerfasst: Freitag 6. August 2010, 08:05 
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Also ich glaube, es besteht eine gewisse Gefahr, Roman und Realität zu vermengen. Natürlich können wir so tun, als sei Charlotte eine reale Frau des frühen 19. Jhs. und dann vor dem historischen Hintergrund usw. die Frage erörtern, ob Charlotte richtig oder falsch entschieden hat. Dann müsste man aber auch viel mehr über Charlotte wissen, ihren finanziellen Hintergrund besser kennen, ihre Freunde und Bekannte, vor allem aber ihre Gedanken- und Gefühlswelt, denn von der hängt ja nicht wenig ab, wie sie sich in Lebenslagen einfinden kann. Da sie aber nur eine Nebenfigur ist, wissen wir eigentlich sehr wenig über sie.
Ich würde daher in allererster Linie gucken, wie ihr Verhalten im Roman bewertet wird. Da hat man zwar auch die Schwierigkeit, dass man sich fragen muss, wer bewertet: Elizabeth, die Erzählstimme oder Jane Austen, aber Hinweise könnte das ja trotzdem geben. Denn der historische Hintergrund, den wir uns so mühsam immer wieder vor Augen halten müssen, war Jane Austen natürlich bis in jede Faser präsent. :wink:
Ich hab mal kurz nachgeschlagen:
In Kap 22 sagt Elizabeth zu sich:
"Sie hatte immer geahnt, dass Charlottes Ansichten über die Ehe nicht unbedingt den ihren glichen, aber sie hätte es nie für möglich gehalten, dass sie, wenn es darauf ankam, alle edleren Gefühle dem schieren materiellen Vorteil opfern würde. Charlotte die Frau von Mr. Collins - das war ein erniedrigendes Bild! Und zu dem Schmerz darüber, dass die Freundin sich entwürdigend benahm und in ihrer Achtung sank, gesellte sich noch die bedrückende Gewissheit, dass diese Freundin mit dem Schicksal, das sie gewählt hatte, unmöglich auch nur einigermaßen glücklich werden konnte."
Ok, das ist Lizzie, von der wir wissen, dass sie so ihre Vorurteile hat, die es zu überwinden gilt...
In Kap 28 wird beschrieben, wie Charlotte hier und da errötet, wenn ihr Mann zu viel Unsinn redet, meist hört sie aber "klugerweise" weg. Trotzdem scheint Charlotte ihr Heim sehr zu gefallen, jedenfalls, "wenn man nicht an Mr. Collins dachte". Schließlich muss Lizzie "einsehen, dass sie ihren Mann geschickt dirigierte und gefasst ertrug, und anerkennen, dass sie all das sehr gut machte."
Und in Kap 32 sagt Lizzie zu Mr. Darcy den vielleicht entscheidenden Satz: "Meine Freundin ist eine sehr verständige Frau - obwohl ich nicht sicher bin, ob die Heirat mit Mr. Collins zu ihren klügsten Entscheidungen zählt. Doch sie ist anscheinend ganz glücklich, und im Lichte der Vernunft besehen, ist es sicherlich eine sehr gute Partie für sie."
Lizzie scheint in Wahrheit aber doch relativ sicher zu sein, was sie davon hält, jedenfalls heißt es in Kap 38:
"Arme Charlotte! Wie betrüblich, sie in solcher Gesellschaft zurücklassen zu müssen. Aber Charlotte hatte offenen Auges gewählt, und obwohl es sie sichtlich bekümmerte, dass ihre Gäste abreisen mussten, sah sie nicht aus, als bitte sie um Mitleid. Heim und Haushalt, Gemeinde und Geflügel und alles, was damit zusammenhing, hatten noch nicht ihren Reiz verloren." Da kann man Charlotte nur wünschen, dass das so bleibt....
Ich denke, Jane Austen lässt ihre Romanfigur in relativer Zufriedenheit zurück - und lässt ein endgültiges Urteil, ob Charlotte wirklich glücklich sein kann, offen. Hängt halt immer vom Standpunkt des Betrachters ab. Für Lizzie ist unvorstellbar, dass man mit Mr. Collins glücklich sein kann. Ich denke, Julias Hinweis, Lizzie und Charlotte als Gegensatzpaar zu betrachten, könnte sehr nützlich sein. In der Gliederung der Arbeit würde ich also vielleicht auch zu Lizzies Sicht auf Ehe und Liebe ein Kapitel einschieben und diesen Aspekt ein wenig untersuchen.


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BeitragVerfasst: Freitag 6. August 2010, 08:20 
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@Tinou
Gerade "Career" and "Governess", was ja auch eine Form von "profession" gewesen wäre, gingen nicht. Eine Dame der Gentry arbeitete nicht, das war ein absolutes "no go" und hätte umgehend den gesellschaftlichen Abstieg bedeutet, und auch dem Ansehen der übrigen Familie geschadet. Ebenso, wie ein Gentleman nicht "arbeitete", wobei eine Offizierstätigkeit in Marine und Armee, oder ein Kirchenposten nicht als "Arbeit" zählten.

Nicht dass wir uns missverstehen, bestimmte "Tätigkeiten" bei Hofe bzw. Hoheiten waren ebenfalls aussen vor. Wenn z.B. ein Earl of Holderness als "Aufpasser" für die Erbprinzen fungierte, galt das nicht als "profession".

Autor und Künstler zu sein, suchte man sich ja nicht aus, um davon Leben zu können, und wir wissen ja, dass die meisten großen Künstler nicht von ihrer Kunst leben konnten und auf die Unterstützung der Familie oder anderer Gönner angewiesen waren.

@Udo
Nun, wir wissen genug von Charlotte: dass sie vernünftig und unromantisch ist und vor allem ihren Eltern, die noch einen genzen Stall anderer Kinder haben, nicht auf der Tasche liegen will. Sie erklärt vor allem, wie froh sie ist, endlich einen eigenen Haushalt zu führen. Nebst den Zitaten (danke dafür, Udo) gibt sich doch ein ziemlich rundes Bild.

Lizzie selbst scheint sich bei der Beurteilung nicht ganz sicher zu sein, nachdem sie einmal so und einmal anders urteilt, wobei sie sich dann auch mehr nach ihren Werten und Gefühlswelten richtet, als nach Charlottes.

Ich denke, einer der Gründe der Einladung ist auch, um Lizzie und ihrer Familie zu zeigen, wie gut es ihr geht und sie damit an ihrem "Glück" teilhaben zu lassen.

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BeitragVerfasst: Freitag 6. August 2010, 10:00 
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Caro hat geschrieben:
Ich denke, einer der Gründe der Einladung ist auch, um Lizzie und ihrer Familie zu zeigen, wie gut es ihr geht und sie damit an ihrem "Glück" teilhaben zu lassen.


Ich glaube, das ist eher die Absicht von Mr. Collins - das sagt er ja auch ausdrücklich und viel öfter, als Elizabeth es hören will. Er will Elizabeth ja auch vermitteln, dass es ein Fehler war, ihn abzuweisen. Mir scheint, Charlotte hat einfach das dringende Bedürfnis, mal wieder einen halbwegs normalen Menschen zu sehen - dafür nimmt sie es in Kauf, dass der Besuch auch ihren Gatten erleben muss.... ;D


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BeitragVerfasst: Freitag 6. August 2010, 10:10 
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D'Arcy-Expertin mit Adelsaffinität
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Ja, Collins natürlich, was speziell Lizzie angeht. Doch Charlottes Dad und ihre kleine Schwester sind mit von der Partie, und die beiden finden ja nun auch alles wunderbar, wie es sich Charlotte erhofft hat. :)

In meinen Augen demonstrieren hier beide ihre Ehe, Zufriedenheit und "einfaches Glück". Mehr konnte Charlotte auch in den Augen ihres Vaters nicht erwarten.

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BeitragVerfasst: Freitag 6. August 2010, 11:33 
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Caro hat geschrieben:
Doch Charlottes Dad und ihre kleine Schwester sind mit von der Partie, und die beiden finden ja nun auch alles wunderbar, wie es sich Charlotte erhofft hat.

Hast Du dafür eine Belegstelle aus dem Text? Ich erinnere mich nur, dass Maria ganz aus dem Häuschen ist, weil sie so oft bei Lady Catherine zu Besuch sein durfte: "Wir haben neunmal auf Rosings gespeist und dazu noch zweimal Tee getrunken." Da macht sich JA aber wohl auch eher lustig...


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