So, nun will ich diesen Thread mal wiederbeleben, mit ein paar neuen Gedanken zu "Mansfield Park". Ich liebe diesen Roman in seiner Zwiespältigkeit, er ist so anders als die anderen, uneindeutig, kontrovers und ich denke, dass war von Jane Austen auch genauso beabsichtigt.
Benjamin hat diesen Thread gestartet mit dem Gedanken, dass Über-/Hinterthema des Romas wäre "improvement". Ich will weder widersprechen, noch widerlegen, nur einen zweiten Begriff in die Runde werfen.
Durch ein anderes Buch, was ich gerade gelesen habe, bin ich auf das Stichwort "
substitute" (im Sinne von: Ersatz) gekommen und es passt auch. Sogar erstaunlich gut.
Es geht auch und in großem Maße um verschiedene Arten von "Ersatz" in "Mansfield Park" und um zu zeigen was ich meine, zähle ich mal ein paar Beispiele auf (ich fürchte, es wird seeeehr lang):
Fanny ist die ganze Geschichte über gezwungen, Ersatz zu finden für etwas, was sie nicht haben kann, immerwieder aufs Neue und immer wieder letztendlich scheinbar zufriedener mit dem Ersatz als mit dem eigentlichen Wunsch und Bedürfniss.
Es beginnt mit ihrem Umzug nach Mansfield, durch den sie gezwungen ist in Mansfield einen Ersatz für ihr Zuhause in Portsmouth zu finden (
"learning to transfer in its favour much of her attachment to her former home").
Fünf Jahre später ist ihr dieses Zuhause so vertraut und (trotz aller Nachteile!) so geliebt, dass sie ganz verzweifelt ist beim Gedanken, vielleicht zu Mrs Norris ziehen zu müsssen. Das Gespräch, dass sie mit Edmund diesbezüglich führt, ist bezeichnend, vorallem wenn sie sagt:
"You have often persuaded me into being reconciled to things that I disliked ad first." (= oft habe Edmund sie überzeugt, mit Dingen zufrieden zu sein, die ihr zuerst zuwider waren)
Auf Mansfield herrscht eine Art "emotionales Tauschgeschäft". Fannys Gefühle sind eine Art Währung, die sie benutzt um ihre Verpflichtungen gegenüber den Bertrams zu "bezahlen". Auch das beginnt schon ganz zu Anfang, als Mrs Norris auf der Fahrt nach Mansfield auf sie einredet, wie dankbar, glücklich und wohlerzogen sie sein müsse um ihr großes Glück zu verdienen. Egal, was Fanny eigentlich fühlen möchte, Dankbarkeit, Liebe, Gehorsam und gute Laune werden von ihr erwartet. So ist es ganz natürlich, dass sie ein paar Seiten später sagt
"I love this house and everything in it" - sowenig Anlass es angesichts seiner Einwohner (abgesehen von Edmund) eigentlich dafür gibt.
Die Szene in der die junge Fanny mit Edmund's Hilfe an William schreibt und die den Grundstein für ihre Zuneigung zu ihm legt, weist sogar das entsprechende wirtschaftliche Vokabular auf:
"she regarded her cousin as entitled to such gratitude from her, as no feelings could be strong enough to pay" (entitled=Anspruch haben, berechtigt sein // pay (ist ja klar) = bezahlen)
Es ist sehr oft die Rede von "Dankbarkeit" in ähnlichen Situationen. Mrs Norris gebraucht das Wort ständig in Bezug auf Fanny und auch Sir Thomas, nach Henrys abgewiesenem Antrag: "Undankbarkeit", als wäre eine Annahme eben dieses Antrags Fanny's große Chance, endlich all das zurückzuzahlen, was sie den Bertrams schuldet.
Gefühle als Gegenleistung, als Ersatz und Bezahlung.
Ein weiteres Beispiel für das Thema "Ersatz" ist der East Room, Fannys Refugium, das angefüllt ist mit Erinnerungsstücken. Überhaupt spielt "Erinnerung" hier eine besonders große Rolle. Die Dinge, die sie dort angesammelt hat (Bücher, Bilder, die Skizze von William, die alten Möbel) erinnern sie an vergangene Begebenheiten, sie idealisieren die Vergangenheit:
"everything was a friend, or bore her thoughts to a friend" Die Erinnerung fungiert als Ersatz, zum Großteil als Ersatz für etwas, was nie existiert hat (Liebe!). Die wahren Bewohner von Mansfield flößen ihr Angst ein, tyrannisieren oder vernachlässigen sie. Die Objekte im East Room jedoch, die sie an eben diese Ereignisse erinnern (oder eben nicht!), flößen ihr Wärme und Geborgenheit ein. Sie sind ein Ersatz für etwas, was es gar nicht gibt. Fetische, wenn man so will, die emotionale und symbolische Bedeutung haben.
Besonders deutlich wird das in der Episode mit William's Kreuz und der Kette. Fanny hat einen ausgeprägten Sinn für die Symbolik und Emotionalität von Gegenständen und genau das macht sie so misstrauisch, als Mary ihr freimütig ihre Schmucksammlung zum Auswählen anbietet.
Edmunds Kette und besonders seine begonnene Nachricht an Fanny (
"a treasure beyond all her hopes") sind wieder: ein Ersatz. Das höchste Glücksgefühl überhaupt erlebt sie in dem Moment, als sie feststellt, dass Edmunds Kette in Willam's Kreuz passt und Mary's/Henry's nicht. Symbolik und Emotionalität, wieder.
Die Szene mit dem Messer in Portsmouth ist diesbezüglich besonders interessant: Nur Fanny versteht, was das Geschenk der toten Schwester für Susan bedeutet und kauft Betsey ein eigenes, damit Susan sich dessen sicher sein kann. Jane Austen hat diese Szene sicher nicht umsonst eingebaut - es gibt ja auch sonst so gut wie nie irgendeine Episode in ihren Romanen, die keine Funktion hat.
Zuguterletzt sind es Menschen die als Ersatz für andere Menschen fungieren in den verschiedenen Beziehungen in "Mansfield Park". Es beginnt mit Sir Thomas Abreise nach Antigua und Lady Betrams Feststellung, wie gut Edmund seinen Platz einnimmt (beim Fleischschneiden, die Dienerschaft anweisen, sie selbst vor Anstrengungen aller Art schützen, usw.). Wenn Edmund abreist, findet Mary Crawford in Fanny einen Ersatz für ihn. Und Fanny auf ihre Art in ihr einen für ihn. (
"Fanny went to her every two or three days; it seemed a kind of fascination; she could not be easy without going") Mary spielt Edmund's Lieblingslied für Fanny, Fanny sitzt im Pfarrhaus und stellt sich vor, Edmund habe an derselben Stelle wie sie gesessen, usw. usw.
Schon vorher gibt es die signifikante Szene, wo Mary und Edmund separat die Idee haben, Fanny aufzusuchen, um mit ihr den Dialog zu proben. (
"You must rehearse it with me, that I may fancy you him.")
Maria ersetzt Henry durch Rushworth, Henry ersetzt Fanny durch Maria und Edmund letztendlich ersetzt Mary durch Fanny, (man könnte sogar hinzufügen: Fanny ersetzt William durch Edmund).
Jeder von ihnen wünscht sich etwas anderes, kann es nicht bekommen und lernt mehr oder weniger gut, mit dem zufrieden zu sein, was er oder sie bekommen kann.
Der Roman endet damit, dass Susan nach Mansfield kommt, als Ersatz (hier kommt tatsächlich das Wort "substitute" im Text vor) für Fanny.
Susan, Fanny und William nehmen für Sir Thomas den Platz von Maria, Julia und Tom ein:
"In Susan's usefulness, Fanny's excellence, Wiliam's continued good conduct (...) Sir Thomas saw repeated, and forever repeated reason rejoice in what he da done for them all." Seine eigenen (gescheiterten) Kinder scheinen vergessen.
Wenn ich den Roman aus diesem Blickwinkel aus sehe, finde ich das Ende gar nicht mehr so erstaunlich oder unbefriedigend, wie wir es auf den vergangenen Seiten diskutiert haben.
Jane Austen legt soviel Gewicht auf Henry's reformierten Charakter, Mary's Interesse an Edmund ... dass es unausweichlich ist, dass auch der Schluss der Geschichte genauso ausgehen muss, wie die vielen kleinen Geschichten innerhalb: Es kommt nicht so, wie man es sich wünscht oder erwartet, es ist immer viel eher ein
Trost als eine
Befriedigung des Wunsches. Die Worte "pleasure" und "comfort" kommen sehr häufig in den verschiedensten Zusammenhängen vor, immerwieder - als Gegenüberstellung, Kontrast oder Folge.
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So, ich hoffe, ich habe Euch jetzt nicht totgeredet. (Danke an alle, die bis hierher mitgelesen haben...
) Ich war nur die letzten Tage so fasziniert von diesem Gedanken, dass ich kaum wusste, wo anfangen und wo aufhören. Alles passte so wunderbar zusammen... Ich sehe das Buch in einem ganz neuen Licht und nach dem vielen Geblättere der letzten Tage werde ich es jetzt nochmal ganz lesen, unter genau diesem Blickwinkel. Dann kommt bestimmt noch mehr dazu.
Was meint Ihr dazu??