Oh je, nach dem folgenden Statement werden mich manche sicher steinigen wollen, aber da muss ich wohl durch …
Julia hat geschrieben:
Ich finde gerade, dass es bei Ihr weder den "strahlenden Helden" noch den definitiven "Schurken" gibt ... vorallem im Vergleich zum Plot der zeitgenössischen Romane.
Ich glaube, das Fehlen sowohl allzu strahlender Helden ebenso wie durchgängig übler Schurken, liegt ganz einfach darin begründet, dass JA kein Interesse daran hatte im Leid zu wühlen, das Leid wie ein Krebsgeschwür auszuweiden, wie es andere Autoren taten und heute beliebter ist, als zuvor. Und ich sehe es ähnlich wie sie, es bringt weder dem Autor, noch dem Leser wirkliche Befriedigung und/oder Erleichterung.
Man könnte ihr vorwerfen, was manche Kritiker auch taten und tun, sie bewege sich mit ihren Charakteren in einer Scheinwelt und spiele eine heile Welt vor. Ich sehe das anders. Das Problem ist, weder im "best case", noch im "worst case" liegt Entwicklunspotential, und Perfektion kann man nicht verbessern, einen Teufel nicht verschlechtern; andererseits wird das personifizierte Schlechte sich nicht, oder kaum zum Guten wenden. Vermutlich hat sie deswegen auch die Hocharistokratie und die Arbeiterklasse (von Gouvernanten abgesehen) gemieden, ebenso wie den absoluten Widerling und den allzu perfekten Helden.
Wobei es ja durchaus üblich war, dass verarmte Aristokratinnen sich an Fürstenhöfen als Gesellschafterinnen oder Gouvernanten verdingten, so wie zweite Söhne des Adels zum Rittmeister oder ähnlich avancierten, oder ihrem Lande als Soldaten dienten. Es gab sie also doch, die einerseits von der Gesellschaft hochnäsig gerümpfte, aber doch akzeptierte Tätigkeit für die höheren Stände, die gezwungen waren, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Empfand nicht JA selbst die Position einer Gouvernante besser, als in einer ungeliebten Ehe zu sein?
Wobei ich, man möge es mir verzeihen, da meine Zweifel habe. Ob sie hier das Gouvernantentum nicht romantisiert, wobei sie Jane Fairfax andere Worte finden lässt? Charlotte Lucas z.B. hat sich ja für die ungeliebte Ehe entschieden, und ich kann nicht ernsthaft sehen, JA habe es als "Vorwurf" sehen wollen. Gut, es schwingt Ironie mit, indem Charlotte den lächerlichsten überhaupt abbekommt, aber wie sie diese sagen lässt, mit ihren Voraussetzungen habe sie keine große Wahl. Sie konnte es sich schlichtweg nicht leisten auf einen "Besseren" zu hoffen, der vermutlich nie seines Weges käme. Sie hatte die Hoffnung auf eben den strahlenden Helden aufgegeben.
Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass sie dem Leser eine Art Selbstbildnis vor Augen führen wollte, die Möglichkeit einer Identifikation mit der Qintessenz, dass es immer noch Hoffnung gibt und es sich in jedem Falle lohnt, an sich zu arbeiten. Dass auch niemand, auch kein Held und keine Heldin(!), im vorhinein so perfekt ist, dass er/sie nicht noch Entwicklung und Einsatz nötig hätte.
Abgesehen davon, dass für den Leser die absolute Langeweile ausbräche, wenn schlicht alles "perfekt" wäre. Also muss zumindest das Umfeld Spannung und Probleme bieten, an denen sich die Helden messen können und müssen.
Udo hat geschrieben:
Ich meinte eigentlich nicht speziell Gewalt gegen Frauen, sondern ganz allgemein Gewalt. Ich erinnere mich nur an das Duell, das in S&S aber ja auch nur beiläufig erwähnt wird.
Wickham zerlegt ein Wirtshaus? Daran erinnere ich mich nicht mehr. Aber ja, das wäre die Art von Gewalt, die ich auch meinte.
Vermutlich passt einfach jede Form von Körperlichkeit (geküsst wird ja auch nicht allzu viel in ihren Romanen...) nicht in JAs Romanwelt. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass schon das Händeschütteln zw. Mann und Frau erst um 1800 herum eingeführt wurde. Stimmt das?
Aber um bei den Männern zu bleiben: Ich finde, man erfährt sehr wenig über ihren Background, JA scheint es nicht für nötig zu halten, beispielsweise zu erklären, wie die Leute ihr Geld verdienen. Geld hat man - oder eben nicht. Klar, man erfährt irgendwann, dass Darcy Gutsherr ist, also hat er wohl Pächter (die ihn sehr schätzen). Aber das sind doch so Tatsachen des Lebens, die JA locker übergeht oder voraussetzt. Oder eine andere Frage: Welcher Glaubensgemeinschaft gehört Darcy an? Das ist egal, aber es würde JA nichts kosten, sowas mal in einem Halbsatz zu erwähnen. Oder tut sie das? Dann nehme ich alles zurück und behaupte das Gegenteil.
Mag sein, dass ich besagte Szene, als Mrs. Bennet zugetragen wird, wie schändlich sich Wickham in Meryton und Umgebung verhalten hat, aus einem der Filme habe, aber es gab einen kurzen Absatz darüber, als Mrs. Philipps von Lydias "Abgang" erfährt. So oder so, passt das zu dem Ruf, den die Bürgerwehr hatte, und überhaupt Soldaten, in Friedenszeiten Trunkenbolde und Schläger zu sein. Weshalb ich Caroline's Entsetzen bei der Vorstellung die Bürgerwehr einzuladen, gut nachvollziehen kann …
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Nachtrag: in Kapitel 48 gibt es mehrere Hinweise dazu, dass Wickham ein Spieler, Schläger und Trunkenbold ist... |
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Genau das Udo, meinte ich damit, als ich sagte JA liesse uns die Möglichkeit uns sowohl die Helden, als auch die Schurken bzw. ihr Bild zurechtzubasteln. Natürlich leben ihre Romane auch ohne gewisse Details, aber manche hätten nicht geschadet, oder wie JA selbst sagte, zur Klärung beigetragen.
Mag natürlich daran liegen, dass manche Dinge für Gentlemen und Ladys ohnehin ein "no go" waren, was also die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit bzw. Lebensfinanzierung ohnenhin einschränkte. So wie Handel offiziell verpönt war, wobei natürlich alle Aristokraten und Großbürger, die gewisse Gelder über hatten, oder ihre finanzielle Lage verbessern wollten, zumindest mit den Ost-Indien-Companien spekulierten und Plantagen auf einer der Inseln unterhielten.
Wie sonst sollte man sein Geld machen, ohne eigener Hände Arbeit? Man musste andere für sich arbeiten lassen, wetten oder spekulieren. Jede Geldanlage ist eine Form von Spekulation, bzw. die Banken arbeiten mit dem hinterlegten Geld. Da ist sie wieder, die allseits beliebte Doppelmoral.
Vielleicht auch ein Grund, warum sich JA so ungern darüber ausliess. Man hört nur hier und da eine kleine, spitze Bemerkung, aber möglicherweise konnte sie sich auch nicht ungestraft darüber auslassen. Interessant übrigens, dass sie Edward Ferrars sich beklagen lässt, habe man ihm eine sinnvolle Beschäftigung gegeben, wäre er niemals in die Narretei verfallen sich mit einer Lucy Steele zu verloben. Nun, er hätte sich selbst eine Beschäftigung suchen können …
Aber genau das war ein Problem: Heerscharen junger Aristokraten und überhaupt Gentlemen fanden kaum anderen Zeitvertreib als sich mit Kartenspielen (oft um Geld) und Wetten die Zeit zu vertreiben, sich an willigen oder unwilligen Damen Genüge zu tun; erheblichen Alkoholgenuss nicht zu vergessen. Gut, die hygienischen Verhältnisse waren immer noch erschreckend, Trinkwasser gab es sozusagen nicht, aber es gab dennoch sehr viele Herren und Ladies (!), die den Grund zum Anlass nahmen, des Guten oder vielmehr Schlechten zuviel zu tun. Will sagen, Jane Austen erzählt uns hier beiläufig genügend über ein gesellschaftliches Syndrom, dass sie andererseits nicht noch genauer kennzeichnen konnte, ohne selbst Probleme zu kriegen. Sie hat doch detailliert genug den Fnger in die Wunden gelegt...
Selbst von Georgiana Cavendish, von der manche glauben, sie wäre Patin für die Figur der Georgiana Darcy gestanden, weiss man, dass sie eine exzessive Spielerin war, die Unsummen in den Sand setzte. Es fällt auf, dass in JAs Romanen ständig und überall "gespielt" wird, dass man sich sogar darüber auslässt und mit einigem Unverständnis reagiert, dass Lizzy Bücher dem Spiel vorzieht.