Julia hat geschrieben:
Mach ich...
Was ich Dir hoch anrechnen werde... Ich hab ja eigentlich auch mit Ulli gerechnet, aber der scheint anderweitig beschäftigt zu sein?!
Julia hat geschrieben:
Ich hab "Tom Jones" fürs erste zur Seite gelegt, zum wiederholten Mal. Echt schade, denn ich mag seinen Humor im Prinzip sehr gerne.
Wenn Du noch nicht mal die Hälfte geschafft hast
, dann sind Dir einige der besten Szenen, die je in einem Roman geschrieben wurden, entgangen
... Im Haus der Lady Bellaston z.B. gibt es eine Szene, in der Tom, Sophia und Lady Bellaston aufeinandertreffen, und in der jeder jedem ein Theater vorspielt, dass einer Jane Austen Ehre angetan hätte --- ich fancy, dass Our Lady ohne Zweifel ein solches Kuddelmuddel auch in S&S vorschwebte, als Elinor, Lucy und Edward in London in einer ähnlichen Konstellation im Haus der Mrs. Jennings zusammentrafen...
Julia hat geschrieben:
Die Dinge, die das Lesen schwer machen überwiegen aber leider: Der ausschweifende Stil - das "Gelaber" nenne ich es jetzt mal bewusst provokant. ...
Na ja, das ist ein Vorurteil... Man muss sich aber wirklich viel Zeit lassen, wenn man Fielding liest... und sich auf seinen - scheinbar gemächlichen und immer wieder ausufernden - Erzählfluss einlassen... Ich denke da so drüber: Als ich jung war, hatte ich es immer eilig - mit allem, und bin vor ein paar Jahren damit gescheitert... man sollte langsam leben, bewusst... und dann ist auch Henry Fielding ein guter Kompagnon... Und er labert auch nicht, er hat immer was zu sagen... wenn man ihm gut zuhört... und im Vergleich zum Meister der Abschweifung - Lawrence Sterne
- ist sein Voranschreiten in der Handlung geradezu diszipliniert (und bis ins Detail auch durchdacht)... Bei einem guten Roman sollte "der Weg das Ziel" sein!
Julia hat geschrieben:
Er kommt einfach nicht auf den Punkt. Noch habe ich das Buch ja noch nie zuende gebracht, vielleicht finden die ganzen losen Fäden, die er auf den ersten paar hundert Seiten auslegt ja irgendwann wieder zusammen?! ...
Du wirst Dich wundern, wie viele weitere lose Fäden auf den nächsten 200 Seiten noch dazukommen werden
--- und zum Ende hin wird es geradezu verzweifelnd... da macht er es so verworren, dass man an keine vernünftige Lösung - außer Tom Jones umgehende Exekution am Galgen
- mehr glauben kann... Aber - keine Angst - das ist es, was Henry Fielding so berühmt machte, und was er unzweifelhaft aus dem FF konnte: Einen Plot konstruieren, den er bis ins Detail logisch durchführen und am Ende auch ohne unwahrscheinliche Brüche auflösen konnte... Beim ersten Lesen kann man es jedoch bis auf wenige Seiten vor dem Ende nicht glauben, aber - glaub mir: Es funktioniert!
Julia hat geschrieben:
Ich habe das Gefühl, die Hälfte der Personen und Gespräche haben so gut wie keine Bedeutung für den Handlungsverlauf, sie sind nur schmückendes Beiwerk und ab und zu für eine Pointe gut. ...
Du kennst vielleicht eines der Juvenilia Jane Austens, wo das ausgesetzte Baby im Heuschober gefunden wird? --- Ich denke, das ist eine Reminiszenz an "Tom Jones"... Da denkt man auch erst: das kann doch nicht wahr sein?! So ein Unsinn
...
Und erstaunlicherweise werden in "Tom Jones" im Verlauf der Handlung immer mehr Nebenpersonen eingeführt (und wieder liegengelassen)... einige verschwinden auf immer, einige tauchen später wieder auf... Aber, wenn man es am Ende überdenkt, sind alle wichtig... (Ich denke, die mannigfaltigen Charaktere, die uns in den diversen Gasthäusern auf dem Weg nach London und in London selbst begegnen, sind, wenn sie Handlung auch nicht immer so sehr voranbringen, wie man es sich wünscht - Spannung muss sein
- auch aus sich heraus schon so gelungen und interessant, dass man sie nicht missen möchte)...
Und denn die Handlungsträger - neben Tom und Sophia, dem Squire Western und seiner "politischen" Schwester, der Lady Bellaston und der unermüdlichen "Goldgräberin" Fitzpatrick... der unvergleichliche Lateiner und Freund Partridge, die "treue" und geschäftstüchtige Zofe Honour --- Mrs. Waters / Jenny Jones, der immer wieder mal unerwartet auftauchende und ebenso schnell wieder verschwindende "rasende" Rechtsanwalt Dowling (der am Ende die Schlüsselfigur wird, um den ganzen Plot aufzulösen
)... und last but not least der gute und menschenfreundliche Squire Allworthy... nebst seinem fiesen intriganten Neffen Blifil... was für ein Ensemble...
Julia hat geschrieben:
... Square's und Partridge's Moralgepostel habe ich schon ab dem zweiten Mal immer nur noch überblättert.
...
Da meinst Du jetzt Square und Thwackum? --- Was für ein Pärchen
... Wer Lehrer mag, wird diese beiden Exemplare ins Herz schließen...
Und was ist mit dem ungleichen Geschwisterpaar Western? Der Boar und die Emanze? Ich meine, die erste Emanze, die in einem literarischen Werk verewigt wurde?! ... und ihre fetzigen Dispute über weibliche Gleichberechtigung (oder Überlegenheit) zum männlichen Geschlecht?
Oder Sophia Westerns verzwickte Lage - völlig dem guten Willen ihres jähzornigen Vaters ausgeliefert... und ihre Versuche, sich mit weiblicher Überredungskunst gegen den Willen dieses uneinsichtigen Tyrannen durchzusetzen? ... "Ja, sicher sei sie gehorsam, doch der liebe gute Papa möge doch bedenken...?" --- und wenn gar nichts mehr fruchtet, wird ein Kletterseil aus dem Laken geknüpft und Fersengeld gegeben... Was für eine Frau...
Im London gibt es ien paar sehr schöne Szenen aus der "feinen" Welt... Lady Bellaston und Lord Fellamar... Kontrastiert gegen die biedere Hauswirtin Mrs. Miller und deren Tochter nebst Liebhaber...
Na ja, und alles fein säuberlich zusammengehalten durch den liebenswürdigen und immer hilfsbereiten Tom Jones, der keiner freundlichen Einladung einer jungen Dame widerstehen kann, und sich damit mehr als einmal in des Teufels Küche bringt... Zum Glück für ihn steht ihm seine liebe Sophia Western in Liebenswürdigkeit um nichts nach und verzeiht ihm mehr als einmal - was ihr nicht immer ganz leicht fällt... Nun, er lernt daraus und am überraschenden (und erstaunlichen) Ende kommt alles in rechte Bahnen... und alle Fäden werden fein säuberlich zusammengeknüpft...
Julia hat geschrieben:
... Das strapaziert die Austen-verwöhnte Leser-Seele.
...
Na ja, wenn man Fielding liest, wird man keinen Aufguss von Austen erwarten? Sollte man jedenfalls nicht... Ich denke ja - und bin mir so ziemlich sicher, dass Jane Austen 2 Sachen von Henry Fielding übernommen hat: Seinen menschlichen Humor und seine Kunst der Charakterschilderung mit wenigen Strichen (wobei sie sich - anders als der "Hans Dampf in allen Gassen" Fielding - eher auf wenige Personen beschränkte)...
Julia hat geschrieben:
Aber Bruki, vielleicht hast Du ja was auf Lager, was mir das Buch wieder schmackhaft machen könnte?? Denn im Grunde interessiert es mich doch, wies weitergeht. Also: Welche Kapitel kann ich auslassen?
Diese Frage scheint mir unter Deiner Würde: Du würdest wohl kaum ein Stück von Michelangelos David abhacken - weil es überflüssig ist? Oder?
Bruki