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 Betreff des Beitrags: Briefe/Schreibkultur/Postwesen
BeitragVerfasst: Dienstag 10. September 2013, 10:29 
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Stiller Leser

Registriert: Dienstag 10. September 2013, 07:51
Beiträge: 2
Hallo zusammen!
Ich bin ganz neu hier und habe gestern schon ein paar Stunden hier geschmökert ;-)
Was ich eigentlich gesucht hatte (und so auch auf das Forum gestoßen bin..), waren Infos zu Briefen bzw der Briefkultur zu JAs Zeit - immerhin haben sie ja doch als einziges (Fern-)Kommunikationsmittel in allen Romanen eine große Bedeutung.
Da ich nichts finden konnte, außer, versteckt in einem andren Thema, eine kurze Diskussion über Schreibpulte, habe ich mich mal selbst auf die Suche gemacht und mir überlegt, dass ich das hier nicht vorenthalten möchte. Vielleicht hat auch jemand noch einiges hinzuzufügen, es ist schon sehr mühsam, danach zu recherchieren.

Zuerst zum Schreibgerät: Stahlfedern, die in hölzerne (?) Federhalter gesteckt wurden, kamen anfang des 19. Jhds. in Mode. England war zwar als Mutterland des Stahls "Erfinder" dieser Federn, dennoch scheint JA selbst und auch die Figuren in ihren Büchern einen Federkiel benutzt zu haben. Ein Hinweis darauf findet sich z.B. in P&P Kap. 10, als Ms Bingley Darcy beim Schreiben beobachtet : "I am afraid you do not like your pen. Let me mend it for you, I mend pens remarkably well." Federkiele wurden vor ihrer Benutzung vom Mark befreit und, laut einer Quelle, die ich leider nicht wiederfinde, in heißen Sand getaucht. Ich nehme an, dass das die Federn "verglast" hat, also wesentlich stabiler machte. Dennoch wurden sie bei Bedarf weiter gekürzt, wenn die Schnittkante ausfranste.

Die Tinte scheint häufig die sog. "Eisengallustinte" gewesen zu sein. Diese Tinte zeichnet sich auch heute noch
durch beste Eigenschaften aus (hält quasi ewig, jedenfalls länger als das Papier - ist nicht entfernbar), soll aber wohl gesundheitlich nicht ganz unbedenklich sein. Fest steht, dass heute noch wichtige Staatsverträge damit unterzeichnet werden. In früheren Zeiten war die Herstellung nicht ganz leicht, vor Allem da die Tinte nicht sehr lange haltbar war. Man verwendete Gallusäpfel, deren Bestandteile recht schnell schimmelten. Erst im 19.Jhd fand man wohl eine Möglichkeit zur Konservierung.

Zur Schrift: Nach verschiedenen Quellen war die Englische Schreibschrift (auch Anglaise oder Copperplate) die gelehrte Schrift. Inwieweit die heute auf Kalligraphieseiten angebotenen Alphabete der Realität zu JAs Zeit entsprachen, ist aber fraglich, da die Schrift offensichtlich im Laufe des 19. Jahrhunderts eine starke Entwicklung hin zur Verschnörkelung gemacht hat. Zudem benötigt man zum Schreiben der Anglaise eine sehr sehr feine Feder, die sich bestenfalls auch noch durch eine hohe Elastizität auszeichnet, was eine Gänsefeder wohl kaum hätte erfüllen können. Da aber die Anglaise schon sehr lange vor der Entwicklung der Stahlfedern existierte, kann man vielleicht von einer puristischeren Version der Schrift ausgehen.

Zum Brief selbst: Die Faltung der Briefe nennt man Patentfaltung. Man findet sie heute noch in komplizierteren (!) Stadtplänen ;-). Eine Anleitung gibt´s hier : www.digitale-schule-bayern.de/dsdaten/584/127.pdf
Bis 1849 mussten (!) die Briefe mit Siegelwachs versiegelt werden, da die heutigen Kuverts erst im Laufe des 19. Jhds entwickelt wurden. Dementsprechend war auch die Faltung von Nöten - das Briefpapier war gleichzeitig Umschlag.


Was mir noch etwas schleierhaft ist, ist das Papierformat, das benutzt wurde. Da wohl die patentgefalteten Briefe Vorbild für unsere heutigen 9x17 - Kuverts sind, muss es sich (nach einigen Selbstversuchen) in etwa um ein Format, das sich im A3 Bereich bewegt, gehandelt haben. Da die Briefbögen quer beschrieben wurden und patentgefaltet mehr oder weniger eher einem Heft entsprachen, als einem einzelnen Bogen, wäre das auch eine realistische Größe. Wenn Elisabeth sich in P&P über die Länge der Briefe wundert, handelt es sich mal um zwei dicht beschriebene Blätter (Darcy) oder vier (Ms Darcy nach der Verlobung), was auch ein Hinweis darauf ist, dass es sich nicht um A4 - Blätter handeln kann, die wir heute kennen.
Wikipedia gibt zudem den Hinweis auf einen "zusammengefalteten Foliobogen" im Artikel "Brief". Sucht man dann nach Papierformaten, so findet man dort auch einen Abschnitt für historische europäische Formate. Dort wäre ein "Folio" nicht viel größer als das A4 - Format; das Format "Brief" jedoch soll etwa 27x42cm gemessen haben, was schon realistischer klingt. Historische britisch-amerikanische Formate sprechen zudem bspw. von "Post": ca. 39x49 cm oder "Large Post": ca. 42x54cm. Diese Formate scheinen doch der Realität recht nah zu kommen.
Ein Hinweis darauf, dass es üblich war, sein Papier selbst zu schneiden (alles andere war unhöflich), macht dann auch klar, dass es kein einheitliches Format gab, aber diese Angaben dürften eine Vorstellung von dem Aufbau geben.

Zur Papierqualität konnte ich leider bisher nichts rausfinden, nur, dass ab 1813 (Erfindung der Schnellpresse) mit Briefköpfen bedrucktes Briefpapier in Mode kam.

Was Portokosten angeht, ist natürlich wieder die Frage der Verhältnismäßigkeit (starke Inflation, etc.) zu stellen. In S&S gibt Marianne ihren Brief an Willoughby an die "2 Penny Ortspost". Da dieses festgelegte Porto wohl auf London begrenzt war, waren grundsätzlich die Portokosten von Gewicht und Beförderungsdistanz abhängig und diese Kriterien regional auch sehr unterschiedlich gewichtet. Das Porto wurde bis 1840 vom Empfänger bezahlt. JAs Zeit liegt vor dieser Postreform (Einführung von einheitlichen Briefmarken und Bezahlung durch Absender). Verschiedene Quellen reden von Gebühren von bis zu 7 Penny pro Brief vor der Reform, was durchaus nicht wenig war und häufiges Briefeschreiben dementsprechend auch der besser gestellten Gesellschaft vorbehalten blieb. Zur Umrechnung dieser Kosten nur der Hinweis, dass ein Pfund = 20 Schilling und ein Schilling = 12 Penny war; ich glaube ansonsten ist hier genügend darüber diskutiert worden.

Grundsätzlich war wohl ab Mitte des 19. Jhds das Briefeschreiben eine gerade von Frauen sehr intensiv genutzte Möglichkeit, Zugang zu Wissenschaften und Bildung zu finden. Die zunehmende Alphabetisierung und die Senkung der Portokosten 1840 führten zu einem verstärkten Briefaufkommen.
Die Post war dabei vergleichsweise schnell - man veranschlagte (Daten aus Deutschland) wohl etwa eine Stunde pro Meile. Natürlich sind heute weitere Strecken schneller, aber dafür kürzere Strecken aufgrund der starken Systematisierung der Post heute mitunter auch langsamer.


So - ich hoffe hiermit auf Interesse zu stoßen! Ich finde diese Art des Briefeschreibens unheimlich reizvoll und habe mich jetzt dazu entschieden, mir einige antike Federn (kallipos.de) zuzulegen und mich mal an die Anglaise zu wagen; leider gibt es ja heute nicht mehr allzu viel Anlass zum Briefeschreiben, bzw. ich wüsste garnicht, wem ich noch so einen Brief schreiben könnte ohne ausgelacht zu werden.
;-)


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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Dienstag 10. September 2013, 10:29 


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 Betreff des Beitrags: Re: Briefe/Schreibkultur/Postwesen
BeitragVerfasst: Dienstag 10. September 2013, 20:36 
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Administrator und Captain a.D. of HMS Groupread
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Registriert: Mittwoch 9. April 2008, 15:07
Beiträge: 3093
Wow! Das ist sehr interessant, Ines!
Zu den Portokosten fällt mir noch ein, dass Abgeordnete Briefe wohl umsonst befördern konnten. Wird das in S&S nicht erwähnt? Oder nein, in Mansfield Park wird ein Brief von Fanny (glaube ich) mit Sir Bertrams Post umsonst verschickt.
Bist du in Emma schon auf das Loblied auf die britische Post gestoßen?


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 Betreff des Beitrags: Re: Briefe/Schreibkultur/Postwesen
BeitragVerfasst: Dienstag 10. September 2013, 20:47 
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Austenbegeistert
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Registriert: Donnerstag 15. August 2013, 11:22
Beiträge: 90
Hallo,

vielen Dank für den tollen Beitrag. Für alle, die noch tiefer auf das Zubehör auf einem Schreibtisch eingehen wollen, folgende Links zur wunderbaren Seite von Kathryn Kane von regency-redingote, und zwar
Über Siegelwachs
und über
Über den Brieföffner

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http://www.annamthane.de - ein deutschsprachiger Blog über England, Romantik, Abenteuer und Geschichte

http://www.regency-explorer.net
Reiseführer zu Regency-Zielen – Tipps zum Schreiben eines Regency-Romans – Historisches Insiderwissen - in englischer Sprache


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 Betreff des Beitrags: Re: Briefe/Schreibkultur/Postwesen
BeitragVerfasst: Dienstag 10. September 2013, 21:09 
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Kunstfertige Wortumdreherin und Meisterin im Freistil-Lesen
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Registriert: Mittwoch 19. Oktober 2005, 20:13
Beiträge: 4781
Danke Ines für den interessanten Beitrag! Besonders zum Papierformat habe ich mich auch schon oft gewundert, wieviel da auf "zwei eng beschriebene Seiten" gepasst haben soll. Habe da aber auch bisher auch nur Widersprüchliches bzw. nichts Eindeutiges gefunden. A3 kommt mir aber ziemlich groß vor ... außer vielleicht die Blätter waren dann wie ein Heft gefaltet, also auch wieder jeweils im Format A4?

Was ich auch spannend finde ist die damalige Mode, über das Geschriebene nochmal quer bzw. längs drüber zu schreiben um (teures!!) Papier zu sparen. In der kommentierten Ausgabe von Jane Austens Briefen taucht das öfter auf und in "Emma" wird diese Praxis explizit erwähnt. Ich stells mir wahnsinnig schwierig vor, das zu entziffern - aber es sieht toll aus:

Bild


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 Betreff des Beitrags: Re: Briefe/Schreibkultur/Postwesen
BeitragVerfasst: Samstag 12. Oktober 2013, 16:38 
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Austenbegeistert
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Registriert: Donnerstag 15. August 2013, 11:22
Beiträge: 90
Zu den Stahlfedern kann ich nach einem Besuch im Pen Museum von Birmingham nun ergänzen, dass einer der ersten dieser Stifte in England wohl um 1780 von Samuel Harrison für Josef Priestley (seines Zeichens u.a. Philosoph und Chemiker) gemacht wurde.

Es gab immer wieder verschiedene, handgefertigte Stahlfedern, etwa um 1803 in London zu kaufen bei einem Mr. Wise.

Der Vater des "Steel Pen" ist nach herrschender Meinung John Mitchell. Der erfand die maschinelle Herstellung der Stifte und ging ab 1822 in Birmingham in Produktion.

Außerdem gab es einige Federn aus Gold, gehärtet mit Rhodium. Von Lord Byron weiß man, dass er im Jahr 1810 einen solchen Stift verwendete. Diese Stifte waren natürlich sehr teuer.

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 Betreff des Beitrags: Re: Briefe/Schreibkultur/Postwesen
BeitragVerfasst: Dienstag 22. September 2015, 20:59 
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Stiller Leser

Registriert: Dienstag 22. September 2015, 20:15
Beiträge: 1
Schreibkultur ist mein Stichwort - auch - ich weiss sehr wohl - auch wenn der Beginn des threads schon zwei Jahre datiert - aber die Schreibkultur und die Handschrift nehmen in meinem ehemals aktiven Berufsleben (nun habe ich ja mehr Zeit!) und auch im Privaten sehr viel Raum ein. Als ehemalige Setzerin finde ich immer noch grosse Freude beim Schriften Setzen ( eher für Private Zwecke: Karten und so) - beim Schriften Analysieren und manchmal auch neue Schriften Ausdenken. Ich habe viel mit dem Bleisatz gearbeitet - also die Handschrift hat weniger eine Rolle gespielt - umso mehr interessiere ich mich heute für das handschriftliche Zeichnen und Schreiben. Ich schaue mir viel in dieser Richtung - es gibt ja schöne Museen für Kalligraphie. Besondere Füllfederhalter finden da natürlich auch ihren Weg in die Ausstellungsvitrine. Und umso mehr verstehe ich wie die eigene Handschrift den Charakter etwas abbilden kann ... WOW! Ich möchte gerne noch neben all diesen Anmerkungen eine schöne Online Plattform empfehlen, die wirklich das Thema der Schreibgeräte und der Schreibkultur intensiv und ganz übersichtlich darstellt - http://www.scriptura.cc - fast wie ein kleines Lexikon! Aber eben sehr aktuell!


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 Betreff des Beitrags: Re: Briefe/Schreibkultur/Postwesen
BeitragVerfasst: Mittwoch 23. September 2015, 12:21 
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Administrator und Captain a.D. of HMS Groupread
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Registriert: Mittwoch 9. April 2008, 15:07
Beiträge: 3093
Hallo und willkommen!
Gibt es denn irgendwelche Hinweise auf Jane Austens Charakter, die man der Schrift entnehmen kann?

Man kann sich Austens Handschrift übrigens als Schriftart auf den Computer ziehen, ist mal ganz lustig. Wurde hier irgendwo mal erläurtert, kann ich dir raussuchen, wenn es dich interessiert.

Du warst Setzerin? Das ist ein schöner Beruf - leider weitgehend ausgestorben, fürchte ich, oder?


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