Die Frage nach Dichtung und Wahrheit?
Ich denke, Janes Helden und Schurken haben von beidem etwas.
Natürlich möchte man nicht so weit gehen, zu behaupten die, und zwar alle, Männer in Janes Umfeld wären Wickhams, Willoughbys oder Crawfords gewesen (sorry, ich mag auch ihn nicht, für mich läuft er unter Schürzenjäger …), aber andererseits gestattet mir die Überlegung, wozu es Helden bräuchte, wenn ihre lobenswerten Eigenschaften alltäglich wären?
Es wird damals wie heute nicht leicht gewesen sein, einen "Guten" abzukriegen, weit schwerer und dadurch auch unerreichbarer einen "Helden", zwar mit Kratzern im Lack, also nicht perfekt, aber doch aussergewöhnlich in seiner Art. Er ist wie der Prinz auf dem Pferd, von dem wir angeblich nicht mehr träumen, weil er altmodisch ist und wir ja so emanzipiert (oder efrauzipiert ?
) sind, aber doch lässt sich eine gewisse Sehnsucht nach ihm nicht wirklich verleugnen.
Jane Austen war stark, eine Stärke, die man auch mir nachsagt, und doch träume ich ab und an von der starken männlichen Schulter, an die ich mich anlehnen könnte, die mir Sicherheit und Geborgenheit böte. Dieses Bedürfnis war zu Janes Zeit mit Sicherheit weit stärker ausgeprägt als heute, und doch sind auch wir nicht davor gefeit.
Mag natürlich auch sein, dass in der gängigen Literatur die Schurken in der Überzahl vorhanden waren, so wie wir heute mit negativen Schlagzeilen überflutet werden, positive Nachrichten aber mit der Lupe suchen müssen, oder aber gütige Herrscher, Fürsten, Krieger und überhaupt Gentleman der Oberschicht nicht wirklich gewollt und gesucht waren. Ich habe, wie Caroline Amalie, den Eindruck dass negative Charaktere in der Literautur und auch in den Biographien diverser Persönlichkeiten den Hauptteil ausmachen, aber das mag daran liegen, dass bei einem Mann Güte und Sensibilität als weibliche Eigenschaften und damit als Schwäche ausgelegt wurden.
Ich frage mich oft, ob diverse Biographien wirklich Zeitzeugenberichte, Briefe und Protokolle zum Hintergrund haben, oder auch nur einem gewissen Zeitgeist entsprechen sollen, und damit gefälscht oder angepasst wurden, um ein bestimmtes Bild zu erzeugen, wie es jeder Schriftsteller tut. Auch da darf man sich fragen, was Dichtung und Wahrheit ist. Man kennt einige Berichte, hört und/oder liest von einzelnen Begebenheiten, liest vielleicht Briefe und glaubt also, den Angesprochenen zu kennen? Wissen wir, was in dem Objekt unserer Neugierde vorgegangen ist, was ihn oder sie veranlsste gerade so, oder anders zu handeln?
Es fällt uns leicht, von unserer Warte aus den moralischen Finger zu erheben und über die Taten derjenigen zu richten, die in einem anderen Zeitalter aufwuchsen und anderen Zwängen unterworfen waren. Wir können uns leicht in unserem Gerechtigkeitssinn sonnen, solange uns keiner an den Kragen will, solange wir keinen Krieg sprichwörtlich vor unserer Haustür haben, unser Leben und das unserer Kinder nicht unmittelbar bedroht wird.
Was würde ich tun, wenn man mir nicht nur mein Erbe vorenthalten würde, sondern mir gar nach dem Leben trachtete? Würde ich nicht argwöhnisch alle Gefährten, selbst Familienangehörige betrachten, wenn ich wüsste, dass eben die Familie meines Vaters mich aus dem Weg haben wollte und eigenen Interessen nachging? Wäre ich dann nicht grausam gegen jede Verfehlung, die gegen mich selbst gerichtet wäre? Ich will es nicht hoffen, aber ich kann mich nicht wirklich für mich selbst verbürgen, denn ich war noch nie in einer solchen Situation.
Insofern sehe ich auch Janes Helden eher als Vorbild: Der Mann, der eine Frau heiratet, obwohl er die Verbindung mit ihrer Familie fürchten müsste (es auch tut); der Mann, der eine Frau heiratet, obwohl er nicht sicher sein kann, ob sie tatsächlich noch jungfräulich ist, den die Antwort darauf aber nicht wirklich interessiert, weil er nicht ihre Moral in den Vordergrund stellt, sondern andere Eigenschaften bevorzugt; und nicht zuletzt der Mann, der einer Frau eine zweite Chance gibt, obwohl sie ihn einst abgewiesen hat, und das, wie man meinen könnte, aus niederen Beweggründen und nicht aus eigenem Antrieb.
Alle drei Männer wurden zunächst abgewiesen, wenn auch aus unterschiedlchen Gründen und mehr oder weniger rechtmässig (oder auch gar nicht), und jeder einzelne von Ihnen bewies Geduld, Güte und Treue. Verzeiht mir, wenn ich das, zumindest in unserer heutigen Zeit für unwahrscheinlich halte. Ist es nicht aber das, was man sich wünscht? Also so sehr geliebt zu werden, dass jeder Fehler Verzeihung findet und so sehr geliebt zu werden, dass man unersetzlich ist?