Udo hat geschrieben:
Zitat:
Ich finde Elinor manchmal ganz schön scheinheilig. Das Gespräch zwischen ihr und Lucy ist ja wohl so ziemlich das hinterhältigste das sich Jane Austen je hat einfallen lassen.
Hinterhältig finde ich jetzt etwas hart. Ich finde, hier lässt Elinor etwas von ihrer Bissigkeit aufblitzen, man sieht, dass sie doch nicht nur edel, gut und selbstlos ist.
Na, was denn nun? "Edel, gut und selbstlos" ist langweilig und wenn man in so einer quälenden Situation wie dem Gespräch mit Lucy mal subtil seinem Herzen Luft macht, ist man gleich "bissig, hinterhältig und scheinheilig"?? Ihr seid ganz schön streng ...
Petra hat geschrieben:
(...) ob womöglich ihre Jungfernschaft in Zweifel zu ziehen ist (der Verlust von Haaren wiegt sicher nicht schwer)
Bzgl. "Verlust von Haaren" (Edward/Lucy) - da finde ich die Parallele zu Marianne und Willoughby ganz spannend, dort gab es ja auch einen "Haaraustausch". Sicher kein Zufall. Und harmlos übrigens auch nicht. Alexander Popes
"The Rape of the Lock" war glaube ich auch zu Austens Zeiten noch recht einflussreich (Elinor z.B. erwähnt Pope Marianne gegenüber im Zusammenhang mit ihrem und Willoughbys literarischem Geschmack).
Auch war der Haaraustausch zwischen weniger gut situierten Liebenden, die sich ein Miniaturporträt nicht leisten konnten, eine ganz übliche und sehr wohl verbindliche Methode, Verbundenheit zu demonstrieren. Ganz zu schweigen von der sinnlich-erotischen Bedeutung von (Frauen)Haaren, die spätenstens seit Pope klar war.
Jill Heydt-Stevenson in "Austen's Unbecoming Conjunctions" hat geschrieben:
Strict rules dictated hair exchange: for example, an unmarried womam could receive a hair token from a man if she were engaged to him (...) and a man could plead for or claim what the culture considered to be a symbol of a woman's essence, but a woman could do so only if she had already surrendered her rights by agreeing to marry.
Zusammengefasst: Haaraustausch nur unter Verlobten.
Elinor ist demnach gerechtfertigterweise sofort überzeugt, dass Marianne und Willoughby verlobt sind, als Margaret ihr die Haar-Geschichte erzählt. Da ist Elinors Herz - entgegen des flüchtigen Eindrucks - wieder lauter als ihr Verstand: Sie ist geschockt, dass die Haare in Edwards Ring nicht von ihr sind! Und nachdem sie sich erholt hat, meint sie, dieser Liebesbeweis hätte bei Lucy und Edward sicher nichts zu sagen ...
Interessant auch die zweifache Bedeutung von Schmuck aus Haaren:
Zitat:
Cut hair stays youthful and fresh through time, so it can symbolize the immortality of love or family union. As a result, jewelers employed hair in both sentimental and mourning jewelery (...).
Die Verwendung von Haaren in Schmuck sowohl für Liebhaber als auch zur Erinnerung an Tote ist in diesem Zusammenhang doch zumindest milde makaber: Denn keine der so symbolisierten "ewigen" Verbindungen überdauert die Handlung des Romans.
Weiter steht in demselben Buch, dass die Haare oft in kleinen Fabriken zu Schmuck verarbeitet wurden und es häufig vorkam, dass Haare versehentlich vertauscht wurden bzw. nicht übergroßer Wert darauf gelegt wurde, dass die richtigen Haare im richtigen Schmuckstück landeten.
Das wiederum kann man im Zusammenhang mit Lucy und Edward auch ironisch bzw. als Verweis auf die weitere Handlung sehen: Nicht nur Lucys Haare, auch Lucys Liebe ist austauschbar.
Und noch ein
haar-spaltendes Detail aus einem früheren Kapitel, das aber hier ganz gut passt: Elinor stellt im Zuge des Dialogs mit Margret über Mariannes Locke fest, dass die Miniatur, die Marianne um den Hals trägt ihren Großonkel zeigt (und nicht Willoughby, wie Margaret spekuliert hatte). Eben diesen Onkel, der die Dashwood-Damen mit seinem unfairen Testamant um eine halbwegs anständige Erbschaft gebracht hat. "Cut off", also "abschneiden" kann man im englischen wie im deutschen eine Haarsträhne, im englischen gibts außerdem die in der deutschen Übertragung nicht ganz so geläufige Formulierung "cut off from the inheritance" ("um das Erbe gebracht werden"), die z.B. in den ersten Kapiteln des Romans im Zusammenhang mit der Erbschaftsgeschichte fällt.
Den bezeichnenden Gleichklang von "heir" (Erbe) und "hair" (Haar) und den inhaltlichen Zusammenhang im Roman im Bezug auf die "enterbte" und um ihr Haar gebrachte Marianne, sowie den beinahe enterbten Willoughby (und den tatsächlich enterbten Edward, der aber laut Lucy ihren Ring gern behalten darf) kann man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen...
So, ich hoffe, ich habe jetzt niemanden verschreckt, aber seit ich vor ein paar Jahren
oben erwähntes Buch von Jill Heydt-Stevenson gelesen habe bin ich immer wieder begeistert über die vielen Bezüge und Sinnverweise auf
Schmuck in diesem Roman.