Dieses Buch lese ich gerade und ich finde, es hat einen eigenen Thread verdient, auch wenn das Thema vielleicht in die "Frauenliteratur"-Diskussion passen könnte. Aber die ist schon soweit fortgeschritten, dass ich mich da nicht mehr mit was neuem einklinken mag.
Das
Buch ist 2004 erschienen und obwohl ich schon sehr viel Sekundärliteratur zu Jane Austen gelesen habe und bei diesem erst beim zweiten Kapitel bin, bin ich schon völlig begeistert. Wenn man EIN Buch über ihr Werk lesen will, sollte man dieses lesen.
Sie rückt das Bild von "dear Aunt Jane" gerade, dass sie für manche von uns vielleicht gar nicht mehr gerade rücken muss, aber was ich noch nie in dieser Deutlichkeit gelesen habe.
Es wurde zwar von einer Professorin geschrieben aber ganz und gar unakademisch. Unterhaltsam, witzig und trotzdem sehr sehr gut recherchiert und durchdacht.
Ich hoffe, ich verstoße nicht gegen Copyright-Bestimmungen, wenn ich hier nach und nach Stellen aus dem Buch wiedergebe?!
Kapitel 1
Putting her down and touching her up
Sie zählt unterschiedliche Instanzen auf, die sich nach ihrem Tod darum bemüht haben, ihr Bild weichzuzeichnen und zu verwässern.
Ihr Bruder Henry war der erste in dieser langen Reihe:
Er war der erste der der posthumen Veröffentlichung von Northanger Abbey und Persuasion eine "biographische Notiz" beifügte. Er beschreibt das Leben seiner Schwester als ereignislos ("Short and easy must be the task of the biographer") und beschränkt sich im Wesentlichen darauf, ihr Aussehen zu beschreiben, ihre Pietät, Liebenswürdigkeit, Anmut und Bescheidenheit zu loben. Er ignoriert ihre Jugendwerke, in denen Heldinnen ihre Eltern ermorden, sich hemmungslos betrinken und ihre Rivalinnen vergiften. Ebenso ihren Kommentar zu einem Kritiker von "Pride and Prejudice" - "Kill poor Mrs Slater if you like it". Sein "she never spoke an unkind word to anybody or had anything but sweet thoughts" muss man kaum mit Gegenbeispielen belegen. Die Liste wäre endlos.
Er zitiert in seinem Vorwort lediglich zwei Briefe: Den in dem Jane Austen ihr Werk als Miniaturzeichnung bezeichnet ("a fine brush on ivory") und den in dem die Sterbende ihre Schwester Cassandra preist und Gott bittet ihre Familie zu segnen.
Nicht genug damit, dass Cassandra und Henry viele Briefe und Briefteile zerstört haben, für die ersten Abdrucken der Briefe änderten sie ganze Passagen, und verfälschten so den Inhalt und die Aussage. Ein paar Beispiele:
aus "I was as civil to them as their bad breath would allow me" wurde "I was as civil to them as
circumstances would allow me"
aus "Give my love to little Cassandra, I hope she found my bed comfortable last night and has not filled it with fleas." wurde "Give my love to little Cassandra, I hope she found my bed comfortable last night."
Die Beispiele sind endlos - ganze Passagen werden weggelassen, in denen sie Bücher erwähnt, sich unfreundlich über Nachbarn und Verwandte äußert, oder überhaupt eine klare oder unbequeme Meinung vertritt.
Noch bis in die 1940er Jahren orientieren sich die neueren Auflagen der Briefen an diesen Versionen - obwohl die Manuskripte erhalten sind.
James Edward Austen-Leigh setzt 1870 mit seinem "Memoir" dem ganzen noch die Krone auf. Er bezeichnet sie durchweg als "dear Aunt Jane", bemerkt, dass er sie nie für besonders klug gehalten hat, sondern lobt stattdessen ihr "sweet temper and loving heart", "humble mind", "modest simplicity". Alles schön dem viktorianischen Zeitgeschmack entsprechend. Er ist der erste der das Bild verbreitet, Jane Austen hätte nur zum Vergnügen und als Zeitvertreib geschrieben, mit keinerlei Ehrgeiz oder dem Wunsch nach einer Veröffentlichung.
Er schließt einige Briefe mit ein, von denen er schreibt, sie enthielten keinerlei Referenzen zu Politik, Literatur und aktuellen Ereignissen - nachdem er diese sorgsam herausgestrichen hat natürlich nicht mehr.
(In den neuren Ausgaben der Briefe, sind die Passagen wieder drin)
Für das Titelblatt seines Buches gibt er ein Aquarell in Auftrag, dass nach Cassandra's Skizze von ihr gefertigt werden soll:
Sie bekommt ein Lächeln verpasst, die Schultern werden verschmälert, haufenweise Spitze hinzugefügt, die Augen "sanfter". Von dem Charakter der Skizze ist nicht mehr viel übrig.
Auf einem späteren Porträt bekommt sie sogar noch einen Ehering(!) verpasst:
(ganz zu schweigen vom nochmal radikal verweichlichten Gesicht)
Das alles wäre nicht mehr als "interessant", wenn sich nicht fast alle späteren Biographen so uneingeschränkt an diesem vermittelten Bild orientiert hätten. Noch 1956 heißt es in einem Eintrag der Encyclopedia Britannica über sie " During her placid life, Miss Austen never allowed her literary work to interfere with her domestic duties: sewing much and keeping house."
Emily Auerbach bringt noch viele Beispiele, wie sich an diesem Öffentlichkeitsbild bis heute nicht viel geändert hat, bzw. wie es immernoch gepflegt wird, die ich jetzt nicht alle zitieren kann. (Schon allein die Tatsache, wieviele wirklich gute Bücher/Vorworte/Essays von ihr als "Jane" sprechen. Wer kommt auf die Idee und spricht von Charles Dickens als "Charles"??) Nur soviel - ich habe innerlich fast gekocht angesichts soviel absichtlicher Ignoranz, Verniedlichung und Verharmlosung.
Das Buch ist wirklich ganz toll - und wie ich finde auch nicht schwierig geschrieben (wer sich also mal an was Engischem versuchen will...). Wenn Interesse besteht, schreib ich gern weiter was dazu, im Verlauf des Lesens. Es gibt jeweils ein Kapitel zu jedem Buch... gerade bin ich bei den Jugendwerken.