Kerstin hat geschrieben:
Zitat:
im nächsten Frühjahr auf Pemberley er schon wieder ein netter Gastgeber für die Gardiners und in der Lydia-Wickham-Affäre ein hilfreicher uneigennütziger Freund für die Bennets war
Das ist er aber erst, nachdem ihm Lizzy gesagt hat, was sie von seinem Verhalten hält.
Das soll heißen, er habe in der kurzen Zeit seit dem ersten Antrag und der Besuch der Gardiners mit Elizabeth auf Pemberley ein paar Benimmkurse erfolgreich absolviert und sich um 180 Grad gedreht?
Oder wie sollen wir das verstehen?
Ich bestreite Darcys Standesdünkel vehement, sie wurden ihm von den klatschsüchtigen Merytonern und der von Vorurteilen verblendeten Elizabeth angedichtet... – Wäre es nicht eher möglich, dass er sich auch schon vor der Belehrung durch Elizabeth Bennet geschliffen ausdrücken konnte und im verbindlichen Gespräch seine Interessen durchsetzen konnte?
Denn was will er erreichen mit seiner höflichen und verbindlichen Ansprache der Gardiners auf Pemberley? Halten wir uns die Situation vor Augen: Seine geliebte (und für ihn scheinbar unerreichbare) Elizabeth steht plötzlich und unerwartet in seinem Hause vor ihm, sie will so schnell als möglich weg, er will sie aufhalten und ihr signalisieren, dass er ihr erneut den Hof zu machen beabsichtigt... Was tut er also, als welterfahrener Gentleman? Er verwickelt die Begleiter Elizabeth' in ein Gespräch: er lädt Onkel Gardiner zu Fischen ein und zu einer Besichtigung der Teiche...
(NB: Und habt ihr mal darauf geachtet, wie subtil das Mr. Davies in P&P95 umsetzte? Wie Miss Ehle diesen Part allein mittels ihrer Körpersprache genial darstellte? Mr. Darcy und Mr. Gardiner besichtigen die Landschaft, Mrs. Gardiner und Elizabeth nähern sich von hinten, die gute Tante Gardiner – gelobt sei ihre Sensibility – arrangiert die Paare kurzerhand um, Miss Ehle wendet sich ab, dreht in einer kleinen Geste leicht ihren Körper... Und Mr. Darcy hat, was er erreichen wollte: Die Chance auf eine weitere Werbung um seine geliebte Elizabeth... Und das alles ohne Worte, einfach so mit dem feinen Pinsel hingetuscht... Bravo, Mr. Davies!)
Kerstin hat geschrieben:
Sein Verhalten gegenüber seiner Schwester und seinen Pächtern ist lobenswert, das ist aber auch einfacher, weil die ihn von klein auf kennen bzw. seine Schwester in ihm einen Vaterersatz hat. Da werden kleine "Fehler" gerne schon mal übersehen.
Na ja, ich denke, dass bei solch enger Beziehung, wie man sie naturgemäß zu seinen Dienern und Pächtern hat, die Fehler und Charakterschwächen deutlicher gesehen werden als von sonst wem... Denk mal an „Vanity Fair“ oder an „Gosford Park“ – oder an „Die Geliebte des französischen Leutnants“ – da wird der den Herren beurteilende Kammerdiener geradezu zum Auslöser des gesellschaftlichen Untergangs Charles Smithsons...
Doch in einem kann man zustimmen: Mr. Darcy bewegt sich in der Umgebung ihm bekannter Menschen gelöster und ungefangener als in der Gesellschaft fremder Menschen... Warum er das tut? Nun, die Ursache wird in seiner Zurückhaltung und Schüchternheit liegen und warum er nicht geübt hat, diesen „Mangel“ zu überwinden? Na ja, er wird bisher keinen besonderen Ansporn gehabt haben, da er auch so ganz gut durch die Welt kam... Vielleicht ist es ihm auch erst durch Elizabeth' Verhalten bewusst geworden, sein unbeholfenes Verhalten unter Fremden als einen Mangel anzusehen?
Kerstin hat geschrieben:
Selbst Bingley, der ihn ja hoch schätzt, sagt: "... Ich kenne in gewissen Situationen keinen entsetzlicheren Menschen als Darcy, besonders in seinem eigenen Haus und sonntags abends, wenn er nichts zu tun hat."
Natürlich übertreibt Bingley, aber ich denke, ein Körnchen Wahrheit wird wohl dabei sein, dass Darcy auch durchaus in Gegenwart seiner Freunde unleidig sein kann. Nur, die wissen es... aber was ist, wenn man so Fremden gegenüber auftritt?
Ha, das ist ein sehr schönes Beispiel (unter anderem) dafür, dass Jane Austen etwas davon verstand, wie Männer miteinander umgehen... Kein Wunder, denn sie hatte ja in ihrem Heim das beste Anschauungsmaterial, das man sich nur wünschen konnte...
Die beiden Freunde führen im 10. Kapitel einen intellektuellen Scheinkampf vor den anwesenden Damen auf, wobei sie für Frauenohren furchtbar aufeinander einprügeln, aus männlicher Sicht dagegen sich gegenseitig ihre Sympathie versichern... Und Mr. Bingley hat zugleich noch ein Hühnchen mit seinem Freund zu rupfen:
„ ‚... Das kann ich Ihnen versichern: Wenn Darcy mich nicht so haushoch überragte, würde ich ihm nicht halb soviel Hochachtung entgegenbringen. Doch erkläre ich feierlich, dass ich kein schrecklicheres Ding als Darcy kenne – bei bestimmten Gelegenheiten und in bestimmter Umgebung; besonders in seinem eigenen Hause, und an einem Sonntagabend, wenn er nichts zu tun hat.’
Darcy lächelte; doch Elizabeth hatte den Eindruck, dass er ziemlich gekränkt war, und bezwang daher ihr Lachen. – Miss Bingley war hell empört über die ihm zugefügte Kränkung und machte ihrem Bruder ernste Vorhaltungen wegen des Unsinns, den er da von sich gegeben habe.“ [P&P, Kapitel 10]
„Bingley war hier ein wenig ruppig, aber ein Aspekt der männlichen Gesellschaft, der für sich selbst spricht, wird hier von Bingleys offenherzigem Urteil veranschaulicht: Letztendlich beschwert er sich bei Darcy über Darcy und dadurch korrigiert er wahrscheinlich das Verhalten seines Freundes ein wenig. (Tatsächlich reagiert Bingley hier auf eine ähnliche Korrektur seines Verhaltens durch Darcy früher in diesem Kapitel.)“ (Übersetzung aus dem AD-Text über Mr. Bingleys Charakter)
Kerstin hat geschrieben:
Wenn er an dem ersten Abend in Meryton seine "unleidige" Phase hatte, dann haben ihn die Leute so unwirsch erlebt, wie beschrieben wurde. Und schon ist er abgestempelt.
Genau, er ist abgestempelt und fürderhin wird nicht mehr nach dem Inhalt des Paketes geurteilt, sondern nach dem Etikett...
Kerstin hat geschrieben:
Abgesehen davon ist er gegenüber Sir Lucas später ja auch unfreundlich, der mit ihm einfach nur eine Konversation über das Tanzen machen möchte und den er mit dem "Selbst Wilde können tanzen" ziemlich brüsk abbürstet.
Ja, auch das könnte man als unfreundlich interpretieren, muss man aber nicht... Was war da in Lucas Lodge abgegangen? Mr. Darcy schlich um Elizabeth herum und versuchte ein Gespräch anzubahnen, die „jungen Leute“ mit ihrer Tanzleidenschaft kamen ihm dabei in die Quere: Wo ruhestörend musiziert wird, kann man keine intime Konversation mehr treiben (der Disco-Effekt
)... Nun kommt Sir Lucas und lobt den Tanz als „vornehme Beschäftigung“, wo Mr. Darcy doch viel lieber der viel vornehmeren Tätigkeit des Flirtens und der Eheanbahnung nachgegangen wäre
... Und wie denn: unfreundlich? brüsk abgebürstet?
– Sir Lucas fasst es so nicht auf, er bemüht sich sogar Elizabeth Bennet als Tanzpartnerin für Mr. Darcy aufzutun, was diese wiederum „unfreundlich“ und „brüsk abbürstet“...
Nun ja, einen hatte sie für die freche Bemerkung Mr. Darcys gegenüber seinem ihn nervenden Freund Mr. Bingley auf dem Merytoner Ball über ihr „gerade noch tolerables Aussehen“ frei – im unchristlichen Sinn des alten Testaments gesehen: Auge um Auge, Zahn um Zahn... Den Maximen der Bergpredigt folgend – bzw. denen ihrer Schwerster Jane oder auch nur denen ihrer prosaischen Freundin Charlotte – hätte Elizabeth Bennet sich in dieser Situation jedoch auch etwas freundlicher gegenüber ihrem langsam Feuer fangenden Bewerber (und dem überaus höflichen, aber etwas penetranten Gastgeber Sir Lucas) zeigen können... So muss der arme Darcy sich vorerst mit der Meditieren über einem Paar „of fine eyes“ begnügen...
Kerstin hat geschrieben:
Die Avancen, die Caroline Bingley macht, sind für eine Dame mit guter Erziehung übrigens ziemlich plump und penetrant.
Nun ja, die arme Caroline, sie stammt von Ladenbesitzern ab, da kann man nicht das in Blut und Boden eingegangene vornehme Verhalten erwarten, dass erst eine lange Kette von vornehm-geschliffenen Vorfahren garantiert... Ein paar Monate „Erziehung“ machen eben noch keine „vornehme Dame“...
Kerstin hat geschrieben:
Der Witz ist ja eigentlich, dass Darcy später Jane genau das zum Vorwurf macht, sie wäre zu WENIG penetrant gewesen gegenüber Bingley...
Äh, äh, äh, PENETRANT?????
Also wirklich!
Wo wirft er denn der armen Jane so was vor?
Kam der Vorschlag des „Übertreibens“ um zu „Sichern“ nicht von Charlotte Lucas?
Bruki
PS: Ich hab eben im P&P95 Film festgestellt, dass alle Infos über Mr. Darcys Herkommen und sein Vermögen von Lady Lucas kamen (Mrs. Bennet informiert im Film ihre beiden ältesten Töchter kurz vor der Vorstellung Mr. Bingleys durch Sir Lucas darüber)... Evtl. wurden die Lucasses durch Bingley über die Verhältnisse der Begleiter Mr. Bingleys ins Bild gesetzt, als Mr. Bingley eine Einladung zum Ball für seinen Freund, seine Schwestern und seinen Schwager einholte...