Claudia hat geschrieben:
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Bruki hat geschrieben:
Jetzt gibt es ein kurzes Zwischenspiel: Mrs. Jennings belauscht ein Gespräch zwischen Elinor und Oberst Brandon...
Das erinnerte mich wiedermal an Persuasion, und an das "erste" Ende, an die Stelle wo Capt. Wentworth Anne fragen muss, ob sie und Mr. Elliot in Kellynch Hall einziehen werden, nach ihrer Heirat....
Ich glaube, das hatte hier eine eher humoristische Bedeutung - anders als in Persuasion...
Das (unbeabsichte) Belauschen von Gesprächen kommt ja auch in P&P vor... Sogar in S&S gibt es so eine Episode (als Anne Steele ihre Schwester und Edward heimlich belauscht - und das Gehörte später an Elinor weitererzählt)... Ich glaube, dass Jane Austen einer Meinung mit Elinor ist, wenn sie dergleichen Verhalten aufs schärfste missbilligt (deshalb ging mir auch das Lauschen an den Türen in der neuen P&P-Verfilmung so gegen den Strich. - Das sollte zwar einen Lacher beim heutigen Publikum bringen, aber in einem Jane Austen Roman würden sich höchsten "der Bodensatz der Gesellschaft", "die verabscheuungswürdigsten Kreaturen" an der Tür rumdrücken, um anderer Leute Privatsphäre zu stören...
Ich denke, S&S zeigt auch - z.B. in den Problemen die Elinor und ihre Mutter in Barton haben, als sie Mariannes Verhalten gegenüber Willoughby zu deuten versuchen, ohne Mariannes Integrität zu verletzen - wie wichtig diese unbedingte Diskretion ihnen (und Jane Austen) war - sogar (oder gerade) bei so engen Vertrauten wie den Dashwood-Frauen...
Möglicherweise war "Diskretion" sogar eine Frage "von Leben und Tod": Man hing sich praktisch 24 h pro Tag, 7 Tage pro Woche gegenseitig auf der Pelle, teilte u.U. sogar das Bett (in London schlafen die Dashwood-Schwestern in einem gemeinsamen Zimmer) und die geringe Privatsphäre, die eine Frau in dieser Umgebung hatte, musste unter allen Umständen geschützt werden... zur Not, indem man nicht zur Kenntnis nahm, was sich da vor den Augen im anderen Ende des Zimmers abspielte...
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Weiter im Text:
Ich hab gestern Abend vor dem Schlafengehen noch das 7. Kapitel gelesen (worin es um die Krankheit Mariannes geht) – ich konnte dem Thema einfach nicht widerstehen... Leider hab ich nicht bedacht, dass ich dann auch gleich das 8. Kapitel nachschieben muss, denn wer kann nach diesem Satz das Buch aus der Hand legen:
„Elinor stürmte in den Salon, trat ein – und stand Willoughby gegenüber.“?
Gleich 2 großartige Kapitel hintereinander, Jane Austen auf der Höhe ihrer Kunst... Die besten Kapitel im Buch?
Bevor die Begeisterung mit mir durchgeht, möchte ich noch nachtragen, dass in der letzten Runde jemand in Ohnmacht gefallen ist... Dergleichen ist bei Jane Austen selten genug und sollte deshalb extra gewürdigt werden... Nein, nicht was ihr denkt! Nicht Marianne! (das ist eine coole Jane-Austen-Heldin, die unter keinen Umständen umkippt, nichtmal auf dem verhängnisvollen Ball nach der unheilvollen Begegnung mit dem treulosen Verräter Willoughby)... Nein, es handelt sich um Miss Lucy Steele, die aus den Latschen kippt als die Furie Mrs. John Dashwood nach der Enthüllung des heimlichen Verlöbnisses mit Edward auf sie losgeht... Was muss Jane Austen solche Typen wie diese Lucy verabscheut haben
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Irgendwie hat kann man bei der Erkrankung Mariannes auf den Gedanken verfallen, dass sie sterben wird... – aus roman-taktischen Gründen, hab ich gedacht – denn, nachdem Edward sich mit Lucy vermählen wird, gibt es im Roman eine Heldin zuviel... und Jane Austen legt auch einige Minen aus, die einen zu der Ansicht bringen könnten, dass Oberst Brandon und Elinor füreinander bestimmt wären, wenn Marianne erst "aus dem Weg" ist...
Ich denke, in der romantisch-sentimentalen Literatur der damaligen Zeit war so ein Ausgang nicht selten (in P&P gibt es solche Verweise auf, wenn sich z.B. Mrs. Bennet darüber auslässt, dass Jane an gebrochenem Herzen zu sterben hätte, um Mr. Bingley eins auszuwischen... eine Idee, die sie wahrscheinlich aus den damaligen Groschenromanen entnommen hat)... Und irgendwie richtet man sich schon am Beginn des 7. Kapitels darauf ein, dass es eine herzzerreißende Sterbeszene geben wird...
Jane Austen spannt einen in diesem Kapitel dermaßen auf die Folter: Es ist nichts weiter, ein kleines Unwohlsein, Marianne schläft sich aus und gut ist... sie ist matt und müde, es geht ihr schlechter, sie kann das Bett nicht verlassen... Fieber, Infektionsgefahr, Apotheker, fluchtartiges Verlassen des Hauses... finstere Prophezeiungen Mrs. Jennings, Elinor wie immer optimistisch (aber was weiß Elinor schon)... Marianne es geht besser, Optimismus bei Elinor... nein, doch nicht... Zusammenbruch, Apotheker ratlos, Medikamente schlagen nicht an, Fieber wird stärker... Oberst Brandon rast los, Mariannes Mutter als letzten Trost zu der Sterbenden zu bringen... Schrecklich, schrecklich...
Doch der schlimmste Satz im Roman kommt erst 2 Kapitel später, als Marianne über ihre Erkrankung sagt:
„Wäre ich gestorben, so wäre es Selbstmord gewesen.“ – Schlussendlich erholt sich Marianne und überwindet die Krise... Doch der nächste Knalleffekt ist schon im anrollen: Eine Kutsche fährt vor... Das Kapitel endet mit einem dramatisch gesteigerten Lauf... – Jane Austen konnte Suspense erzeugen, die Spannung hochtreiben und mit einer Explosion entladen:
„Elinor stürmte in den Salon, trat ein – und stand Willoughby gegenüber.“ Ende des Kapitels... Wenn das kein Cliffhänger ist... wer jetzt das Buch weglegen kann, hat kein Herz in der Brust...
... heute morgen hab ich noch bis zum 10 Kapitel weitergelesen, aber euch lass ich jetzt erstmal hängen... selber lesen oder warten bis ich mich herablasse...
Bruki