Amadea hat geschrieben:
"...mir kommt nur das Verdienst zu, sklavisch Sätze abzuschreiben, unter die ich mich schämte, meinen Namen zu setzen. ... Aber was konnte ich tun?"
Ich glaube, hier wurde vermutet, Sophia habe ihm die Worte diktiert. Das sollte mich wundern. Auch wenn sie verlobt waren, waren sie ja nicht ständig zusammen und sie bekam im Normalfall nicht seine Post zu lesen. Selbst als Gast bei Sophias Vormund hätte man ihr wohl kaum seine Post gegeben. Zumindest hätte der Anstand verlangt sie nicht zu lesen.
Das tat man einfach nicht. Selbst Mrs. Jennings behält in solchen Fällen die notwendige Distanz.
Ich bin mir deshalb nicht sicher, ob Willoughby hier richtig lügt bzw. sich eine Ausrede ausdenkt.
Eine weitere Passage, die Willoughbys innere Unlogik und Widersprüchlichkeit zeigt:
"...In the height of her morality, good woman! she offered to forgive the past, if I would marry Eliza. That could not be—and I was formally dismissed from her favour and her house."Er kann Eliza also nicht heiraten, weil er sie nicht liebt(?) und riskiert Streit und Enterbung. Sophia Grey aber kann er natürlich heiraten, ohne sie zu lieben. Wo liegt da der Sinn in seinen Gedanken?
Zudem kann man sich Fragen meint hier die Vergangenheit allein die Affäre Eliza, oder überhaupt seine früheren Vergehen. Eliza wird ja nicht die Erste gewesen sein, an der er so handelte; seine Spiel- und andere Schulden, Extravaganz etc. nicht zu vergessen. Mrs. Smith kann im Ganzen mit ihrem Neffen/Cousin nicht zufrieden gewesen sein!
Dann gibt es noch diese Stelle, ziemlich am Anfang:
"... I have not been always a rascal, to obtain something like forgiveness from Ma—from your sister." Ich frage mich, warum er ihren Namen nicht ausprechen will. Elinor spricht ihm gegenüber offen ihren Namen aus. Glaubt er, diese Intimität stünde ihm nicht zu? Immerhin war er mit ihr allein in Allenham, was könnte intimer sein?
Oder ist es für ihn leichter eine gewisse Distanz zu wahren, weil er ja "hofft" sie nie mehr zu sehen. Will er damit eher sich, oder ihr Schmerzen ersparen?
Udo hat geschrieben:
Aber okay, JA will offenbar, dass Willoughby meint, Marianne innig zu lieben. Und deshalb rührt er Elinors Herz, sie erteilt ihm nicht gerade Absolution, aber sie ist weicher gestimmt. Wirklich verdient hat er das nicht, aber Elinor ist ja auch nur ein Mensch.
Na ja, sie sagt IHM ja, Marianne habe ihm längst verziehen. Wie sollte sie sich in dieser Situation also guten Herzens als oberste Richterin aufspielen? Es liegt an Marianne ihn anzuklagen, zu verurteilen und damit ihm nicht zu verzeihen oder aber zu vergeben, und Elinor hält sich da an die Einstellung ihrer Schwester ihm zu verzeihen.
Möglicherweise spielt hier bei Elinors Verhalten auch die Idee hinein, Willoughby zu "beruhigen" um danach tatsächlich Ruhe vor ihm zu haben? Damit es nicht noch einmal zu einem Überraschungsbesuch kommt bei dem vielleicht Marianne auf ihn treffen würde?
Denn es ist offensichtlich dass W. sich eine Art "Absolution" erhofft, mit sich selbst also nicht im Reinen ist. Wie ein kleiner Junge, der sagt "Ich bin doch nicht böse, oder Mami? Sag mir bitte, dass ich nicht böse bin!" Er sucht offensichtlich nach seinem Seelenfrieden, den ihm aber kein Anderer geben kann. Zumindest lässt ihm sein Gewissen keine Ruhe.
Diese Art sich zu entschuldigen, seine Begründungen und demnach auch sein Selbstbildnis passen ja nun auch perfekt zu seinem Charakter, mit dem wir ihn kennengelernt haben. Das gesamte Gespräch rundet das Bild, das ich mir von ihm gemacht habe, einfach ab.
Interessant wäre hier die Frage, wie er sich verhalten hätte und das Gespräch vonstatten gegangen wäre, wenn Marianne immer noch im Todeskampf läge. Hätte er sie sehen wollen? Hätte er sich von Angesicht zu Angesicht bei ihr entschuldigen wollen?
Was mich immer wieder verwundert und erstaunen lässt, ist die Tatsache, dass Jane Austen wirklich nichts Menschliches fremd war. Sie war nicht nur eine hervorragende Beobachterin, die das Gesehene wunderbar in Worte fasste und erzählen konnte, sondern sie hatte ein tiefes Verständnis für die Psyche ihrer Mitmenschen, für das Zusammenspiel zwischen Charakter und Umfeld, und damit den inneren und äusseren Zwängen, die unser Verhalten und unsere Entscheidungen bestimmen. Erstaunlich finde ich es deswegen, weil man sich zu ihrer Zeit (glaube ich) mit der Entwicklung und Beeinflussung der menschlichen Psyche noch nicht in dem Masse auseinandersetzte, wie wir das heute tun.
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Grüsse, Caro
Avatar: Amelia Darcy (1754-1784)
Für 1 Jahr säe einen Samen, für 10 Jahre pflanze einen Baum, für 100 Jahre erziehe einen Menschen. chin. Weisheit