Julia hat geschrieben:
Wie stellst Du Dir dieses "Kämpfen" denn eigentlich konkret vor? Jetzt im Fall von Colonel Brandon, um mal beim Thread zu bleiben ...
Einfach indem er selbst, als Typ präsenter ist, sich auch mal an Gesprächen beteiligt, nicht nur im Hintergrund den stillen Beobachter und den hilfreichen Geist gibt. Indem er Marianne z.B. seltene Noten beschafft, oder der Familie, wobei jeder weiss, dass Marianne sooo gern spielt; oder die Familie ins theater einlädt, irgendetwas, was Marianne zeigen könnte, dass er besonders ist. (und jeder Mensch ist das, auf seine Art). Ja, "Geist" trifft es ganz gut. Du weißt, ich habe ein Faible für ihn, aber bei genauer Betrachtung ist er für mich, merkwürdigerweise, nicht wirklich greifbar.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie JA es schafft einen Charkter zum Helden zu stylisieren, obwohl wir kaum etwas über ihn erfahren. Seine frühere Liebesgeschichte, okay, wobei wir da auch nur einen kurzen Abriss mitbekommen, aber nicht wirklich was er fühlt und denkt. Wie erleben ihn selbst nicht wirklich, abgesehen von seinen Hilfestellungen; hören nur, was andere über ihn sagen. Er selbst, sein Innerstes bleibt verborgen. Und doch nimmt er uns für sich ein, wir stehen sofort auf seiner Seite. Ich hätte mir, abseits seiner Gefühle zu Marianne, doch auch mehr Präsenz gewünscht. Eine Präsenz, die allerdings auch Mariannes Meinung von ihm hätte ändern können.
Meine Güte, natürlich meine ich damit kein Stalking oder so was, kein Marianne auf die Pelle rücken und auch keinen Kampf im bildlichen Sinn, mit Waffen und Fäusten, aber einen Kampf bzw. vielmehr Wettbewerb der beiden Charaktere. Was sagt W, was sagt B. zu dem Thema. Wie handelt W., wie handelt B. mehr so in der Art. Nicht dieses W. spricht und handelt, und von B. ist sozusagen nichts mehr zu sehen oder zu hören.
*edit*Nachtrag: Interessanterweise tritt Willoughby durchaus in einen Wettbewerb, denn er versucht Brandon in Marainnes Augen, und in denen ihrer Familie herabzusetzen. Aus welchem Grund sollte er das tun, wenn er sich Mariannes nicht vergewissern will oder muss? W. sieht seine Stellung also durchaus nicht als sooo sicher an!Zudem wusste er genug von Willoughby, dass er gewisse Warnungen hätte aussprechen können und sein Bild in der Gesellschaft hätte "geraderücken" können.
Es hätte nicht wirklich eine Änderung der Geschichte bedeuten müssen, denn Marianne hätte ohnehin nichts Schlechtes von ihrem Liebsten glauben mögen.
Es stimmt schon, dieser Wandel zu Brandon kommt dann zu schnell, davon erfahren wir gar nichts. Er ist natürlich verständlich, denn Brandon verkörpert einen der Helden, aber dennoch ist dieser Wandel nicht greifbar. Was brachte Marianne zum Umdenken, abgesehen von der Familie? Vor allem ist mir im Rückblick die totale Ablehnung Brandons und dann diese Liebe zu spannend, um sie mit ein paar Sätzen abzuhandeln. Wie gesagt, es geht mir hier nicht um die Liebesgeschichte an sich, sondern um die innere Wandung, die für mich hier etwas sphärisch wirkt, weil Brandon im Grunde eine Art "Geist" bleibt.
Ich bin wie gesagt erstaunt, wie Jane Austen es schafft, dass man sich ein komplettes Bild von einem Charakter macht, obwohl so vieles im Dunkeln bleibt. Wenn Brandon als Typ sich tatsächlich so sehr zurückhält und zurücknimmt, könnte das mit ein Grund für Marianne sein ihn abzulehnen. Hagestolz trifft es dann ganz gut, nämlich als "hager und stolz".
Udo hat geschrieben:
Na ja, auf dem Schlachtfeld ist es sicher nicht allzu klug, nicht zu kämpfen - aus Versehen könnte man da glatt ums Leben kommen. Besser man verirrt sich dahin gar nicht erst... Aber diese Parallelen zwischen Krieg und Liebe helfen glaube ich auch nicht weiter. Dass Brandon Soldat ist, sagt jedenfalls nichts darüber aus, wie er sich gegenüber Frauen verhält oder verhalten sollte. Im Krieg ein großer Held, kann man doch bei Frauen trotzdem ein Mäuschen sein, oder?
Oh, deine Erwähnung seiner "Strategie" brachte mich darauf. Kriegsstrategien und Liebesstrategien. Und der Spruch "Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt".
Strategien ähneln sich. Ein ängstlicher, supervorsichtiger Typ, der seine Gefühle nicht preisgibt und stets im Hintergrund bleibt, wird sich wohl kaum als Soldat seine Sporen verdienen und wird in jedem Fall der erste sein, der auf dem Schlachtfeld liegen bleibt.
Andererseits sehe ich es ähnlich wie Kerstin, manchmal ist es gerade im Kampf bzw. Krieg die bessere Strategie den Status Quo beizubehalten und damit den Feind zu zermürben und ihn im Ungewissen zu lassen, ihn im übrigen auch zu schwächen. Allerdings ist diese Strategie in Liebesdingen denkbar ungeeignet. Wenn mich jemand zu lange zappeln lässt, gehe ich still meiner Wege und sehe nicht zurück, ebenso wie ich meine Gefühle natürlich für mich behalte, wenn ich in Gefahr stehe, mir einen Korb einzuhandeln. Nichts destotrotz würde ich keinen Versuch unterlassen, mich von meiner besten Seite zu zeigen, den Angebeteten und eine mögliche Rivalin mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, nach dem Motto "Dann halt nicht. Du weißt ja nicht, was gut ist".
Udo hat geschrieben:
Die "Guten" sind Gentlemen, wissen stets, was der Anstand verlangt, haben ihre Gefühle (zu) sehr unter Kontrolle. Es geht doch darum, dass sich die Leute kriegen, obwohl ziemlich viel schief läuft, eben weil sie sich nicht offen erklären und indem sie lernen, sich entwickeln. Hast Du das nicht selbst kürzlich Selbsterkenntnis genannt, Caro?
Klar birgt das das Risiko, dass man aus Furcht nichts sagt und so nie zu seiner großen Liebe findet. Gut, dass JA die Feder schwingt....
Das heisst also, unsere Helden tun stets das Richtige und sind also "perfekt"? Wenn sie das wären, müssten sie also nicht an sich arbeiten, sondern nur die Heldin?
Ich finde einen gewissen Stolz auch wichtig, sich nicht im negativen anzubiedern, einer Frau direkt hinterherzulaufen, aber auch ein gesundes Selbstbewusstsein, dass sich einen auch Körbe einhandeln lässt und das nötige "laissez faire" sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Die richtige Mischung macht's. Für mich schlägt der Zeiger halt zu sehr nach der einen Seite, aber wie gesagt, das ist Geschmackssache.
Kerstin hat geschrieben:
Und ein intelligenter Soldat, der gerne am Leben bleiben will, der wirft sich nicht hemmungslos auf seinen Feind, sondern wägt vorher ab. Wenn der Kampf sinnlos erscheint, muß man dann kopflos auf den Gegner losrennen?
In Brandons Fall, wenn Marianne ihm zu verstehen gibt, dass sie kein Interesse hat und sich dann noch an einen anderen wendet, soll er da anfangen, herum zu balzen?
Welche Chancen hat er gegen den charmanten Willoughby? Keine.. Und da ist er zu klug, um sich lächerlich zu machen.
Wentworth war ein junger Mann, der große Träume hegte und dann hat ihn seine große Liebe enttäuscht, weil sie "vernünftig" sein wollte.
WO steht denn, dass er nicht gekämpft hat? Aber sie hat ihn abgewiesen, aus guten Gründen, zumindest aus ihrer Sicht.
Und sein Stolz hat es ihm verboten, sich dann weiter um sie zu bemühen. Ich kann das durchaus nachvollziehen.
Das heisst also, Willoughby war sooo toll, dass alle geblendet waren? Brandon hatte nie eine Chance? Wie kommt es dann, dass Marianne sich doch in ihn verliebt, wenn er fernab jeder Diskussion steht? Wenn man jemanden nicht leiden kann, verliebt man sich doch nicht.?
Vor allem Marianne nicht. (bei Lizzy sehe ich ihr "Ich würde Sie niiieee heiraten" auch sehr differnziert …). Das heisst, Er hätte sie eben doch von sich überzeugen könne. Ich möchte ja auch die Story, so wie sie ist, nicht verändern. Wie zuvor gesagt, ich finde ihn nur, dass er sofort zur seite tritt und klein beigibt, als Willoughby auftritt. Im Film sagt Sir Middleton etwas ähnliches wie "Nun müssen wir zurückstehen", als Willoughby zum Krankenbesuch kommt. Willoughby stellt alle in den Schatten, okay? Aber müssen sich die anderen Gentlemen das Gefallen lassen, müssen Sie auch noch willig zur Seite treten, nach dem Motto "Hier kommt der König"? Sind es nicht die anderen, die ihm den Glanz verleihen, und nicht er selber, der wie ein Stern strahlt? Kann das "Böse" so sehr strahlen, dass man ihm willig klein beigibt?
Ich will es nicht hoffen, denn welche Chance hätte das Gute dann?