Udo hat geschrieben:
Ich hab mir diesen Dialog übers Tanzen und Heiraten mal näher angesehen, dabei ist mir die eine oder andere Frage eingefallen.
Henry legt los:
"Wir sind einen Vertrag eingegangen, dass wir den ganzen Abend nett zueinander sein wollen, und zwar ausschließlich zueinander."
Wieso eigentlich "den ganzen Abend"? Sie tanzen doch nur ein oder zwei Tänze miteinander. Oder ist das nur eine Floskel?
Ja nachdem, um welche Art Ball es sich handelt war es tatsächlich so, dass man den ganzen Abend aneinander "gebunden" war. D.h. die Tanzpartnerin gehörte zur Gesellschaft des Tanzpartners, z.B. wenn man sich zum Tee niederlässt (das wird an anderer Stelle bzgl. Miss Tilney auch als Erklärung dafür gebraucht, warum sie verschwunden ist). Ich kenn mich mit den Details nicht so gut aus, hab das nur mal irgendwo aufgeschnappt.
Hier handelt es sich um einen "cotillion ball" wie früher im Kapitel gesagt wird. Offensichtlich handelt es sich dabei um eine verbindlichere Variante eines Balls. Bei den öffentlichen Bällen in den "Lower/Upper Rooms" scheint es formloser zuzugehen - wobei da in den Lower Rooms von einem "Zeremonienmeister" die Rede ist, der Catherine und Henry einander vorstellt. In den Upper Rooms scheint es das nicht zu geben, denn da sitzt Catherine ja den ganzen Abend nur rum ...
Zitat:
"Niemand kann die Aufmerksamkeit des einen beanspruchen, ohne die Rechte des anderen zu beeinträchtigen."
Was heißt denn das? Ist das eine schlechte Übersetzung? Wer ist mit "des einen" und "des anderen" gemeint? Ich gehe davon aus, dass er die Tanzpartner meint - aber da ist es doch tatsächlich so, dass beide Seiten die Aufmerksamkeit des anderen beanspruchen dürfen. Wieso werden dadurch Rechte beeinträchtigt? Stehe ich auf dem Schlauch? Klar wäre mir der Satz, wenn er so gemeint wäre: Niemand darf die Aufmerksamkeit einer dritten Person beanspruchen, ohne die Rechte des Tanzpartners zu beeinträchtigen. Das macht Sinn, siehe Thorpes Einmischung in den Tanz.
So ist es auch gemeint. Im Original heißt es:
Nobody can fasten themselves on the notice of one, without injuring the rights of the other. Im Kontext ist klar: John Thorpe kann nicht Catherines Aufmerksamkeit beanspruchen, ohne Henrys "Rechte" zu verletzten. Das beanstandet er ja in dem Dialog.
Zitat:
Das Geplänkel geht munter weiter, macht Spaß zu lesen, aber ich bin mir nicht ganz sicher, was daran ernst gemeint ist in Bezug auf Ehe und Tanz. Ist das die Ansicht von JA? Oder provoziert sie den Leser durch Tilney?
Ich bin mir auch nicht sicher. Für mich klingt das alles sehr spielerisch, wie eine verbale Gymnastikübung, mit der Henry Catherine aus der Reserve locken will(?) ... oder an der er einfach selbst Spaß hat. Er scheint sich ja recht gern selbst reden zu hören, jedenfalls habe ich später noch mehrmals diesen Eindruck.
In jedem Spaß ist ein gewisser Anteil Ernst enthalten und der Vergleich ist ja soweit nicht hergeholt: Tanzen hat definitiv kulturgeschichtlich gesehen schon immer eine sexuelle Komponente gehabt - vielleicht sogar als Hauptsache, wie manche sicher behaupten würden.
Dass hier in diesem Gespräch nicht von Liebe die Rede ist, wundert mich bei JA nicht (da finde ich es später schon eher unpassend, wenn sich Catherine und Henry ziemlich offen über James und Isabellas Beziehung unterhalten). Es passt nicht zu JA und es passt definitiv nicht in die Zeit in der der Roman spielt, und schon gar nicht nach England. Besonders da wurde das bürgerliche Ideal der "vernünftigen Liebe" besonders hochgehalten. Was mit denen passiert, die sich "Leidenschaften" hingeben bzw. diese zu ihrer Handlungsgrundlage machen sieht man ja sehr anschaulich nicht nur in JAs anderen Romanen.
@Elanor: Ich höre auch das Hörbuch von Juliet Stevenson (jeden Abend zum Einschlafen derzeit), weil ich mit dem Lesen nicht hinterherkomme. Dafür hab ich jetzt schon nen riesigen Vorsprung, aber macht ja nichts ...