Julia hat geschrieben:
@Udo: Ich denke, man muss sich ein wenig von der Vorstellung von "Udolpho" als "Vorlage" lösen. Es war ein sehr populärer Schauerroman und sicher finden sich da viele karikierte Motive wieder - so wie wohl in zahllosen anderen dieser Gattung ebenfalls. "Udolpho" war quasi der Höhepunkt dieser Konvention - aber eben kein herausgehobener Einzelfall. Die perfekte, naive und hochgradig tugendhafte Heldin à la "verfolgte Unschuld" ist ein gut abgehangenes Motiv schon zu JAs Zeiten - auch z.B. durchgekaut bei Richardson, Burney, etc. die aber keine "Schauerromane" sondern "sentimentale (Brief)Romane" schrieben.
Da stimme ich dir zu, JA nimmt ja auch in NA selbst auf andere Bücher Bezug - ich hatte das erste Kapitel von Udolpho nur erwähnt, weil Emily St. Aubert sicherlich ein klassisches Beispiel für die Konventionen dieser Schauerromane ist, von denen ich zugegebenermaßen nicht viele gelesen habe, wodurch sich dann Udolpho, der vielleicht bekannteste anbot.
Ich finde es faszinierend, wie man als Leser - oder ich zumindest - Catherine, auf deren Fehler und Schwächen ausführlich eingegangen wird, gleich viel sympathischer findet als Emily - oder ähnliche Figuren - deren Perfektion ja eigentlich auch hervorgehoben wird, damit sie dem Leser gefällt.
Miranda hat geschrieben:
Ich sollte Udolpho wirklich mal selbst lesen, aber wenn Du uns den Inhalt so in interessant wiedergibst, komm ich wohl drumrum?
Nein, echt, ich hatte mir den Roman bestellt, er liegt auf meinem SUB, aber dass wird dauern.
Sorry, ich wollte deiner Lektüre nicht vorweggreifen! Im Ernst, das Buch ist schon interessant, wenn man sich für die Literaturgeschichte interessiert und - z.B. durch NA - auch einen Bezug dazu hat, aber es ist schon arg lang. Man kann durchaus nachvollziehen, warum es damals so populär war, aber es ist für heutige Sensibilitäten nicht mehr sehr "schaurig" und einige Stellen sind für das heutige Empfinden einfach nur albern, so daß ich doch mehrmals in der U-Bahn sehr undamenhaft kichern mußte, als ich es las.
Miss Hamilton hat geschrieben:
Und ich finde auch, man hat mehr das Gefühl, dass ein Erzähler direkt zum Leser spricht, als in den anderen Romanen. Ich kann nicht so ganz fest machen, woran das liegt... unter anderem wohl an der vergleichsweise präsenteren Ironie, da ich die beim Lesen einfach einer Person in den Mund legen "muss", aber vielleicht auch weil Beschreibungen wie gerade im ersten Satz ("No one who had ever seen Catherine Morland in her infancy would have supposed her born to be an heroine.") recht "allwissend" und wertend klingen?
Vielleicht geht es nur mir so - ich habe an solchen Stellen immer das Gefühl, daß das alles noch sehr 'erster Entwurf' ist, und wenn JA das Buch später noch einmal überarbeitet hätte, hätte sie diese doch sehr zugespitzte Ironie vielleicht etwas heruntergeschraubt. Ich will damit nicht sagen, daß das ganze unfertig oder unpoliert wirkt - aber es ist doch sehr und vor allem eine Parodie für Eingeweihte, die genau wußten, worauf sie anspielte - wie z.B. die Bemerkung über den Vornamen Richard, die vollkommen unverständlich ist, wenn man nicht weiß, worauf sich JA bezieht. Es ist vielleicht auch deshalb nie zu ihren Lebzeiten veröffentlicht worden - der Leser mußte ja nicht nur mit den ganzen gängigen Romanen einigermaßen vertraut sein, um die Parodie zu verstehen, sondern auch mit den Insidern der Austens.
Baseball ist übrigens hier erwähnt - oder vielmehr Cricket, was ja wohl (ich kenn mich da nicht so aus) mit dem ganzen verwandt ist (ich hab leider meine deutsche Übersetzung gerade nicht zur Hand):
Zitat:
She was fond of all boys' plays, and greatly preferred cricket not merely to dolls, but to the more heroic enjoyments of infancy ...