Klein Udo macht Ferien oder Der Tag, an dem ich Frau Maletzke hassen lernte
Natürlich glaube ich nicht, dass außer mir jemandem so etwas passieren könnte, trotzdem halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass es vielleicht jemanden interessieren könnte, was ich im Südengland-Urlaub erlebt habe, deshalb schreib ich mal was dazu…(außerdem hab ich es leider zugesagt). Eher kurzfristig hatte ich die Idee, während meiner Tour auch diese und jene JA-Stätte zu besuchen. Als erstes auf der Liste stand Godmersham, dem Haus von JAs Bruder Edward, da es praktisch auf dem Weg lag. Mit Karten und Navigationsgerät ausgerüstet, ist der Ort gar nicht zu verfehlen. Mit Hilfe eines satellitengestützten US-Spionagedienstes, der sich öffentlich mit dem harmlos klingenden Namen Google Earth tarnt, ist auch das schöne Herrenhaus relativ klar zu lokalisieren. Das Bild zeigt sogar das große Tor, das den Zugang versperrt… Erkennbar ist aber auch ein Weg, der ein Stück weiter von der B 28 abbiegt und es offensichtlich ermöglicht, sich in großem Bogen dem Haus zu nähern, um den begehrten Blick darauf zu werfen und besser noch das erhoffte Foto zu schießen. Mehr ist nicht drin, denn das Haus ist „Private“. Eine Schande eigentlich, müsste nicht die britische Regierung oder der National Trust oder die JA-Society gerichtlich erzwingen können, dass die Bewohner es allen JA-Pilgern öffnen müssen? Gerne auch für 8,90 Pfund (Adults) Eintritt, mit billig aussehender Broschüre für 4,99 Pfund im Shop sowie Cream Tea für 4,50 Pfund (Tee in Beuteln, Kaffee ungenießbar) im Cafe im umgebauten Stall. Egal. Jedenfalls war das große Tor ebenso schwarz wie fest verschlossen. Ein Schild wies darauf hin, dass hier irgendeine Schule residiert – vom Haus war absolut nichts zu sehen. Macht nix, also pirschen wir uns eben von hinten ran, die Straße hoch muss ja der Schleichweg bald kommen, ist auf dem Satellitenfoto gut zu sehen. Also die B28 weiter runter gedüst und gesucht und gefunden: Ein schmaler Weg unter Pflaumenbäumen, wobei die Pflaumen leider auch auf dem Weg liegen und nicht zu umgehen sind… Was tut man nicht alles für JA? Nur: Der Weg führt tatsächlich so weit, dass man rechts eine große Weide und viele Bäume sieht – aber nichts von einem Herrenhaus. Und es wird auch klar, dass davon auch später nichts zu sehen sein wird. Grund zur Panik gibt es aber nicht. Denn ich hatte noch einen Joker: Frau Maletzke beschreibt in ihrem Buch „Mit Jane Austen durch England“ erfreulich genau, wie man sich vom benachbarten Örtchen Chilham aus Godmersham Park nähert – so wie einst JA es getan hat. Ich glaube, es ist die einzige konkrete Wegbeschreibung in dem Büchlein… Guten Mutes bin ich also nach Chilham gefahren. Und siehe da: Wie von Frau Maletzke beschrieben führt die Straße (die sie falsch benennt, macht aber nix) an der Mauer des Castles (in dem JA auch war) entlang und endet vor einer Linkskurve. Dort stößt man ein Gatter auf und marschiert wie JA auf Godmersham zu, schreibt Frau Maletzke. Gut, da sind zwei Gatter, ein großes und ein kleines… Das große führt auf eine große Weide und keinen Schritt weiter. Das kleine dagegen gibt den Weg frei auf einen netten Fußweg, der von Bäumen und Sträuchern gesäumt wird. Das muss es sein! Ein erhebendes Gefühl! Fußspuren von JA sind leider nicht mehr zu sehen, aber die Aussicht hat sich vielleicht nicht so dramatisch verändert…. Nach etwa 200 Metern kommt eine Biegung, danach könnte Godmersham inmitten eines prachtvollen Parks in Sicht kommen – doch stattdessen gabelt sich der Pfad… Links geht es wieder auf eine Weide, an deren Rand jedoch ein klar erkennbarer Weg verläuft. Rechts geht der Fußweg weiter, allerdings rücken die Brombeersträucher rechts und links bedenklich näher zusammen. Zu sehen ist von Godmersham - absolut nichts. Wer sich durch Mansfield Park gekämpft hat, lässt sich von solchen Schicksalsschlägen nicht erschüttern. In solchen Situationen helfen Ruhe, Gelassenheit und moderne Technik (Männer lieben sowas bekanntlich, ich bin da leider keine Ausnahme). Handys mit Internetzugang und Navigationsfunktion können Leben retten – oder jedenfalls ver(w)irrte JA-Fans. Doch erstmal wird sich umgesehen, ob auch wirklich niemand in der Nähe ist, der einen sehen könnte – wenn man auf einer gottverlassenen Weide steht und auf ein Handydisplay starrt, kann man sich schon einigermaßen dämlich vorkommen. Roaminggebühren dagegen sind sowas von egal, wenn man den Hauch der Weltliteratur im Nacken spürt… Und tatsächlich zeigt das Display einen Weg in der Nähe von Chilham und einen, der nach Godmersham führt. Leider verschwindet der Bereich dazwischen im Niemandsland zu geringer Auflösung… Da die Weide zu weitläufig aussah, hab ich mich dann für den Pfad entschieden. Als die Pilgerfahrt aber zur Safari zu werden drohte, was mangels Machete ein Problem war, hab ich mich mit dem Mut der Verzweiflung die Böschung hochgekämpft, fand mich aber erneut nur auf einer großen leeren Weide wieder. Irgendjemand muss ja schuld sein an dem Desaster, deshalb hab ich in dem Moment spontan begonnen, Frau Maletzke zu hassen. Der Rückweg zum Auto war entschieden weniger erhebend. Miranda hat mich gerettet. Irgendwann hat sie meine PN gelesen und mir eine genaue Wegbeschreibung geschickt. Um es doch noch kurz zu machen: Eine Woche später stand ich wieder vor dem großen Tor in Godmersham, doch diesmal war es nicht nur offen, sondern ich hab auch das eigentlich nicht zu übersehende Schild rechts daneben gesehen: „Public Footpath“. Also bin ich rechts die Weide hochgestapft und hab nach wenigen Metern links in aller Pracht Godmersham Park gesehen… Zur Feier dieses Ereignisses habe ich beschlossen, eine revolutionäre Fish-&-Chips-und-Cream-Tea-Diät zu entwickeln. Die hat aber irgendwie… sagen wir mal… nicht wie geplant gewirkt. Muss an der Mayonaise gelegen haben, die schmeckte sowieso irgendwie komisch.
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