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Romantikversessene Satiriopsychosophin |
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Registriert: Freitag 13. April 2007, 20:37 Beiträge: 1064 Wohnort: Schweiz
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Also, meine Lieben, anlässlich unserer einjährigen "FF-Kellermädelexistenzfeier", kommt nun wie versprochen, meine FF Challenge "Jane Austens Kinder". Ich hoffe dass sie euch gefällt und da und dort auch mal zum schmunzeln bringt, denn ein Tag an dem man nicht gelacht hat ist ein verlorener Tag...
Jane Austens „Kinder“
„Lass das, sonst werd ich dir gleich eine runterhauen!“ „Was fällt dir ein? Ich hab sie als Erste gesehen!“ Seufzend stand Elinor auf und stellte sich zwischen die beiden Racker. „Benehmt euch, Kinder! Ihr könnt doch gemeinsam mit der Puppe spielen?“ Doch Marianne sah dies alles andere als möglich. „Die Puppe gehört mir!“ antwortete sie trotzig, während Emma den Schatz, den sie noch immer in Händen hielt, nur noch fester an sich drückte. Elinor schüttelte missbilligend ihren Kopf. „Die Puppe gehört Elizabeth, und das wisst ihr beide ganz genau! Ihr habt doch selber welche mitgebracht?“ „Aber die sind nicht so hübsch wie die von Lizzy!“ meldete sich jetzt auch Emma zu Wort.
Elinor sah ein, dass sie mit logischen Argumenten nicht weiterkommen würde. „Nun, wenn ihr nicht gemeinsam damit spielen könnt, dann ist es vielleicht besser, ihr gebt sie Elizabeth wieder zurück?“ Mit diesen Worten streckte sie ihre Hand nach der Puppe aus, doch Emma sprang kurzerhand damit in die nächstgelegene Zimmerecke, wo sie demonstrativ den anderen Kindern im Raum den Rücken zukehrte und die Puppe, wie einen erbeuteten Schatz, fest an sich drückte. Elinor seufzte hörbar auf. Emma war schliesslich nicht ihre Schwester, es lag nicht in ihrer Kompetenz sie zu erziehen. „Komm, Marianne, ich hab da drüben noch andere Spielsachen gesehen! Lass uns etwas anderes spielen.“ Sie nahm ihre Schwester bei der Hand und wollte sie wegziehen, als diese sich mit einem kräftigen Ruck ihrem Griff entwand und im nächsten Augenblick Emma bei einem ihrer Zöpfe erwischte. Mit perfider Kraft zog sie daran, bis Emma laut zu weinen anfing.
Zur selben Zeit fingen auch die Jungs, die bis dahin friedlich in der entgegengesetzten Zimmerecke gespielt hatten, Streit miteinander an. Angeblich, weil George einen der besonders schönen Holzwagen von Fitzwilliam und Charles weggenommen hatte. Edmund, der sofort den Frieden wieder herstellen wollte, nahm kurzerhand eines der Schiffe, die in seiner Reichweite standen, und streckte dieses den Zweien als Friedensangebot entgegen. Doch Fitzwilliam, der George nicht damit davonkommen lassen wollte, stürzte sich mit Anlauf auf ihn, um ihm das Spielzeug wieder zu entreissen. Dabei stiess er allerdings an einen der prächtigen Masten des Schiffes, worauf dieser abknickte. Mit einem Aufschrei der Empörung stürzte sich nun Frederick, dem das Schiff eigentlich gehörte, ins Gewühl, und im nächsten Augenblick war schon die tollste Schlägerei im Gange.
In diesem Moment sprang die Tür auf und Mrs. Weston blickte herein. Das Bild, welches sich ihr bot, missfiel ihr ausgesprochen. „Also wirklich, Kinder, ihr solltet euch was schämen! Verhält man sich so bei einem Anlass wie diesem?“ Augenblicklich hielten die Kinder in ihrem Tun inne. Beschämt sahen sie hoch und wussten nicht so recht was sagen. Miss Weston sah streng von einem zum anderen. Dann blieb ihr Blick an Elinor, Jane und George Knigthley hängen. Kopfschüttelnd sprach sie: „Könnt ihr drei die Kinder nicht etwas mehr im Zaum halten? Man hört ihre ungezogenen Schreie durch das ganzen Haus!“
„Aber Mrs. Weston, an dem Ganzen ist doch nur wieder Elizabeth Bennet schuld. Hätte sie ihre Puppe für sich behalten, dann wäre das nie geschehen.“ Caroline stellte sich keck vor Mrs. Weston hin und zeigte auch gleich auf die, ihrer Meinung nach, schuldige Elizabeth. Jetzt wurde aber Lizzys Gerechtigkeitssinn arg strapaziert: „Das stimmt ja überhaupt nicht, Mrs. Weston!“, und dann mit einem vorwurfsvollen Blick in Richtung Caroline fuhr sie fort: „So was ausgerechnet von dir hören zu müssen, Caroline Bingley! Du, die noch nie im Leben ein Spielzeug mit jemand anderem geteilt hat!“ Tränen der Wut standen in Lizzys Augen. Jetzt meldete sich auch Catharine Morton zu Wort: „Das stimmt, Mrs. Weston, Caroline und Mary teilen nie etwas mit uns!“ Fanny, die neben ihr stand, nickte nur scheu.
„Also wirklich! Sollen wir etwa unsere teuren Spielsachen mit euch Gesinde teilen?“ fauchte Mary Crawford zurück, und als aus der Ecke der Knaben eine kräftige Jungenstimme ihre Äusserung unterstützte, fuhr sie, mit einem dankbaren Blick auf Fitzwilliam, neu bestärkt fort: „Ich weiss nicht mal, weshalb wir mit den Kindern der Mortons, Bennets, Prices und sogar dieser Harriet Smith im selben Zimmer sein müssen? Dann noch mit ihnen unsere kostbaren Spielsachen teilen? Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Eltern dies wirklich billigen.“
„Nein, die vielleicht nicht, aber jemand anders!“ Hinter Mrs. Weston erschien plötzlich eine Männergestalt, und die Eindringlichkeit seiner sonoren Stimme gebot sofortige Ruhe. Auch Mrs. Weston, die froh war, Verstärkung von männlicher Seite zu bekommen, spürte eine Lebendigkeit und Autorität in seiner Stimme, welche ein seltsames Gefühl der Unwirklichkeit in ihr selbst aufkommen lies. Der unbekannte Mann zog einen Stuhl in die Mitte des Zimmers und setzte sich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, behaglich nieder. Sein Blick schweifte, beinahe liebevoll, von einem zum anderen Kind. Da und dort lächelte er still vor sich hin. Es schien, als sehe er vor seinem geistigen Auge Dinge, die für jeden anderen unsichtbar blieben. Schliesslich nahm er hörbar Atem und sagte:
„Wisst ihr eigentlich, wie geliebt ihr seid? Alle, ganz ohne Ausnahme?“ Die Kinder dachten längst nicht mehr an ihre Querelen. Stattdessen kamen sie langsam näher und setzten sich allesamt still vor den fremden Mann im Halbkreis nieder. Wie gebannt sahen sie zu ihm auf und konnten sich seiner Gegenwart nicht entziehen. Intuitiv fühlten sie, dass der Fremde etwas zu erzählen hatte, und aus irgendeinem Grund wollte keiner der Kinder auch nur ein Wort davon versäumen. Der Mann lächelte wieder, jedoch war es ein Lächeln, in dem ebensoviel Freundlichkeit wie Traurigkeit lag. Jedes der anwesenden Kinder spürte es deutlich, auch wenn sie unfähig waren, es in Worte zu fassen.
„…Ja, geliebte Kinder seit ihr“, nahm er den Faden wieder auf. „In unendlich vielen, trauten und auch einsamen Stunden hat sie euch zur Welt gebracht. Jedes von euch war gewollt; nichts ist dem Zufall überlassen. Noch unzählige Generationen werden über euch nachdenken, schreiben, erzählen, lachen und weinen. Tausenden werdet ihr ein Lächeln auf das Gesicht zaubern und einigen sogar Ruhm und Reichtum verschaffen. Selbst diejenigen, die wenig mit euch anfangen können, werden trotzdem zugeben müssen, dass ihr unnachahmlich, einzigartig, ja, ein Geniestreich seid. Ihr werdet, solange unsere Welt besteht, mitbestehen. Und mit euch wird auch sie unsterblich.“ Seine Stimme zitterte plötzlich, doch er fasste sich sofort wieder.
„Heute ist ein ganz besonderer Tag, wisst ihr das, Kinder?“ Die meisten wussten es nicht, und die anderen trauten sich nicht etwas zu sagen, weil sie sich nicht ganz sicher waren, was daran so besonderes sein soll. „Ah, ich sehe schon, ihr seid euch nicht ganz sicher, nicht wahr? Wichtige und unwichtige Leute haben sich heute hier in diesem Haus versammelt, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Sie reden über sie, über andere, über sich selbst und über euch, liebe Kinder. Doch es wird der Tag kommen, da werden ihre Namen verblassen. Man wird ihrer nicht mehr gedenken, oder nur noch im Bezug auf sie. Auch ich werde einmal nicht mehr sein. Aber das ist nicht so wichtig. Wirklich wichtig ist das, was man nicht sieht. Das, was unser kurzes Leben überdauert. Versteht ihr das?“
Sie verstanden nicht. Auch wenn sich die älteren unter ihnen Mühe gaben, intelligente Gesichter zu schneiden. Der Mann lächelte sanft. Vom Korridor her hörte man das Gemurmel vieler Stimmen, die aufdringlich laut wurden. Die Kinder blickten ihn immer noch erwartungsvoll an - gespannt, mehr über diesen offenbar besonderen Anlass zu erfahren. Der Fremde wollte sie auch gar nicht im Ungewissen lassen. Aber eine weibliche Stimme unterbrach unerwartet sein Vorhaben, indem sie ihn bei seinem Namen rief: „Henry, kommst du wieder runter? Die Gäste wollen sich jetzt gerne verabschieden.“ Er erkannte die Stimme seiner Schwester Cassandra, die ihn augenblicklich in die Gegenwart zurückholte. Mit einem letzten, zärtlichen Blick auf die „Kinder“ seiner über alles geliebten Schwester stand er etwas mühsam wieder auf.
„Ich komme gleich!“ war seine Antwort, während er sich etwas schwerfällig zur Tür bewegte. Er stand schon im Korridor, als er ein letztes Mal zurückblickte. Der Raum war still und leer. Nur ein kleiner Tisch beim Fenster, auf dem ein Tintenfass und ein paar leere Seiten Papier lagen, strahlte etwas von dem verblassten Leben seiner Schwester aus. Die Sonne flutete sanft die Szenerie und stand in krassem Gegensatz zu seinem Gefühl, welches sich mit Vehemenz zu einem Knoten in seinem Hals formieren wollte. Plötzlich regte sich etwas hinter jenem Stuhl, an dem sie so oft, mit einer Feder in ihrer zarten, kleinen Hand, den Kindern Leben eingehaucht hatte. Ein kleines Mädchen kroch dahinter hervor, kam still auf ihn zu und legte ihre Hand sanft auf die Seine.
„Anne Eliot, was machst du denn noch hier?“ Sie sagte nichts, sondern sah ihn nur aus grossen, vertrauensvollen Augen an. „Ich verstehe, Kleine, keine Angst. Auch deine Geschichte soll erzählt werden. Jede ihrer Geschichten werde ich veröffentlichen. Ihr werdet weiter leben und sie durch euch!“ Er wandte sich ab und schloss leise die Tür hinter sich zu. Der fröhliche Lärm der Kinder, die wieder zu spielen angefangen hatten, begleitete ihn noch während er die Treppenstufen nach unten stieg, um sich von den Gästen zu verabschieden die zur Beerdigung seiner geliebten Schwester, Jane Austen, gekommen waren.
_________________ Grüsschen, MJ
„Wenn Frauen unergründlich erscheinen, dann liegt es am fehlenden Tiefgang der Männer.“
Katharine Hepburn
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