Zum zweiten Kapitel:
Mr. Bennet stattet Mr. Bingley heimlich, und als einer der Ersten, seinen Antrittsbesuch ab, obwohl er diesen Besuch gegenüber Mrs. Bennet rigoros abgelehnt hatte. Er macht sich einen diebischen Spass daraus seine Familie und vor allem seine Gattin einerseits im Ungewissen zu lassen, andererseits aber zu necken und Andeutungen zu machen.
Zentrales Thema ist dabei eine Gesellschaft/Ball in vierzehn Tagen und die Frage, Wer Wem ( die Longs den Bennets, oder umgekehrt ) Mr. Bingley wohl vorstellt und dem Anderen dann zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet ist.
Das ganze Kapitel ist ein meisterhaftes Theater und äusserst amüsant zu lesen. Vor allem Bennets Art sein Geheimnis sozusagen wohldosiert preiszugeben hat etwas sehr schalkhaftes, fast schon gemeines, wenn man Mrs. Bennets labiles Nervenkostüm bedenkt. Es scheint Bennet fast königliches Vergnügen zu bereiten sie zu necken und zu reizen.
Man stelle sich dieses Bild vor (Auszug aus dem Text):
Lizzy war damit beschäftigt einen Hut herzurichten (zu dämpfen?). Mr. Bennet, der sie dabei beobachtete fragte (unvermittelt): "Ob der Hut Mr. Bingley wohl gefallen wird, Lizzy?"
Die Mutter antwortete nachtragend:"Wir sind ebensowenig in der Lage zu wissen, WAS Mr. Bingley gefällt, als ihm einen Besuch abzustatten."
"Aber Mama", sagte Lizzy" Du vergisst, dass wir ihn bei der (Abend-)Gesellschaft treffen werden, und dass Mrs. Long versprach ihn uns vorzustellen".
"Ich glaube nicht, dass Mrs. Long dergleichen tun wird. Sie hat selbst zwei Nichten. Sie ist selbstsüchtig, scheinheilig, und ich halte nichts von ihr."
"Ich ebensowenig"erwiderte Mr. Bennet "und es freut mich zu hören, dass du nicht von ihrem Wohlwollen abhängig bist."
Mrs. Bennet würdigte ihn selbst keiner Antwort, begann jedoch, unfähig sich zu beherrschen, mit einer Tochter zu zanken.
Was hier wirklich auffällt ist einerseits diese fast zwanghaft erscheinende Parallele zwischen Kennenlernen und heiraten (so nach dem Motto Mrs. Long muss ja ihre eigenen Nichten versorgen und unter die Haube bringen), und andererseits Mrs. Bennets Bevorzugung von Lydia, und im Gegenzug Lydias Selbstverständnis.
Mrs. Bennet ist ausser sich vor Freude und sagt zu Lydia" Auch wenn du die Jüngste bist, ich verspreche Dir (sage dir voraus), du wirst mit Bingley tanzen". Wie kann sie so etwas sagen? Hat sie so viel Einfluss IHN dazu zu zwingen, oder glaubt sie, er könne Lydias Charme nicht widerstehen?
Lydias Antwort spricht Bände:" Mir ist nicht bange. Ich bin zwar die Jüngste, aber auch die Größte."
Das kann man jetzt so, und so lesen.
Lydia die Große, wie Katharina die Große?
Im Übrigen verstärkt Mr. Bennet die Freude seiner Frau, indem er erst ihre Frustration verstärkt, indem er sie tüchtig ärgert, und ihr dann doch den Herzenswunsch erfüllt. Alles Theater! Natürlich hatte er von vornherein vor Bingley zu besuchen, musste seine Frau aber erst gründlich piesacken.
Und Mrs. Bennet ist auch nicht viel besser. Erzählt ihren Töchtern wie unangenehm es wäre ständig Besuche und Bekanntschaften zu machen, aber was täte man nicht alles für das Glück der eigenen Kinder! Als wenn nicht jedes neue Gesicht auf dem Land mit Freude begrüsst würde, weil man sonst vor Langeweile eingehen würde ...
Dabei verstösst Mrs. Bennet hier gegen eine sozusagen eherne Regel. Es geht um die Debütantenbälle und die Einführung in die Gesellschaft. Geradezu nebenbei erfährt man, dass Lizzy wohl debütiert, denn Kitty fragt Lizzy, wann sie den nächsten Ball besucht. Zu diesem Zeitpunkt ist also noch nicht die Rede davon, dass alle gleichzeitig debütieren und es ist auch nicht usus. Im Regelfall debütierten die Mädchen der Reihe nach, also immer wenn die Ältere bereits debütiert hatte und am besten schon verlobt war, um der Älteren die Chancen nicht zu verderben (vor allem wenn die Jüngere hübscher war). Man sprach dabei von "ihre Saison haben", womit man das Debütjahr meinte. Ein Mädchen, das sich danach noch nicht verlobt hatte, hatte angeblich nicht mehr gar so viele Chancen auf dem Heiratsmarkt.
Zu bedenken ist dabei, welche Kosten das Debüt einer einzelnen Tochter einer Familie auferlegte, denn es musste eine ganz bestimmte Ausstattung angeschafft werden und mehrere Kleider um für verschiedene Einladungen und Gelegenheiten gerüstet zu sein. Jetzt spricht Mrs. Bennet davon, dass alle ihre Mädchen zum Ball gehen, also im Grunde ihre Saison haben werden. Eigentlich müsste Mr. Bennet jetzt nahe dem Herzkollaps sein.
@Udo
und selbstverständlich wird Mrs. Bennet nach so viel Freude des nachts mit ihrem Gatten schäkern ...
_________________
Grüsse, Caro
Avatar: Amelia Darcy (1754-1784)
Für 1 Jahr säe einen Samen, für 10 Jahre pflanze einen Baum, für 100 Jahre erziehe einen Menschen. chin. Weisheit