Wir haben uns ja auch schon häufiger über Lebenskosten zu JAs Zeit unterhalten, über Einkünfte und Schulden und so weiter. Letztens habe ich ein weiteres Beispiel dafür gefunden, wie weit die Diskrepanz zwischen dem arbeitenden Volk, der Gentry und dem Adel tatsächlich war.
Eine Rose Bertin war Putzmacherin in Frankreich.Nicht irgendeine, sondern zu Lebenszeiten bekannt-berüchtigt. Als solche nähte sie keine Kleider, war also keine Schneiderin, sondern verzierte sie lediglich mit Schnickschnack und fertigte Hüte. Rose Bertin war Putzmacherin und intime Freundin (weshalb sie als "bürgerliche" auch angefeindet wurde) von Marie Antoinette, der du Barry und später auch Napoleons Josephine. Für die Verziehrung einer Robe verlangte sie 900(!) Livres, denn sie verstand sich als Künstlerin und die Du Barry zahlte für einen ihrer Hüte bis zu 120 Livres. Ein gelernter Arbeiter erhielt in Paris etwa 2,5 Livres am Tag. Das Problem war nun, dass die anderen Damen der Gesellschaft einer Du Barry, also einem Königsliebchen nicht nachstehen wollten und unter einander wetteiferten. Wie übrigens auch die französischen Chevaliers und englischen Gentlemen, was man unschwer an den Dandys erkennen kann, die zwar äusserlich Vorgaben ein gepflegtes Understatement zu bevorzugen, also mehr Stil und weniger Protz, wobei Beau Brummel, DER Dandy überhaupt, andererseits aber empfahl die Reitstiefel mit Champagner zu polieren(!).
Jane Austen lässt Willoughby sagen, er habe sich an den Vorlieben seiner Freunde orientiert. Nun mag man sich fragen, warum er sich in Kreisen bewegte, die allem Anschein nach mindestens eine Nummer zu groß waren. Aber es war noch viel wichtiger als heute dazuzugehören, den Anderen nicht nachzustehen. Besonders unglücklich, wenn man sich die fehlenden "Silberlinge" nicht einmal erarbeiten konnte. Mag man sich noch wundern, dass an allen Ecken und Enden Spielclubs entstanden, ja auch in privaten Salons und bei Gesellschaften dem Glückspiel gefrönt wurde? Und witziger oder makabrer Weise verschwanden hier die Unterschiede zwischen arm und reich, und nicht selten fand sich ein anonymer junger "Lord" in einer billigen Spelunke der Stadt, wenn ihn die Schulden allzu drückten und versuchte den Beutel auf diese Art zu füllen.
Und in einem kann ich Jane Austen nicht verstehen, da ist sie mir zu naiv, wenn sie sagt, sie würde sich lieber als Gouvernante verdingen, als einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebt. Das zeigt eindeutig, aller Diskussionen um der Austens Finanzen zum Trotz, dass es ihnen nicht wirklich schlecht ging und andererseits dass ihr nicht so gaaanz klar war, was eine Gouvernante zu erleiden hatte, die eben nicht bei einem Bruder oder einer Schwester Kinder hütete. Übergriffe vor allem auch sexueller Natur waren gar nicht so selten. Was also machte das Gouvernante-sein für sie erstrebenswerter als eine Ehe?
Da kann ich Charlotte Lucas viel besser verstehen, die sich auf den eigenen Haushalt als Dame des Hauses freut. Nun ja, da war das Körperliche, vor dem Jane vielleicht Angst hatte, aber auch hier muß man sagen dass der Akt an sich sich wohl kaum Unterschied, ob man nun verliebt war oder nicht. Denn seien wir mal ehrlich, so wie es in den heutigen historischen Romanen erzählt wird, lief es mit Sicherheit nicht ab, propagierte doch die Kirche die "Missionarsstellung" als einzig gottgefällige Art sich zu verbinden und das bitte nicht öfter, als unbedingt nötig um sich fortzupflanzen, und allein aus diesem Zweck. Machte man nicht gerade dem Adel zum Vorwurf, daß er lasterhaft war, wollüstig und ungebührlich, dass eben doch nicht alle jungen Damen und Gattinnen so "brav" und anständig waren, wie sie vorgaben?
Was konnte also an dem Leben einer Gouvernante besser und schöner sein, als am Leben einer versorgten Gattin? Wieviele Gouvernanten fanden denn in unmittelbarer Umgebung wirklich einen passablen Gatten, und wie viele wurden innerhalb der Familien herumgereicht, und konnten Glück und Pech haben, wie eine Gattin auch?
_________________ Grüsse, Caro Avatar: Amelia Darcy (1754-1784) Für 1 Jahr säe einen Samen, für 10 Jahre pflanze einen Baum, für 100 Jahre erziehe einen Menschen. chin. Weisheit
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