Hm, ich selbst trenne ja immer ein bißchen zwischen den frühen (NA, S&S, P&P) und den späteren Romanen. Erstere sind "alte" Manuskripte, die JA vor der Veröffentlichung zwar (mehrmals) überarbeitet hat, aber deren Ursprung eben schon viele Jahre zurücklag, so dass man da teilweise vielleicht von "Betriebsblindheit" sprechen kann, was gewise formale Details bestrifft. Also will ich mich an dem "Miss Dashwood" jetzt auch nicht aufhängen ...
Aber vielleicht hat ja jemand eine Theorie parat?
Bei "Emma" und "Mansfield Park" hingegen kann man schon anders mit solchen Dingen umgehen, denke ich. Diese Bücher wurden direkt für die Veröffentlichung geschrieben, JA war also "ganz nah" dran und dabei. Auch erfahrener und entschiedener in ihrem Schreiben.
Gerade "Emma" ist in der ganzen Komposition so durchstrukturiert, dass JA die Erzählperspektive ja kaum zufällig "vergessen" haben kann, als sie plötzlich Mr Knightley und Mrs Weston auftreten lässt. Da steckt schon eine Absicht dahinter ... spontan fällt mir auf, dass wir in allen Szenen nicht nur etwas über Emma erfahren, sondern über Mr Knightleys Sicht auf sie (die ja für das Buch nicht ganz unwichtig ist
). Im Gespräch mit Mrs Weston erfahren wir, was er an Emma kritisiert, zuvor haben wir nur gehört, dass er der Einzige ist, der das überhaupt tut, und würden - da wir die Geschichte mit Emma zusammen erleben - wohl auch kaum mehr erfahren.
Dann gibt es die Episode beim Buchstaben-Spiel, wo Mr Knightley die Szene zwischen Frank und Jane beobachtet und dann anschließend mit Emma spricht. Das Gespräch ist ebenfalls mit seinen Gedanken und Beweggründen wiedergegeben, nicht mit Emmas.
Und dann gibt es noch die kurze Szene mit Mrs Elton, wo es um die einzige Frau geht, die Gesellschaft nach Donwell einladen darf - Mrs Knightley. Auch da geht es irgendwie wieder um Emma und Mr Knightleys Sicht und Sorge auf sie.
Fazit: In diesem Fall würde ich dazu tendieren, dass diese Episoden eingefügt wurden, um den fatalen (und falschen) "Tunnelblick" den man gemeinsam mit Emma sonst hätte, aufzulösen. Nicht nur thematisch, sondern eben auch formal. Mr Knightley fungiert hier irgendwie als eine Art "zweiter Erzähler", der sich zwischendrin mal kurz einschaltet.
In "Mansfield Park" fällt mir jetzt als "Rausreißer" nur das Gespräch zwischen Edmund und Sir Thomas nach dessen Rückkehr ein. Dort gibt es aber nur ein oder zwei Dialoge, es wird eher berichtend wiedergegeben. Die beiden sprechen (auch) über Fanny.
Auch die Gespräche im Pfarrhaus zwischen Mrs Croft, Mary und Henry fallen aus dem Rahmen. Irgendwo in der Mitte des Buches gibt es auch ein sehr interessantes Kapitel, wo wir plötzlich einige Szenen aus der Sicht von Mary Crawford erleben.
Da bin ich mir noch nicht ganz so sicher, wie ich das verstehe - muss das Buch vielleicht nochmal unter diesem Gesichtspunkt lesen.
Momentan tendiere ich dazu, Mary und Henry als das zweite, gegensätzliche "Hauptpaar" (zu Fanny/Edmund) zu sehen. Als würde sich JA wegbewegen wollen von der
einen Heldin, der
einen Bezugsperson für den Leser. Zumal ja viele Leser (auch damals schon) ohnehin ein Problem mit Fanny und teilweise auch Edmund haben. Mary und Henry stellen einen Gegensatz, einen Kontrast, eine Alternative dar und ich bin zumindest schon länger der Meinung, dass Fanny gar nicht so ausschließlich als "Heldin" angelegt ist wie alle anderen. Aber dafür sind die Brüche in der Erzählperspektive dann eigentlich auch fast wieder zu wenige ...
Ich sags ja: Wir brauchen einen Groupread!
In "Persuasion" wird die Erzählperspektive hingegen radikal durchgehalten, hier sehen wir wirklich nur das, was Anne sieht und fühlt. Ich glaube, es gibt keine einzige kleine Szene, wo sich der Erzähler von ihr wegbewegt.