Julia hat geschrieben:
Mal sehn, es kann nur besser werden.
Es wurde.
Die ersten Kapitel war ich noch zwischen Ärger und Belustigung hin- und hergerissen ob der teilweise wirklich haarsträubenden Theorien. Dabei störten mich nicht die Ansichten oder Interpretationen, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der sie vorgebracht wurden. So stellte der Autor vieles unkommentiert als Tatsache hin, was einfach nur eine Interpretation seinerseits ist. Ein "might have been", "possibly" oder "could be" hätte mich da meistens schon wesentlich versöhnlicher gestimmt als seine entschiedenen Behauptungen.
Mit der Zeit gewöhnte ich mich daran und grinste nur noch, wenn wiedermal der Name einer völlig nebensächlichen Person aus "Tom Jones",
(leider ja das einzige Buch, von dem man weiß, dass Tom Lefroy es mochte) der - an ebenfalls nebensächlicher Stelle - in einem Roman von JA auftauchte, als Beweis dafür herhalten musste, dass diese immernoch Tom Lefroy nachtrauert.
Eine weitere fixe Idee von Jon Spence schien die zu sein, dass Jane Austen Eliza de Feuillide nicht mochte und ihre Beziehung zu Henry Austen von ihren Jugendwerken bis zu "Mansfield Park" offen kritisierte. Abgesehen von seiner eigenen Meinung nennt er dafür keinerlei Belege, trotzdem verkauft er es dem Leser kontinuierlich als Fakt.
Überhaupt stieß mir die Art des Autors sauer auf, in jedem Werk von Jane Austen eine Botschaft an dieses oder jenes Familienmitglied finden zu wollen. Vieles ist interessant, das meiste ziemlich an den Haaren herbeigezogen und für meinen Geschmack zu dünn am Text belegt.
Abgesehen davon fallen die literarischen Einflüsse bei Jon Spence völlig unter den Tisch, was ich unverzeihlich finde. Die Inspiration, die JA aus ihrer Lektüre zog ist mindestens genauso groß wie die aus ihrem persönlichen Umfeld, gerade in den Jugendwerken, die der Autor ausschließlich unter dem Gesichtspunkt "Was will sie Henry/Eliza damit sagen?" behandelt.
Nichtsdestotrotz habe ich das Buch gerne gelesen - der Autor hat sonst ein gutes Gespür für Jane Austen's Charakter und Beweggründe, hat vor allem die Briefe offensichtlich sehr eingehend gelesen und nachverfolgt. Viele Sichtweisen waren neu und überraschend, aber gleichzeitig schlüssig und glaubwürdig. Vielleicht fielen mir deshalb auch die obengenannten Aussetzter so extrem negativ auf - weil er diesen Boulevard-Stil eigentlich gar nicht nötig hat. (Der Gipfel war ein Traum, den Jane in einem Brief am Rande erwähnt und den er völlig aus der Luft gegriffen und küchentisch-psychologisch auf Tom Lefroy deutet. Peinlich.)
Gegen Ende kam es mir sehr gehetzt vor, so als müsse er schnell fertig werden, da fiel für meinen Geschmack zu viel unter den Tisch (zumindest im Vergleich zur so ausführlich ausgebreiteten ersten Lebenshälfte, über die man proportional weniger gesichert weiß als über letztere).
Alles in allem eine ziemlich unausgegorene Geschichte, als Beiwerk zu einer "richtigen" Biographie sicher interessant (auch ich habe noch was neues darin gefunden
), als eigenständige, ernstzunehmende Biographie aber eher unzureichend, in meinen Augen.