Udo hat geschrieben:
Das gilt sicher für die meisten Charaktere der 2. und 3. Reihe - aber ist es nicht so, dass wir über die Gedanken und Gefühle der Hauptpersonen (ich denke jetzt gerade mal an Marianne und Elinor in S&S) ziemlich gut informiert werden? Und manche andere Charaktere werden so karikiert, dass man gar nicht mehr viel reindeuten muss.
Hm. Wir erfahren über die Hauptakteure zwar mehr, als über die Nebenpersonen, aber eben auch nicht alles, bzw. nur Details, die Jane Austen wichtig sind, oder die sie braucht um eben ein festes Bild zu erzeugen. (So schien es ihr sehr wichtig gewesen zu sein zu erwähnen, dass Darcy groß und dunkel ist, eine äusserliche Defintition, die bei anderen fehlt.)
Ich will damit nicht sagen, das diese Details fehlen, aber der Mensch neigt dazu, bzw. die Augen und das Gehirn, ein "unvollständiges" Bild zu füllen. Das geschieht automatisch und bisweilen auch ausserhalb unserer bewussten Kontrolle. Das kann man sich vorstellen, wie bei einem Mosaik wo einzelne Steinchen fehlen.
(Besonders interessant ist das übrigens beim Pointilismus. Von nahem erkennst du jeden einzelnen Punkt, also auf Fehler, von weitem verschwimmen die einzelnen Punkte zu ganzen Farbflächen und eben dem Bild als Ganzen. )Der Witz ist ja gerade, dass Jane Austenzum Beispiel kaum einmal das Aussehen näher beleuchtet, aber in einigen, wenigen Fällen ist es ihr wichtig. So auch, wenn es um bestimmte Vorlieben geht. Wir kennen die "Hobbys" und/oder luxuriösen Bedürfnisse von manchen Protagonisten, aber nicht von allen. Und auch was die Gedanken und Gefühle angeht, verrät uns JA einen bestimmten Bereich, andere aber nicht.
Das ist vor allem interessant für die Frage welche Charaktere wir als "gut" empfinden und warum, welche im Mittelfeld spielen und welche die "Bösen" sind. Da kommen unsere Emotionen ins Spiel. Wir gehen, ich auch, gleich zu Beginn davon aus, dass Brandon ein Guter ist, aber wir lernen ihn eigentlich nur von den Beschreibungen der anderen kennen. Das heisst, können wir den Charakteren in ihrer Beurteilung vertrauen (gerade einer leutseligen Person wie z.B. Sir Middleton oder Mrs. Jennings)?
Das heisst, wir gehen davon aus, dass Brandon all die guten Eigenschaften und Ansichten hat, die uns wichtig sind, sofern Jane Austen sie uns nicht vorgibt. Wir gehen also automatisch davon aus, dass Brandon gegen den Sklavenhandel ist und sein Vermögen rechtmässig erarbeitet hat und eben kein Nabob ist, auch wenn Willoughby dies andeutet, so wie wir nur allzu bereit sind, von Willoughby das Schlechteste zu denken. Er benimmt sich hier und da wie ein Schuft, also verdammen wir ihn insgesamt, als ganze Person und gehen natürlich davon aus, dass er sich immer und grundsätzlich schlecht benimmt. Wie Julia bereits sagte, die "Schwarz-Weiß"-Schublade, die bei uns dann dazu führt, dass wir weder Elinors, noch Mariannes "Verständnis" oder gar Verzeihung für Willoughby nachvollziehen wollen oder können.
Gerade Karrikaturen sind das beste Beispiel dafür, wobei sich hier unsere Bilder (denke ich) noch am ähnlichsten sind.
Code:
Ich finde aber wie Du, dass JA recht sparsam mit direkten Beschreibungen der Personen ist. Das macht ja auch gute Literatur aus, oder? :wink:
Und ja, ich empfinde es als genialen Schachzug, die Charaktere so zu präsentieren.
(Was aber auch dazu führt, dass sie bei mir eine Art Eigenleben entwickeln ... )Dabei kommt es auf die Intension des Autors an. Will er, wie Miss Hamilton geschrieben hat uns festlegen, uns keine Wahl zur Eigeninterpretation lassen, oder möchte er, dass wir seine Charaktere zu den unseren machen, sie in uns weiterleben und sich entwickeln lassen.
Ich weiss, dass hier die Geschmäcker auch bei den Lesern recht unterschiedlich sind. Mancher lässt sich sehr gern führen und ist regelrecht detailverliebt.
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Grüsse, Caro
Avatar: Amelia Darcy (1754-1784)
Für 1 Jahr säe einen Samen, für 10 Jahre pflanze einen Baum, für 100 Jahre erziehe einen Menschen. chin. Weisheit