Obwohl wir gesagt haben, dass wir Kapitel 9 & 10 zusammen fassen, muss ich erstmal auf 9 im einzelnen eingehen, da sind einfach zu viele Auffälligkeiten drin.
Einer meiner liebsten Szenen im Kapitel ist die Besichtigung der Kapelle und der damit verbundene Dialog über das Amt des Geistlichen. Zum einen gefällt mir letzterer so gut, weil Edmund hier mal eine Lanze für seinen und meinen Berufsstand bricht und das auch noch ziemlich logisch (auch später beim Spaziergang), zum anderen ist die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema an sich faszinierend. Mir geht's da ähnlich wie Udo und ich glaube, dass es tatsächlich einer ernsten Auseinandersetzung der Autorin mit dem Thema entspricht. Ich habe bisher noch nichts darüber gelesen, in wie weit JA religiös war oder nicht, aber ich denke, dass sie durch Edmund beschreibt, wie dieser Beruf des Pfarrers ihrer Meinung nach ausgefüllt werden sollte, während die damalige Realität viel mehr dem entspricht was Mary dazu sagt (wenn mich mein Kirchengeschichtswissen nicht täuscht).
Und dann sagt dieses Gespräch zum dritten wieder etwas über die Dreieicksbeziehung Edmund-Fanny-Mary aus. Als das Gespräch später während des Spaziergangs noch mal aufgegriffen wird, zeigt sich, dass Edmund nicht nur ernsthaft dazu reden kann, sondern sogar in der Lage zum Flirten ist, was bis dahin ja recht wenig in Erscheinung trat. Er sagt zwar er wäre von Natur aus nicht geistreich, beweist aber gleichzeitig das Gegenteil.
Über Mary sagt das Gespräch
mir woran es ihr wirklich mangelt. Dass sie dreist ist, ist unterhaltsam, dass sie kokettiert hat sogar Charme, ihre Ichbezogenheit, na gut anerzogen. Alles keine Fehler, die sich nicht verlieren können oder die tatsächlich dazu angetan sind Edmund keine gute Frau zu werden. Aber woran es ihr wirklich mangelt ist die Fähigkeit zur Reue. Wenn sie etwas falsch macht oder schuld ist, dann ist da keine Einsicht, ja im besten Fall sind sogar die anderen Schuld an ihren Mängeln (so wechselt die sofort das Thema, als sich rausstellt dass Edmund Geistlicher wird und als sie erfährt welchen Schaden sie Fanny mit der Pferdegeschichte bereitet hat, ist es Fanny Schuld: "wie schrecklich von Ihnen, daß Sie mir dann Ihr Pferd überlassen haben"). Und auch bei der Geschichte mit der Uhr und der Meile ist überhaupt keine Einsicht bezüglich eigener Fehler vorhanden. (Ganz im Gegenteil zu Fanny, die's übertreibt siehe vorletzter Satz des Kapitels.)
Und schließlich bin ich bezüglich Fanny darüber zu der Erkenntnis gekommen, dass sie nicht schwach oder übermoralisch, sondern einfach nur naiv ist. Wie ihr auf einmal Mary leid tut, wegen dem was sie über Pfarrer gesagt hat, zeigt sehr deutlich, dass sie in ihrer Naivität annimmt alle müssten das gleiche empfinden wie sie selbst. Sie denkt: Armer Edmund, Marys Worte müssen ihn verletzt haben, darum arme Mary, sie muss sich schlecht fühlen, weil sie Edmund verletzt hat. Diese Gedankenfolge trifft aber gar nicht zu. Mary ist die Sache aus einem ganz anderen Grund peinlich, als Fanny denkt. Und auch, dass sie "mit Vergnügen an die Fürsorglichkeit" Edmunds denkt, zeigt nicht so sehr die große Verliebtheit, sondern in erster Linie absolute Naivität. Und man muss schon sehr naiv sein, um den Egoismus eines anderen für Fürsorglichkeit zu halten.
Was wir über Julia, Maria und Mr. Crawford in den Szenen erfahren brauch ich nicht zu kommentieren. Nur eins ist mir da aufgefallen, nämlich dass Henry eigentlich keine Schuld zukommt bei dem ganzen späteren Debakel als dass er seine Grundannahmen nicht vorsichtiger angelegt hat. Trotz seiner Sprüche hat er m.E. hier kein wirkliches Interesse an Maria, sie reizt ihn weil sie vergeben ist, nicht weil sie so besonders wäre (wobei ihn auch Julia nicht zu reizen scheint). Und zwischendurch schimmert dann so sowas wie Vernunft bei ihm durch, zumindest wenn er sich mit sachlichen Themen beschäftigt (siehe Gartenbau). Vielleicht hätte der gute Mann nur einen Job gebraucht.
Dabei fällt mir ein Satz ein, der mir diesmal als ziemlich zentral vorkam. Und zwar sagt Edmund: "Das Gemüt, das nicht in
einer Situation mit sich kämpft, wäre, glaube ich, auch in einer anderen leicht abzulenken, und der Einfluß von Ort und Vorbild erregen vielleicht edlere Gefühle, als zu Anfang vorhanden waren." Ich glaube, der Satz entspricht nicht nur Edmuns Wunschdenken in bezug auf Mary (oder Frauen allgemein), sondern trifft auch auf so ziemlich jede Gestalt (Henry, Maria, etc.) von MP zu.
So und jetzt gehe ich und lese Kapiel 10.